​​Gesetzgeber in der Schweiz sind das Parlament und das Volk: Die Bundesgesetze werden von der Bundesversammlung erlassen, unterstehen aber dem fakultativen Referendum.

Bundesgesetze sind grundsätzlich dem vorgängigen fakultativen Referendum unterstellt. Das Volk kann also eine Volksabstimmung über das Gesetz verlangen, bevor dieses in Kraft tritt. Bei zeitlicher und sachlicher Dringlichkeit kann die Mehrheit der Mitglieder beider Räte ein Bundesgesetz jedoch für dringlich erklären und sofort in Kraft setzen. Ein allfälliges Referendum findet in diesem Fall erst nachträglich statt.

I. Ordentliches Gesetzgebungsverfahren

Bundesgesetze werden in der Regel nach folgendem Verfahren erlassen:

 

1. Die Gesetzesentwürfe werden mehrheitlich vom Bundesrat ausgearbeitet. Sie gehen auf sein Initiativrecht (1a) (Art. 181 BV; Art. 7 RVOG) oder auf einen ihm mit einer Motion erteilten Auftrag des Parlaments zurück (1b) (Art. 120 ff. ParlG).

2. Ein Gesetzesentwurf kann auf Vorschlag eines Ratsmitglieds, einer Fraktion, einer Kommission (mittels einer parlamentarische Initiative) oder eines Kantons (mittels einer Standesinitiative) auch von einer Kommission ausgearbeitet werden (Art. 160 Abs. 1 BV; Art. 107 ff. ParlG; Art. 115 ff. ParlG). Bevor die zuständige Kommission mit der Ausarbeitung des Gesetzesentwurfes beginnen kann, benötigt sie die Zustimmung der Kommission des anderen Rates oder die Zustimmung beider Räte. (Das Volk hat kein Initiativrecht: Die Bürgerinnen und Bürger können mittels einer Initiative eine Verfassungsrevision, nicht aber eine Gesetzesrevision verlangen.)

3. Der Vorentwurf für ein Bundesgesetz wird in der Regel vom Bundesrat bzw. von der Kommission, die den Vorentwurf ausgearbeitet hat, in die Vernehmlassung geschickt (Art. 3 Abs. 1 Bst. b VIG).

4. Nach der Vernehmlassung wird der Gesetzesentwurf fertig ausgearbeitet und den Räten zusammen mit der Botschaft bzw. dem Kommissionsbericht unterbreitet (Art. 141 ParlG; Art. 111 ParlG).

5. Die Räte beraten den Gesetzesentwurf nacheinander. Bei einem vom Bundesrat ausgearbeiteten Gesetzesentwurf legen die Ratspräsidentinnen bzw. - präsidenten fest, welcher Rat den Gesetzesentwurf zuerst behandelt; können sie sich nicht einigen, entscheidet das Los (Art. 84 Abs. 2 ParlG). Wurde der Gesetzesentwurf von einer Kommission ausgearbeitet, so ist der Rat, in dem der Entwurf ausgearbeitet wurde, der Erstrat.

6. Die für das Sachgebiet zuständigen Kommissionen beraten den Entwurf jeweils vor, stellen ihrem Rat Antrag und bestimmen eine Berichterstatterin bzw. einen Berichterstatter, die bzw. der ihre Anträge im Rat vertritt (Art. 44 Abs. 1 Bst. a und Abs. 2 ParlG).

7. Jeder Rat berät als Erstes, ob er auf den Gesetzesentwurf eintreten will (Eintretensdebatte) (Art. 74 Abs. 1 ParlG). Hat er Eintreten beschlossen, berät er den Entwurf artikelweise (Detailberatung) und führt danach eine Gesamtabstimmung über den ganzen Entwurf durch (Art. 74 Abs. 2 und 4 ParlG).

8. Bestehen nach der ersten Beratung Differenzen zwischen den Räten, so gehen die abweichenden Beschlüsse des einen Rates zur Beratung an den anderen Rat zurück, bis eine Einigung erreicht ist (Differenzbereinigungsverfahren) (Art. 89 ParlG). Bestehen nach gesamthaft drei Beratungen in jedem Rat noch Differenzen, wird eine Einigungskonferenz eingesetzt, die eine Verständigungslösung zu suchen hat (Art. 91 ParlG).

9. Sobald die Beschlüsse von National- und Ständerat übereinstimmen, führen beide Räte in der letzten Sitzung der Session eine Schlussabstimmung durch (Art. 81 ParlG). Danach wird das Gesetz im Bundesblatt veröffentlicht (Art. 13 Abs. 1 Bst. e PublG).

10. Wird das fakultative Referendum ergriffen, kommt es zu einer Volksabstimmung (Art. 141 Abs. 1 Bst. a BV).

11. Wird das Referendum nicht ergriffen oder wird das Gesetz in der Referendumsabstimmung angenommen, wird es in der Amtlichen Sammlung mit dem Hinweis auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens veröffentlicht (Art. 2 Bst. b PublG). Wird das Gesetz in der Referendumsabstimmung abgelehnt, tritt es nicht in Kraft.

II. Dringliches Gesetzgebungsverfahren

Das dringliche Gesetzgebungsverfahren weicht in folgenden Punkten vom ordentlichen Gesetzgebungsverfahren ab:

Dringliches Gesetzgebungsverfahren  

II.1. parlamentarisches Verfahren

Dringliche Bundesgesetze enthalten in den Schlussbestimmungen eine Dringlichkeitsklausel.

Beispiel

 

Die Räte stimmen über die Dringlichkeitsklausel nach erfolgter Differenzbereinigung ab (Art. 77 Abs. 2 ParlG). Sie bedarf der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder jedes Rates, d. h. mindestens 101 Stimmen im Nationalrat und 24 Stimmen im Ständerat (Art. 159 Abs. 3 Bst. a BV). Im Gegensatz zu den anderen Bestimmungen ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmenden bei der Dringlichkeitsklausel nicht ausreichend.

Die zweite Ablehnung der Dringlichkeitsklausel durch einen Rat ist endgültig (Art. 95 Bst. f ParlG). Wird die Dringlichkeitsklausel verworfen, so bereinigt die Redaktionskommission nach Konsultation der Präsidentinnen oder Präsidenten der vorberatenden Kommissionen den Wortlaut der Bestimmungen über das Referendum und das Inkrafttreten.​

II.2. Publikation, Inkrafttreten und Referendum

Dringliche Bundesgesetze werden unmittelbar nach ihrer Verabschiedung in der Amtlichen Sammlung veröffentlicht. Sie treten am Tage ihrer Verabschiedung durch das Parlament oder in den Tagen danach in Kraft.

Beim Referendum gilt es zu unterscheiden, ob das dringliche Bundesgesetz über eine Verfassungsgrundlage verfügt oder nicht:

  • Bundesgesetze mit einer Verfassungsgrundlage unterstehen – sofern ihre Geltungsdauer über einem Jahr liegt – dem nachträglichen fakultativen Referendum (Art. 141 Abs. 1 Bst. b BV). Kommt das Referendum zustande, tritt das Gesetz ein Jahr nach seiner Annahme durch die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn es vom Volk nicht vorher gutgeheissen wurde (Art. 165 Abs. 2 BV).
  • Fehlt eine Verfassungsgrundlage, untersteht das Gesetz – sofern seine Geltungsdauer über einem Jahr liegt – dem nachträglichen obligatorischen Referendum (Art. 140 Abs. 1 Bst. c BV). Das Gesetz tritt ein Jahr nach seinem Erlass durch die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn es nicht innerhalb dieser Frist von Volk und Ständen angenommen wird (Art. 165 Abs. 3 BV).

 

Liste

Auf der Homepage der Bundeskanzlei ist eine Auflistung aller dringlichen Bundesbeschlüsse und -gesetze seit 1874 zu finden:

Übersicht Bundeskanzlei

Vor der Revision der Bundesverfassung von 1999 wurden dringliche rechtsetzende Erlasse in die Form des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses gekleidet, der dann dringlich erklärt, d. h. sogleich in Kraft gesetzt wurde. Das Dringlichkeitsrecht geht auf die Verfassung von 1874 zurück.

II.3. Exkurs: Notverordnungen und Notverfügungen

Nicht zu verwechseln sind die dringlichen Bundesgesetze mit den unmittelbar gestützt auf die Verfassung – d. h. ohne (formell-)gesetzliche Grundlage – erlassenen Notverordnungen oder Notverfügungen ( Art. 173 Abs. 1 Bst. c BV; Art. 184 Abs. 3 BV; Art. 185 Abs. 3 BV; Art. 7c ff. RVOG). Allen dreien ist gemeinsam, dass sie bei zeitlicher Dringlichkeit erlassen werden. In anderen Punkten unterscheiden sie sich jedoch wesentlich voneinander.

Gegenüberstellung

Eigenschaften​ ​Dringliche Bundesgesetze​ ​Notverordnungen
​Unterform​ohne Verfassungs-grundlage​mit Verfassungs-grundlage​zur Wahrung der inneren oder äusseren Sicherheit​zur Wahrung der Interessen des Landes
​Inhalt

​Rechtsetzende Bestimmungen
(z. B. Verbot bestimmter Aktivitäten)​

Voraus­setzung​zeitliche und sachliche Dringlichkeitzeitliche und sachliche Dringlichkeit​

​eingetretene oder unmittelbar drohende schwere Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit; zeitliche Dringlichkeit

Interessen des Landes sind gefährdet; zeitliche Dringlichkeit​

​Erlassen­des OrganBundesver­samm­lungBundesver­­samm­­lung​Bundesrat oder
Bundesver­samm­lung (Verordnungen des Bundesrates sind an restriktivere Voraussetzungen gebunden als jene der Bundesversammlung)
Bundesrat
​Referendum ​nachträgliches obligatorisches Referendum, falls die Geltungsdauer ein Jahr überschreitet​nachträgliches fakultatives Referendum, falls die Geltungsdauer ein Jahr überschreitet​Kein Referendum​Kein Referendum
Geltungs­dauer​Das Gesetz ist zu befristen. Bei einer Geltungsdauer von über einem Jahr tritt es ein Jahr nach dem Erlass durch die Bundesver­sammlung ausser Kraft, wenn es nicht innerhalb dieser Frist von Volk und Ständen angenommen wird.​Das Gesetz ist zu befristen. Liegt seine Geltungsdauer über einem Jahr und kommt ein Referendum zustande, tritt das Gesetz ein Jahr nach seiner Annahme durch die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn es vom Volk nicht vorher gutgeheissen wurden.Verordnungen des Bundesrates treten sechs Monate nach ihrem Inkrafttreten ausser Kraft, wenn der Bundesrat bis dann der Bundesversammlung keinen Entwurf 1. einer gesetzlichen Grundlage für den Inhalt der Verordnung oder 2. einer Notverordnung der Bundesversammlung, welche die Verordnung des Bundesrates ersetzt, unterbreitet hat. Die Verordnung der Bundesversammlung tritt spätestens drei Jahre nach ihrem Inkrafttreten ausser Kraft.​Die Verordnung ist zu befristen. Ihre Geltungsdauer darf vier Jahre nicht überschreiten. Sie kann vom Bundesrat verlängert werden, wenn die Regelung nach Ablauf von vier Jahren weiterhin Anwendung finden soll. Er muss aber zugleich ihre Ablösung durch eine ordentliche gesetzliche Regelung in die Wege leiten.
​Gesetzliche GrundlageArt. 165 sowie Art. 140 Abs. 1 Bst. c BVArt. 165 sowie Art. 141 Abs. 1 Bst. b BV ​Art. 173 Abs. 1 Bst. c BV, Art. 185 Abs. 3 BV, Art. 7d RVOGArt. 184 Abs. 3 BV, Art. 7c RVOG

Fakten und Zahlen

Faktenblatt: Gesetzgebung (PDF)

Quelle

Pierre Tschannen, Art. 165, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, Schulthess, Zürich/Basel/Genf 2014, S. 2694 ff.