Die Beratung von Erlassentwürfen folgt in beiden Räten dem Ablauf Eintretensdebatte, Detailberatung und Gesamtabstimmung. Bestehen nach der ersten Beratung Differenzen zwischen den Räten, werden diese im Differenzbereinigungsverfahren bereinigt.

I. Das Verfahren im Allgemeinen

Entwürfe zu Erlassen der Bundesversammlung werden grundsätzlich wie folgt beraten:

 

1. Erlassentwürfe werden mehrheitlich vom Bundesrat ausgearbeitet. Sie gehen auf sein Initiativrecht (Art. 7 RVOG) (1a) oder auf einen ihm mit einer Motion erteilten Auftrag des Parlaments zurück (Art. 120 ff. ParlG) (1b).

2. Ein Erlassentwurf kann auf Vorschlag eines Ratsmitglieds, einer Fraktion, einer Kommission (mittels einer  parlamentarischen Initiative, Art. 107 ff. ParlG) oder eines Kantons (mittels einer Standesinitiative, Art. 115 ff. ParlG) auch von einer Kommission ausgearbeitet werden. Bevor die zuständige Kommission mit der Ausarbeitung des Erlassentwurfes beginnen kann, benötigt sie die Zustimmung der Kommission des anderen Rates oder die Zustimmung beider Räte.

3. Der Vorentwurf wird in der Regel vom Bundesrat bzw. von der Kommission, die den Vorentwurf ausgearbeitet hat, in die Vernehmlassung geschickt (Art. 1 ff. VIG).

4. Nach der Vernehmlassung wird der Erlassentwurf fertig ausgearbeitet und den Räten zusammen mit der Botschaft bzw. dem Kommissionsbericht unterbreitet (Art. 97 bzw. Art. 112 Abs. 3 ParlG).

5. Die Räte beraten den Erlassentwurf nacheinander. Bei einem vom Bundesrat ausgearbeiteten Erlassentwurf legen die Ratspräsidentinnen oder -präsidenten fest, welcher Rat ihn zuerst behandelt; können sie sich nicht einigen, entscheidet das Los (Art. 84 Abs. 2 ParlG). Wurde der Erlassentwurf von einer Kommission ausgearbeitet, so ist der Rat, in dem der Entwurf ausgearbeitet wurde, der Erstrat.

6. Die zuständigen Sachbereichskommissionen beraten den Entwurf jeweils vor, stellen ihrem Rat Antrag und bestimmen einen Berichterstatter oder eine Berichterstatterin, der oder die ihre Anträge im Rat vertritt (Art. 44 Abs. 1 Bst. a und Abs. 2 ParlG; Art. 19 GRN; Art. 16 GRS).

7. Jeder Rat berät als Erstes, ob er auf den Erlassentwurf eintreten will (Eintretensdebatte, Art. 74 Abs. 1 ParlG). Hat er Eintreten beschlossen, berät er den Entwurf artikelweise (Detailberatung, Art. 74 Abs. 2 ParlG) und führt danach eine Gesamtabstimmung über den ganzen Erlass durch (Art. 74 Abs. 3 ParlG).

8. Bestehen nach der ersten Beratung eines Erlassentwurfs Differenzen zwischen den Räten, so gehen die abweichenden Beschlüsse des einen Rates zur Beratung an den anderen Rat zurück, bis eine Einigung erreicht ist (Differenzbereinigungsverfahren, Art. 89 Abs. 1 ParlG). Bestehen nach gesamthaft drei Beratungen in jedem Rat noch Differenzen, wird eine Einigungskonferenz eingesetzt (Art. 91 Abs. 1 ParlG). Diese stellt einen Einigungsantrag, der alle verbliebenen Differenzen gesamthaft bereinigt (Art. 92 Abs. 3 ParlG).

9. Handelt es sich beim Erlass um einen Bundesbeschluss, ein Gesetz oder eine Verordnung der Bundesversammlung, findet in der letzten Sitzung der Session eine Schlussabstimmung statt (Art. 81 Abs. 1 ParlG) (9a). Bei einfachen Bundesbeschlüssen hingegen wird keine Schlussabstimmung durchgeführt (9b).

10. Untersteht der Erlass dem obligatorischen Referendum, so wird er dem Volk und gegebenenfalls auch den Ständen zur Abstimmung unterbreitet (Art. 140 BV). Untersteht der Erlass dem fakultativen Referendum und wird dieses ergriffen, kommt es zu einer Volksabstimmung (Art. 141 BV) (10a). Einfache Bundesbeschlüsse und Verordnungen der Bundesversammlung unterstehen keinem Referendum (10b).

11. Untersteht der Erlass keinem Referendum, wird das fakultative Referendum nicht ergriffen oder wird der Erlass in der Referendumsabstimmung angenommen, wird er in der Amtlichen Sammlung mit dem Hinweis auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens veröffentlicht (Art. 2 PublG). Im Gegensatz zu den übrigen Erlassen werden einfache Bundesbeschlüsse nur auf Beschluss der Bundesversammlung in der Amtlichen Sammlung veröffentlicht (Art. 2 Abs. 1 Bst. h PublG).

Erlassentwürfe können sowohl in der parlamentarischen wie auch in der nachparlamentarischen Phase scheitern:

  • In der parlamentarischen Phase kann der Erlassentwurf an drei Punkten scheitern:
    • Nichteintreten oder Ablehnung in der Gesamtabstimmung: Beschliessen beide Räte oder beschliesst ein Rat zweimal, auf einen Erlassentwurf nicht einzutreten, wird dieser von der Geschäftsliste der Bundesversammlung gestrichen (Art. 95 Bst. a ParlG); die Ablehnung in der Gesamtabstimmung kommt einem Nichteintreten gleich (Art. 74 Abs. 5 ParlG). Ein im Rahmen einer parlamentarischen Initiative ausgearbeiteter Erlassentwurf scheitert bereits dann, wenn der Erstrat Nichteintreten beschliesst oder ihn in der Gesamtabstimmung ablehnt (Art. 114 Abs. 1bis ParlG).
    • Ablehnung des Antrags der Einigungskonferenz: Lehnt einer der Räte den Einigungsantrag ab, gilt die ganze Vorlage als nicht zustande gekommen (Art. 93 Abs. 2 ParlG).
    • Ablehnung in der Schlussabstimmung: Lehnen beide Räte oder lehnt ein Rat den Erlassentwurf in der Schlussabstimmung ab, ist der Erlassentwurf gescheitert (Art. 81 Abs. 4 ParlG).
  • Nachparlamentarische Phase: Untersteht der Erlass dem Referendum, so kann der Erlass auch in der Volksabstimmung verworfen werden. Falls die Vorlage Volk und Ständen unterbreitet wird, kann sie sowohl vom Volk wie auch von den Ständen abgelehnt werden. Einige Erlasse stützen sich auf Erlasse, welche dem Referendum unterstellt sind. Diese können indirekt aufgrund einer Volksabstimmung scheitern.

II. Parlamentarisches Verfahren in besonderen Fällen

II.1. Eintreten und Gesamtabstimmung

Bei Erlassentwürfen, deren Behandlung nicht unterlassen werden darf, ist Eintreten obligatorisch. Dies gilt für (Art. 74 Abs. 3 ParlG):

Ist Eintreten obligatorisch, so findet in der Regel keine Gesamtabstimmung statt (Art. 74 Abs. 4 ParlG).

Bei Voranschlägen und Rechnungen wird trotz obligatorischem Eintreten eine Gesamtabstimmung durchgeführt. Werden diese in der Gesamtabstimmung abgelehnt, so beschliessen die Räte Rückweisung an den Bundesrat (Art. 74 Abs. 5 ParlG).

II.2. Differenzbereinigung

II.2.1. Abgekürztes Verfahren

Wenn sich die abweichenden Beschlüsse der beiden Räte auf einen Beratungsgegenstand als Ganzes beziehen, so ist bereits die zweite Ablehnung durch einen Rat endgültig (Art. 95 ParlG). Dies kommt nicht nur bei der Eintretensfrage, sondern insbesondere auch bei der Genehmigung von völkerrechtlichen Verträgen, von Geschäftsberichten, von Bundesratsverordnungen und bei der Gewährleistung von Kantonsverfassungen zum Tragen.

II.2.2. Einigungskonferenz

Beim Voranschlag und bei den Nachträgen gilt, falls ein Rat den Antrag der Einigungskonferenz verwirft, der Beschluss der dritten Beratung, der den tieferen Betrag vorsieht, als angenommen (Art. 94 ParlG).

Beim Beschluss über den Finanzplan stellt die Einigungskonferenz zu jeder Differenz einen Einigungsantrag: Wird ein Antrag von einem Rat abgelehnt, so wird die entsprechende Bestimmung aus der Vorlage gestrichen (Art. 94a Abs. 2 ParlG).

Bei der Legislaturplanung wird die Einigungskonferenz bereits dann eingesetzt, wenn nach der ersten Beratung in jedem Rat Differenzen bestehen (Art. 94a Abs. 1 ParlG). Auch beim Bundesbeschluss über die Legislaturplanung stellt die Einigungskonferenz zu jeder Differenz einen Einigungsantrag (Art. 94a Abs. 2 ParlG).

Fakten und Zahlen

Faktenblatt: Verfahren bei Erlassentwürfen (PDF)