Am ersten «Tag der parlamentarischen Aussenpolitik» vom 6. September 2021 haben sich Mitglieder des National- und Ständerats vertieft mit den verschiedenen europapolitischen Optionen der Schweiz auseinandergesetzt und darüber debattiert, wie das Parlament seine Mitwirkungsrechte in diesem Bereich künftig verstärkt wahrnehmen kann.

Neben den Aussenpolitischen Kommissionen (APK) pflegen verschiedene Delegationen die Beziehungen der Bundesversammlung zu den parlamentarischen Versammlungen internationaler Organisationen und zu den Parlamenten der Nachbarstaaten. Unter der Leitung der beiden Präsidenten der Aussenpolitischen Kommissionen, Nationalrätin Tiana Angelina Moser (GLP/ZH) und Ständerat Damian Müller (FDP/LU), haben sich die Mitglieder dieser Organe zum ersten «Tag der parlamentarischen Aussenpolitik» getroffen. Hintergrund des Anlasses ist der Wunsch nach einer verstärkten Koordination und einem inhaltlichen Austausch zwischen den verschiedenen Organen, die sich im Auftrag der Bundesversammlung mit aussenpolitischen Fragestellungen beschäftigen.

Der erste Teil der Veranstaltung war der Frage gewidmet, welche Kooperationsmodelle die EU mit Nicht-Mitgliedstaaten in Europa unterhält und wie sich diese bezüglich Integrationstiefe, Politikbereiche und institutioneller Ausgestaltung unterscheiden. Verschiedene Experten aus Norwegen, dem Vereinigten Königreich und aus Brüssel berichteten über ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen der EU und Drittstaaten und die Eigenheiten des jeweiligen Modells:

  • Christian Leffler, ehemaliger stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Auswärtigen Dienstes, präsentierte die Ansätze, die die EU gegenüber dem EWR, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich verfolgt und legte dar, weshalb die EU aus der Logik der Integrität des Binnenmarkts auf stabile Rahmenbedingungen in der Zusammenarbeit mit Nicht-Mitgliedsstaaten und auf die Klärung der institutionellen Fragen pocht.
  • Ulf Sverdrup, Director of the Norwegian Institute of International Affairs gab einen Einblick in die Erfahrungen Norwegens aus 25 Jahren EWR-Mitgliedschaft. Er erläuterte, wie der EWR in der innenpolitischen Debatte Norwegens breite Unterstützung erfährt und als einzige mehrheitsfähige Kompromisslösung für die Ausgestaltung der Beziehungen zur EU wahrgenommen wird.
  • Charles Grant, Director of the Centre for European Reform, zog ein erstes Fazit zu den Erfahrungen des Vereinigten Königreichs nach dem Austritt aus der EU. Er ging auf die Diskussionen zwischen der EU und dem UK in der Umsetzung der Nordirland-Protokolls ein und erläuterte die ersten Auswirkungen des britischen Austritts auf den Warenhandel mit der EU. Gemäss Grant machen die Erschwernisse im bilateralen Handelsverkehr und der Fachkräftemangel der britischen Wirtschaft und insbesondere den KMU schwer zu schaffen.
  • Prof Dr. Matthias Oesch, Professor für öffentliches Recht, Europarecht und Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Zürich, erläuterte die Möglichkeiten und Grenzen des «autonomen Nachvollzugs» von EU-Recht durch die Schweiz und nahm eine Einschätzung zur vom Bundesrat angekündigten Auslegeordnung der Regelungsunterschiede zwischen der Schweiz und der EU vor.

Im Zentrum des zweiten Themenblocks standen die parlamentarischen Mitwirkungsrechte in der Europapolitik. Unabhängig von der Debatte über die weiteren europapolitischen Optionen der Schweiz stellt sich die Frage, ob und in welcher Weise die Bundesversammlung ihre Mitspracherechte künftig stärken möchte.

  • Die Ratsmitglieder informierten sich über die Arbeitsweise des «European Consultative Comittee» des norwegischen Parlaments. Per Nestande, Vertreter des norwegischen Parlaments beim Europäischen Parlament in Brüssel, schilderte die Möglichkeiten zur Einflussnahme des norwegischen Parlaments bei der Übernahme von EU-Recht im Rahmen des EWR.
  • Christian Rathgeb, Regierungsrat des Kantons Graubünden und Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen, legte die Mitwirkungsrechte der Kantone in der Europapolitik des Bundes dar.
  • Nationalrat Gerhard Pfister, Präsident der Subkommission «Umsetzung Rahmenabkommen» der APK-N, berichtete über die Arbeiten dieser Subkommission, die sich mit der Frage der parlamentarischen Mitwirkungsrechte auseinandersetzt. Der Fokus lag dabei auf der Frage, wie die bereits heute bestehenden Mitspracherechte des Parlaments ausgebaut werden könnten, um die Einflussnahme zu stärken. Die Subkommission wird der APK-N ihre Vorschläge im ersten Quartal 2022 unterbreiten.
  • Zum Schluss analysierte Thomas Pfisterer, ehemaliger Bundesrichter, Regierungsrat und Ständerat, die Spielräume des Parlaments bei der Übernahme von EU-Recht und plädierte dafür, dass sich das Parlament aktiv einbringt. Nur der frühzeitige Einbezug des Parlaments durch den Bundesrat kann einen demokratischen Mindeststandard in der Europapolitik sicherstellen.

Der erste «Tag der parlamentarischen Aussenpolitik» bot den Mitgliedern der beiden Räte die Gelegenheit, sich vertieft mit den aktuellen Herausforderungen in der Europapolitik sowie der Rolle des Parlaments auseinanderzusetzen mit dem Ziel, die gewonnenen Erkenntnisse in die Arbeiten der zuständigen Organe einfliessen zu lassen.

Gestützt auf Art. 8 Abs. 5 der Verordnung der Bundesversammlung findet jährlich eine Konferenz statt, in der die Präsidentinnen und Präsidenten der aussenpolitischen Delegationen und Kommissionen (APK) ihre Tätigkeiten koordinierten. Auf Initiative der APK-Präsidenten wurden dieses Jahr erstmals alle Mitglieder dieser Parlamentsorgane eingeladen und der Anlass inhaltlich erweitert.