Die Immunitätskommission des Nationalrats (IK-N) ist ohne Gegenantrag auf das Gesuch des Generalstaatsanwalts des Kantons Tessin vom 6. Dezember 2024 eingetreten und hat anschliessend einstimmig beschlossen, die Immunität von Bundesstrafrichter Jean-Luc Bacher nicht aufzuheben.

Das Gesuch des Generalstaatsanwalts geht zurück auf eine Strafanzeige zweier Pflichtverteidiger gegen Bundesstrafrichter Jean-Luc Bacher wegen übler Nachrede (Art. 173 des Strafgesetzbuches) aufgrund von Äusserungen, die dieser am 10. Januar 2023 anlässlich der mündlichen Urteilsbegründung des Urteils gegen den Dschihadisten von Morges gemacht hatte, als es um die Festsetzung Verteidigerhonorare ging, die vom Gericht bewilligt werden müssen. Gemäss den beiden Anzeigestellern bezeichnete Bundesstrafrichter Jean-Luc Bacher bei dieser Gelegenheit ihre Honorarnoten als unprofessionell, als unseriös und als versuchte Täuschung des Gerichts.

Die Kommission hat Bundesstrafrichter Bacher angehört. Er macht geltend, er habe die in Frage stehenden Äusserungen im Namen des Gerichts, das neben ihm aus zwei weiteren Richtern sowie einem Gerichtsschreiber bestand, gemacht. Es sei unter anderem darum gegangen, weshalb Honorarnoten nicht in ihrer ursprünglichen Form akzeptiert werden konnten und einige Positionen wesentlich gekürzt werden mussten. Entgegen der Behauptung der Anzeigesteller, habe er keinen der vier Pflichtverteidiger persönlich angesprochen. Er habe sich mit seinen Äusserungen vielmehr auf einige der von den amtlichen Verteidigern präsentierten Honorarnoten bezogen. Ferner habe er eine eventuell beabsichtigte Täuschung des Gerichts lediglich als Hypothese formuliert. Er habe zwei mögliche Erklärungen für die aus die aus Sicht des Gerichts überhöht angesetzten Honorare geboten: mangelnde Sorgfalt bei der Berechnung oder eben einen Täuschungsversuch.

In einem ersten Schritt hat die Kommission den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der amtlichen Tätigkeit oder Stellung von Bundesstrafrichter Bacher und seinen Äusserungen festgestellt. Im Rahmen einer Urteilsverkündung getätigte Äusserungen, die sich auf die Festlegung der Honorarnoten von amtlichen Verteidigern beziehen, stünden im Zusammenhang mit der richterlichen Tätigkeit, da das Gericht zu diesen Honorarnoten Stellung nehmen muss. Deshalb ist die Kommission ohne Gegenantrag auf das Gesuch eingetreten.

In einem zweiten Schritt hat die Kommission die institutionellen Interessen (öffentliches Interesse an der Ausübung des Mandats und damit der Funktionsfähigkeit der Behörde Bundesstrafgericht) und dem rechtsstaatlichen Interesse an einer Strafverfolgung gegeneinander abgewogen. Die Kommission ist der Auffassung, dass die Äusserungen des Bundesstrafrichters Bacher einen sehr geringen Schweregrad aufweisen. Vor dem Hintergrund, dass keiner der vier Pflichtverteidiger namentlich genannt wurde und die Äuss​erung, einige der Anwälte hätten versucht, die Strafkammer mit ihren Honorarnoten zu täuschen, nur als eine mögliche Hypothese für die aus Sicht des Gerichts überhöhten und falschen Honorarnoten formuliert wurde, erscheint es der Kommission zweifelhaft, ob hier eine strafbare Handlung ernsthaft in Frage steht. Demgegenüber sind Sinn und Zweck des Verantwortlichkeitsgesetzes in besonderem Masse berührt, da es vorliegend um Äuss​erungen von Richtern in Ausübung ihres Amtes geht. Der Funktionsfähigkeit der Gerichte und der Meinungsfreiheit ihrer Mitglieder komme ein hohes Gewicht zu. Es sei eine wichtige Aufgabe eines Gerichts, die ihm vorgelegten Honorarnoten kritisch zu prüfen, insbesondere wenn es sich um Pflichtverteidiger handele, also um Rechtsanwälte, deren Honorar zumindest in einer ersten Phase vollständig vom Staat bezahlt werde. Dass es zu Reibereien mit den betroffenen Pflichtverteidigern kommen kann, wenn die Honorarnoten nicht in vollem Umfang akzeptiert werden können, liege in der Natur der Sache. Gerade in dieser Situation sei es aber wichtig, dass das Gericht den betroffenen Anwälten die Gründe dafür erläutern könne, ohne dass die zuständigen Richter eine Strafanzeige der Anwälte befürchten müssten. Aufgrund dieser Überlegungen ist die Kommission zum Schluss gekommen, dass die institutionellen Interessen vorliegend überwiegen und hat deshalb einstimmig entschieden, die Immunität von Bundesstrafrichter Jean-Luc Bacher nicht aufzuheben.

Die Kommission tagte am 12. Februar 2025 unter dem Vorsitz von Nationalrat Pierre-André Page (V/FR) in Bern.