Die Staatspolitische Kommission (SPK) des Ständerates beantragt ihrem Rat, einer Motion des Nationalrates zuzustimmen und den Bundesrat zu beauftragen, Jugendlichen ohne gesetzlichen Status, die ihre Schulbildung in der Schweiz absolviert haben, den Zugang zu einer Berufslehre zu ermöglichen.

Mit 5 zu 5 Stimmen und Stichentscheid des Präsidenten beantragt die Kommission ihrem Rat, die Motion des Nationalrates 08.3616 Mo. Nationalrat (Barthassat). Jugendlichen ohne gesetzlichen Status eine Berufslehre ermöglichen anzunehmen. Die Kommission anerkennt das Problem beim Zugang der « Sans-papiers » zur Berufslehre. Durch Zustimmung zur Motion will sie der Ungerechtigkeit ein Ende setzen, wonach jugendliche « Sans-papiers » ein Studium absolvieren können, jedoch keinen Zugang zur Berufslehre haben. Die Kommission ist sich jedoch durchaus bewusst, dass die generelle Problematik der « Sans-papiers » auch nach Annahme dieser Motion bestehen bleibt. Die Minderheit anerkennt, dass es Ungleichheiten in der Behandlung der « Sans-papiers » gibt. Sie befürchtet jedoch, dass die Schweiz nach Umsetzung dieser Motion als Einwanderungsland noch attraktiver und die illegale Einwanderung geradezu begünstigt würde.

Die Kommission hat zahlreiche weitere vom Nationalrat während der ausserordentlichen Session zur Migration angenommene Motionen behandelt. Sie beantragt dem Rat, folgende Motionen anzunehmen: 08.3499 Mo. Nationalrat (Schmidt Roberto). Gute Kenntnisse einer Landessprache und Integration als Voraussetzungen einer Einbürgerung; 09.4039 Mo. Nationalrat (Maire). Abstimmung über die Anti-Minarett-Initiative und Integration; 09.4229 Mo. Nationalrat (Tschümperlin). Wirksame Hilfe für die Betroffenen bei Zwangsheirat; 09.4236 Mo. Nationalrat (Hodgers). Einhaltung der Kinderrechtskonvention bei Kindern ohne Rechtsstatus. Sie beantragt weiter eine Änderung der Motion 09.3489 Mo. Nationalrat (Müller Philipp). Aufenthaltsstatus des Ausländers nach Nichtigerklärung des Bürgerrechts. Die folgenden Motionen werden hingegen von der Kommission abgelehnt: 08.3059 Mo. Nationalrat (Reimann Lukas). Niederlassungsbewilligung nur mit ausreichenden Sprachkenntnissen; 08.3394 Mo. Nationalrat (Segmüller). Mindestalter für Einwanderung durch Familiennachzug; 09.3270 Mo. Nationalrat (Reimann Lukas). Bessere Kontrolle von Imamen; 09.3608 Mo. Nationalrat (Fiala). Ausländische Gewalttäter. Sicherstellung der direkten Ausschaffung am Ende der Verbüssung einer Strafe oder Massnahme; 09.4319 Mo. Nationalrat (Baumann J. Alexander). Integrative Toleranz von islamistischen Imamen; 09.3984 Mo. Nationalrat (Amacker). Aufhebung der Visumpflicht für Taiwan.

Verhältnis von Völkerrecht und Volksinitiativen

Auf der Basis des Berichtes des Bundesrates vom 5. März 2010 über das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht hat die Kommission intensiv über Fragen der Gültigkeitserklärung von Volksinitiativen diskutiert. Dabei zeigte sich, dass sich die überwiegende Mehrheit der Kommissionsmitglieder ein Vorprüfungsverfahren vorstellen kann, bei dem noch vor der Unterschriftensammlung durch eine zu bezeichnende Stelle eine provisorische Gültigkeitsprüfung vorgenommen wird. Die Kommission wartet gespannt auf die zu dieser Frage vom Bundesrat bis Ende Jahr in Aussicht gestellten Vorschläge. Skeptischer zeigte sich die Mehrheit der Kommissionsmitglieder gegenüber der Idee, die materiellen Gründe für eine Ungültigkeitserklärung auf Verfassungsebene auszuweiten, wie dies die Initiative von Nationalrat Vischer verlangt, welcher der Nationalrat am 11. März 2009 mit 96 zu 72 Stimmen Folge gegeben hatte (07.477 n Pa.Iv. Vischer. Gültigkeit von Volksinitiativen). Die Kommission möchte sich jedoch auch hier einer Diskussion nicht verschliessen und will ihren Entscheid zur parlamentarischen Initiative Vischer erst fällen, wenn Ende Jahr die vom Bundesrat auch zu diesem Themenbereich in Aussicht gestellten Vorschläge vorliegen.  

10.308 s Kt.Iv. TG. Ausweisgesetz. Änderung. Vorprüfung.
09.516 s Pa.Iv. Germann. Identitätskarte. Wahrung der kantonalen Kompetenzen beim Ausweisgesetz. Vorprüfung

Die Kommission hat sich deutlich für die beiden Initiativen zur Änderung des Ausweisgesetzes ausgesprochen. Sie hat einstimmig beschlossen, der Thurgauer Standesinitiative 10.308 und der von Ständerat Hannes Germann eingereichten parlamentarischen Initiative Folge zu geben. Beide Initiativen verlangen, dass die Kantone bestimmen, ob bzw. ab wann Identitätskarten ohne Datenchip nicht mehr bei der Wohnsitzgemeinde bezogen werden können. Das Ausweisgesetz sieht vor, dass Pässe und Identitätskarten nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren bei der vom Kanton bezeichneten zentralen Stelle beantragt werden müssen. Die Verwaltung weist darauf hin, dass es aufgrund der neuen technischen Erfordernisse für Identitätskarten aus Kostengründen praktisch unerlässlich sei, die Ausstellung dieser Dokumente zu zentralisieren. Nach Auffassung der Kommission sollte das bisherige Verfahren für den Bezug von herkömmlichen Identitätskarten nicht unbedingt geändert werden. Sie hält fest, dass die Zentralisierung insofern eher bürgerfeindlich ist, als viele Bürger sie als Verwaltungsschikane empfinden. In den Augen der Kommission muss ein einfacher und bürgerfreundlicher Ausweisbezug beibehalten werden. Es sollte deshalb weiterhin möglich sein, sich herkömmliche Identitätskarten von der Wohngemeinde ausstellen zu lassen. Es gehe hier um die Bürgernähe der Verwaltung und um die Autonomie der Gemeinden.
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates wird diese beiden Initiativen an ihrer kommenden Sitzung vom 20./21. Mai 2010 prüfen. Sollte sie dem Beschluss ihrer Schwesterkommission folgen, kann eine Gesetzesänderung an die Hand genommen werden.

Die Kommission hat am 20. April 2010 unter dem Vorsitz von Ständerat Alain Berset (SP, FR) in Bern getagt.

 

Bern, 20. April 2010 Parlamentsdienste