(sda) Die Schweiz soll die Personenfreizügigkeit auf Kroatien ausdehnen. Darin sind sich National- und Ständerat einig. Umstritten ist noch, ob erst eine Lösung zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative vorliegen muss.

Der Nationalrat will den Bundesrat ohne Auflagen zur Ratifikation des Kroatien-Protokolls ermächtigen. Er hat es am Mittwoch mit 116 zu 68 Stimmen bei 10 Enthaltungen abgelehnt, dem Ständerat zu folgen, der eine Bedingung einbauen möchte.

Nein sagte der Nationalrat auch zu einer offener formulierten Bedingung, wie sie seine vorberatende Kommission vorgeschlagen hatte. Der Vorschlag der Kommission scheiterte mit 121 zu 69 Stimmen bei 3 Enthaltungen. Die Vorlage geht nun zurück an den Ständerat. Dieser muss entscheiden, ob er an der Bedingung festhält.

Bedingung statt Absichtserklärung

Der Bundesrat selbst hatte erklärt, das Kroatien-Protokoll erst dann ratifizieren zu wollen, wenn der Normenkonflikt zwischen der Bundesverfassung und dem Freizügigkeitsabkommen gelöst ist. Der Ständerat beschloss aber, die Bedingung explizit im Parlamentsbeschluss zu verankern. Damit will er verhindern, dass der Bundesrat dem Druck der Forschung nachgibt und das Protokoll am Ende doch ratifiziert, bevor eine Lösung vorliegt.

Das Misstrauen wurde damit erklärt, dass Bundespräsident Johann Schneider-Ammann dies als Möglichkeit erwähnt habe. Die Bedingung soll verhindern, dass die Verfassung verletzt wird: Gemäss dem Zuwanderungsartikel in der Verfassung dürfen keine neuen völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen werden, die der Bestimmung widersprechen.

Formulierung umstritten

Der Ständerat will den Bundesrat ermächtigen, das Protokoll zu ratifizieren, "wenn mit der EU eine mit der Bundesverfassung vereinbare Regelung zur Steuerung der Zuwanderung besteht". Streng genommen ist die Bedingung nur dann erfüllt, wenn die Schweiz und die EU eine einvernehmliche Lösung finden. Ob das gelingt, ist ungewiss.

Die Nationalratskommission schlug daher eine andere Formulierung vor. Sie wollte den Bundesrat dann ermächtigen, "wenn eine Regelung besteht, die die Vorgaben der schweizerischen Rechtsordnung mit denjenigen des Personenfreizügigkeitsabkommens in Einklang bringt". Diese Formulierung hätte berücksichtigt, dass es für die Lösung des Normenkonfliktes verschiedene Möglichkeiten gibt, darunter auch eine Verfassungsänderung.

Keine Mehrheit für Bedingung

Im Nationalrat fand der Vorschlag aber keine Mehrheit. CVP, FDP, GLP und Grüne sprachen sich dagegen aus, dem Bundesrat Auflagen zu machen. Als Grund wurde die Sorge um die Forschungszusammenarbeit genannt, die gefährdet sei, wenn die Schweiz die Personenfreizügigkeit nicht rasch auf Kroatien ausdehne. "Das können wir uns nicht leisten", befand Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP/BL).

Walter Müller (FDP/SG) plädierte dafür, dem Bundesrat zu vertrauen. Um der bedingungslosen Genehmigung zum Durchbruch zu verhelfen, stimmte die FDP zunächst für die strengere Bedingung des Ständerates. Für diese machte sich die SVP stark. Die Version des Ständerats räume der Verfassung höhere Priorität ein, argumentierte Maximilian Reimann (SVP/AG). Die Version der Kommission sei schwammig.

Unübliches Vorgehen

Aus Sicht des Bundesrates hätte es sich bei der Kommissionsversion um eine "Präzisierung" gehandelt, wie Justizministerin Simonetta Sommaruga sagte. Ob eine Bedingung nötig sei, müsse das Parlament beurteilen. Eine solche in einem Bundesbeschluss zu verankern, sei eher unüblich.

Eher unüblich sei allerdings auch, dass der Bundesrat dem Parlament einen Vertrag zur Genehmigung unterbreite, bevor die Voraussetzungen zur Ratifikation gegeben seien. Der Bundesrat habe das wegen des Zeitdrucks getan. Klar sei jedoch, dass die Ratifikation des Kroatien-Protokolls eine Lösung des Normenkonflikts voraussetze. Der Bundesrat müsse die Verfassung einhalten. Das gelte auch für das Parlament.

Gleichbehandlung aller EU-Staaten

Nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative hatte der Bundesrat zunächst erklärt, das Kroatien-Protokoll nicht unterzeichnen zu können. Brüssel sistierte darauf die Teilnahme der Schweiz an der europäischen Forschungszusammenarbeit Horizon 2020. Später wurden die beiden Themen in einem Übergangsabkommen miteinander verknüpft.

Im vergangenen März unterzeichnete die Schweiz dann das Kroatien-Protokoll. Nach Gesprächen mit der EU über mögliche Anpassungen der geltenden Regeln sah der Bundesrat die Voraussetzungen für diesen Schritt erfüllt.

Wird das Kroatien-Protokoll bis zum 9. Februar 2017 ratifiziert, ist die Schweiz automatisch voll assoziiertes Mitglied der europäischen Forschungszusammenarbeit Horizon 2020. Die EU akzeptiert keine Diskriminierung von Mitgliedsstaaten und verlangt deshalb die Ausdehnung der seit 2002 geltenden Personenfreizügigkeit auf das jüngste Mitglied Kroatien.