Anders als der Ständerat spricht sich die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates mit 15 zu 10 Stimmen dafür aus, im Sexualstrafrecht (18.043, Entwurf 3) die Zustimmungslösung zu verankern. Ein sexueller Übergriff, eine sexuelle Nötigung oder eine Vergewaltigung begeht demnach, wer «ohne die Einwilligung» einer Person eine sexuelle Handlung an dieser vornimmt. Der Ständerat entschied sich in der Sommersession 2022 für die Ablehnungslösung, wonach sich strafbar macht, wer solche Handlungen «gegen den Willen» einer Person vornimmt.

Die Kommission begrüsst, dass bereits die ständerätliche Vorlage gegenüber dem heutigen Recht wichtige Neuerungen enthält. Sie schliesst sich insbesondere dem vom Ständerat gewählten Aufbau der Tatbestände von Artikel 189 und 190 StGB an und lehnt es mit 15 zu 7 Stimmen bei 3 Enthaltungen ab, den Tatbestand des sexuellen Übergriffs in einem separaten Artikel zu regeln. Anders als der Ständerat ist die Kommission jedoch der Ansicht, dass der Kern des Sexualstrafrechts auf dem Zustimmungsprinzip beruhen soll. Damit signalisiert der Gesetzgeber, dass einvernehmliche sexuelle Handlungen im Grundsatz immer auf der Einwilligung der daran beteiligten Personen beruhen. Zudem erhofft sich die Kommission, dass bei der Aufklärung von Sexualdelikten der Fokus der Strafverfolgungsbehörden sich vermehrt auf das Verhalten der (mutmasslichen) Tatperson richten wird und nicht das Verhalten des (mutmasslichen) Opfers im Zentrum steht. Die Minderheit der Kommission warnt vor einem Symbolstrafrecht und befürchtet, dass sich mit der Zustimmungslösung eine Beweislastumkehr verbindet. Sie schliesst nicht aus, dass die Änderungen im materiellen Strafrecht zu überzogenen Erwartungen bei Opfern von Sexualdelikten führen, denen eine Mitwirkung in einem Strafverfahren nicht erspart werden kann. Die Kommission nimmt deshalb mit Befriedigung zur Kenntnis, dass die Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) parallel zu den Revisionsarbeiten im materiellen Strafrecht ein Projekt mit den Kantonen initiiert hat, das darauf abzielt, neben der Klärung der Datenlage auch die Beratung und Begleitung der Opfer von Sexualdelikten weiter zu verbessern.

Die Kommission hat sich auch intensiv mit den Strafrahmen im Sexualstrafrecht befasst. Sie hat es mit unterschiedlichen Stimmenverhältnissen abgelehnt, bei sämtlichen Sexualdelikten die Geldstrafe zu streichen oder für einzelne Delikte massiv höhere Freiheitsstrafen oder Mindeststrafen vorzusehen. Lediglich beim Tatbestand der Vergewaltigung in Artikel 190 Absatz 1 beantragt sie mit 13 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung die Streichung der Geldstrafe.

Keine Zustimmung findet jedoch der Beschluss des Ständerates, bei der qualifizierten Form der Vergewaltigung in Absatz 2 eine Mindeststrafe von «mehr als zwei Jahren» vorzusehen, womit immer auch der bedingte Freiheitsentzug ausgeschlossen würde (15 zu 8 Stimmen). Wie im ursprünglichen Entwurf vorgesehen, beantragt die Kommission für diese Delikte eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr.

Die Kommission hat die Vorlage überdies zum Anlass genommen, dem Rat eine Änderung der Verjährungsfristen in Artikel 101 Absatz 1 Buchstabe e StGB zu beantragen. Bereits heute sind Sexualdelikte unverjährbar, wenn sie an Kindern unter 12 Jahren begangen werden. Mit 11 zu 10 Stimmen bei 4 Enthaltungen beantragt die Kommission dem Rat, diese Altersgrenze auf 16 Jahre zu erhöhen.

Die Kommission wird an ihrer nächsten Sitzung zunächst den neu verabschiedeten Bericht des Bundesrates vom 19. Oktober 2022 in Erfüllung ihres Postulats 21.3969 zur Kenntnis nehmen. Sie wird erst dann entscheiden, ob im Sexualstrafrecht auch Straftatbestände zu «Revenge Porn» und «Cybergrooming» aufgenommen werden sollen. Die Vorlage wird somit voraussichtlich in der kommenden Wintersession vom Nationalrat beraten werden können.

Vorerst kein Handlungsbedarf im Bereich der «Potentatengelder»

Die Kommission hat sich vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) im Rahmen der jährlichen Berichterstattung darüber informieren lassen, welche Massnahmen gestützt auf das Bundesgesetz über die Sperrung und die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte ausländischer politisch exponierter Personen («Potentatengelder») im letzten Jahr getroffen wurden. Sie hat im Anschluss daran mit 14 zu 11 Stimmen (21.523) respektive mit 15 zu 9 Stimmen (21.508) zwei parlamentarische Initiativen abgelehnt, welche von Nationalrat Fabian Molina und Nationalrätin Fehlmann Rielle mit dem Ziel eingereicht wurden, das geltende Rechtssystem zur Sperrung und Beschlagnahme unrechtmässiger Gelder zu verschärfen. Die Kommission wird die Frage eines allfälligen Handlungsbedarfs in diesem Bereich jedoch erneut prüfen, wenn der Bundesrat den Bericht in Beantwortung des Postulats 19.3414 der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats vorlegen wird («Neue Bestimmungen zur Betreuung der Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte»).

Weitere Geschäfte:

  • Die Kommission hat mit 11 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen an ihrem Beschluss, der parlamentarischen Initiative Regazzi 19.486 «Pädokriminalität im Internet endlich wirksam bekämpfen» Folge zu geben, festgehalten.
  • Die Kommission hat die Motion 22.3369 «Verbesserter Nationaler Aktionsplan gegen Menschenhandel» ihrer Schwesterkommission mit 16 zu 4 Stimmen bei 3 Enthaltungen angenommen.
  • Die Kommission hat der parlamentarischen Initiative Funiciello 21.518 «Unterlassene Hilfestellung konsequent bestrafen» mit 22 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung Folge gegeben.
  • Die Kommission hat der parlamentarischen Initiative Amaudruz 22.409 «Leben retten. Aktive elektronische Überwachung» mit 20 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung Folge gegeben. Der parlamentarischen Initiative Amaudruz 21.521 «Die Vermutung der Notwehr und des Notstands bei der Dienstausübung von Polizeiangehörigen rechtlich verankern» hat sie mit 12 zu 9 Stimmen bei 1 Enthaltung keine Folge gegeben.
  • Die Kommission hat ohne Gegenstimme an ihrer parlamentarischen Initiative 22.428 «Adoptionen und Herkunftssuche» festgehalten.

Die Kommission tagte am 20./21. Oktober 2022 unter dem Vorsitz von Nationalrätin Christa Markwalder (FDP, BE) in Bern.