​Die Mitglieder des Bundesrates und der Bundeskanzler kommen – wie die Ratsmitglieder – in den Genuss der absoluten und der relativen Immunität. Zweck dieser Privilegien ist der Erhalt der Funktionsfähigkeit der Bundesbehörden.

Die Bundesversammlung kann die relative Immunität aufheben. In einem solchen Fall kann sie auch eine vorläufige Einstellung im Amt beschliessen, d. h. die betroffene Person suspendieren.

Art des SchutzesAbsolute ImmunitätRelative Immunität
SchutzbereichÄusserungen in den Räten und ihrer OrganeHandlungen im unmittelbaren Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit und Stellung
Schutz vorstrafrechtlicher und zivilrechtlicher Verfolgungstrafrechtlicher Verfolgung
Intensität
des Schutzes
Kann nicht aufgehoben werden und das Behördenmitglied kann auch nicht freiwillig darauf verzichten.Kann aufgehoben werden; das Behördenmitglied kann aber nicht freiwillig darauf verzichten.
TrägerRatsmitglieder, Mitglieder des Bundesrates und der Bundeskanzler. Ratsmitglieder, die Mitglieder des Bundesrates, der Bundeskanzler, die Mitglieder der eidgenössischen Gerichte, die Bundesanwältin oder der Bundesanwalt, die Stellvertretenden Bundesanwälte, die Mitglieder der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft und der Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte​.

I. Absolute Immunität

Die Mitglieder des Bundesrates und die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler geniessen für ihre Äusserungen in den Räten und ihren Organen eine absolute Immunität (Art. 162 Abs. 1 BV). Sie können für diese Äusserungen weder strafrechtlich noch zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Die absolute Immunität ist ein Funktionsschutz, d. h. deren Schutzzweck ist die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Bundesbehörden. Die Träger können somit nicht von sich aus auf sie verzichten. Sie kann auch nicht aufgehoben werden.

II. Relative Immunität

Für strafbare Handlungen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit und Stellung stehen, geniessen die Mitglieder des Bundesrates, der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin eine relative Immunität (Art. 14 Abs. 1 VG). Die relative Immunität schützt sie vor strafrechtlicher, nicht aber vor zivilrechtlicher Verfolgung.

Die relative Immunität ist wie die absolute Immunität ein Funktionsschutz. Der oder die Beschuldigte kann daher nicht von sich aus auf sie verzichten. Im Gegensatz zur absoluten Immunität kann die relative Immunität aber aufgehoben werden.

II.1. Das Ermächtigungsverfahren

Sobald die Strafverfolgungsbehörde ein Mitglied des Bundesrates oder den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin einer Straftat verdächtigt, muss sie ein Gesuch auf Aufhebung seiner Immunität einreichen. Die Aufhebung der Immunität stellt eine Prozessvoraussetzung dar, welche vor Beginn der Strafverfolgung erfüllt sein muss.

Zuständig für die Behandlung der Gesuche für die Aufhebung der Immunität sind die Immunitätskommission des Nationalrates (Art. 14 Abs. 1 VG; Art. 33cter GRN) und die Rechtskommission des Ständerates (Art. 14 Abs. 1 VG; Art. 28a GRS). Ist ein Gesuch auf Aufhebung der Immunität ungenügend begründet, können die Präsidentinnen oder Präsidenten der beiden Kommissionen das Gesuch im gegenseitigen Einvernehmen zur Nachbesserung an die Strafverfolgungsbehörde zurücksenden (Art. 14 Abs. 3 VG; Art. 17 Abs. 4 ParlG).

Die zwei Kommissionen beraten das Gesuch nacheinander. Bevor die Kommissionen einen Entscheid fällen, hören sie das beschuldigte Behördenmitglied an (Art. 14 Abs. 4 VG).

Die Kommissionen überprüfen in einem ersten Schritt, ob die beanstandete Handlung unter die relative Immunität fällt. Sie treten auf das Gesuch nicht ein, wenn die Handlung unter die absolute Immunität fällt oder wenn kein unmittelbarer Zusammenhang mit der amtlichen Stellung und Tätigkeit besteht. Wird dieser unmittelbare Zusammenhang verneint, kann die Strafverfolgungsbehörde die Strafverfolgung aufnehmen.

 

 

Treten die Kommissionen auf das Gesuch ein – d. h. kommen sie zum Schluss, dass die inkriminierende Tätigkeit in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der amtlichen Stellung und Tätigkeit steht –, überprüfen sie in einem zweiten Schritt, ob die Immunität aufzuheben ist. Zunächst geht es um die Frage, ob ein Straftatbestand vorliegen könnte. Ist dies nicht der Fall, heben sie die Immunität nicht auf. Könnte jedoch ein Straftatbestand gegeben sein, wägen die Kommissionen zwischen dem öffentlichen Interesse an der ungehinderten Ausübung des parlamentarischen Mandats und dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung ab. Überwiegt das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung, heben die Kommissionen die Immunität auf.

Beschliessen die Kommissionen, die Immunität aufzuheben, können sie die Verfolgung und Beurteilung einer strafbaren Handlung, die der kantonalen Gerichtsbarkeit untersteht, den Strafbehörden des Bundes übertragen, wenn das den Umständen des Falles zufolge als gerechtfertigt erscheint (Art. 14 Abs. 3 VG; Art. 17 Abs. 2 ParlG). Die Vereinigte Bundesversammlung kann für einen solchen Fall eine ausserordentliche Bundesanwältin oder einen ausserordentlichen Bundesanwalt wählen (Art. 14 Abs. 3 VG; Art. 17 Abs. 3 ParlG).

Bei abweichenden Beschlüssen der beiden Kommissionen ist die zweite Ablehnung (Nichteintreten oder Nichtaufhebung) durch eine Kommission endgültig (Art. 14 Abs. 3 VG; Art. 17a Abs. 2 ParlG).

Die Entscheide der Kommissionen sind endgültig (Art. 14 Abs. 3 VG; Art. 17a Abs. 5 ParlG).

II.2. Vorläufige Einstellung im Amt

Beschliessen die Kommissionen, die Immunität eines Mitgliedes des Bundesrates oder des Bundeskanzlers oder der Bundeskanzlerin aufzuheben, können sie in einer gemeinsamen Sitzung als Kommission der Vereinigten Bundesversammlung die vorläufige Einstellung im Amt beantragen (Art. 14 Abs. 5 VG). Folgt die Vereinigte Bundesversammlung diesem Antrag, ist die Magistratsperson bis Abschluss des Strafverfahrens von ihrem Amt suspendiert.

Historisches und weiterführende Informationen

Ursprünglich kamen die Magistratspersonen auch in den Genuss der Unantastbarkeit: Während ihrer Amtszeit konnte ein Strafverfahren für Verbrechen und Vergehen, welche nicht im Zusammenhang mit ihrer amtlichen Stellung und Tätigkeit standen, nur mit ihrer Zustimmung oder mit der Ermächtigung ihrer Behörde eingeleitet werden. Diese Garantie für die Ausübung des Amtes wurde 2011 aufgehoben.

Bis im Dezember 2011 waren alle Handlungen, welche im Zusammenhang mit der amtlichen Stellung und Tätigkeit standen, durch die relative Immunität geschützt und nicht nur jene, die in einem unmittelbaren Zusammenhang standen.

Die Immunität wurde zudem bis 2011 nicht von Kommissionen, sondern von den Räten aufgehoben; die Kommissionen berieten die Gesuche lediglich vor.

Quellen

  • Zum Funktionsschutz, vgl. Giovanni Biaggini, Art. 162 N 10, in: Giovanni Biaggini, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Kommentar, Orell Füssli Verlag AG 2007.​
  • Zur Prozessvoraussetzung, vgl. Arrêt du 18 novembre 2008 Ire Cour des plaintes.