(sda) Der Nationalrat öffnet die Tür in der umstrittenen Frage der Genom-Editierung einen Spalt breit. Der Bundesrat soll bis Mitte 2024 Zulassungsregeln vorlegen, wie gentechnisch veränderte Organismen ohne transgenes Erbmaterial vom Moratorium ausgenommen werden können.

Der Ständerat hatte in der Wintersession mit Stichentscheid des Präsidenten beschlossen, diese Kategorie vom Gentech-Moratorium auszunehmen. Die kleine Kammer wird sich erneut über diese Frage beugen und entscheiden, ob sie dem Kompromissvorschlag des Nationalrats vom Mittwoch folgen will.

Dieser schwenkte im Rahmen der Differenzbereinigung zum Bundesgesetz über die Gentechnik im Ausserhumanbereich mit 112 zu 74 Stimmen auf den Entwurf seiner Kommission für Wirtschaft, Bildung und Kultur (WBK-N) ein. Im September hatte die grosse Kammer der Verlängerung des Gentech-Moratoriums bis Ende 2025 ohne Ausnahmen noch sehr deutlich mit 144 zu 35 Stimmen zugestimmt.

Nur bei Mehrwert für Landwirtschaft und Umwelt

Die knappe Mehrheit der WBK-N schlug nun als Kompromiss vor, dass der Bundesrat bis Mitte 2024 eine risikobasierte Zulassungsregelung vorlegen soll, wie gentechnisch veränderte Organismen ohne transgenes Erbmaterial vom Moratorium ausgenommen werden können. Dies allerdings nur, sofern sie einen Mehrwert hätten für Landwirtschaft, Umwelt und Konsumierende gegenüber herkömmlichen Züchtungsmethoden. Die Mehrheit möchte so "die Tür für diese Technologien nicht geschlossen halten", wie sie es formulierte.

Eine erste Minderheit wollte sicherstellen, dass eine solche Zulassungsregelung die Koexistenz sicherstelle, die Fragen der Verantwortlichkeiten regle und die Wahlfreiheit der Konsumentinnen und Konsumenten garantiere. Der Nationalrat lehnte dies jedoch deutlich ab und verzichtete auf den Einbau dieses Zusatzes.

Eine andere Minderheit wollte beim Entscheid des Nationalrates vom vergangenen Herbst bleiben und damit dem Bundesrat folgen. Umweltministerin Simonetta Sommaruga warnte eindringlich aber vergeblich davor, das Moratorium aufzuweichen, bevor die Resultate der insgesamt drei von den Räten bestellten Prüfaufträge in dieser Sache vorlägen. "Der Bundesrat möchte zuerst solide Grundlagen".

Vergeblicher Widerstand von links

Sprecherinnen und Sprecher der Ratslinken stemmten sich ebenfalls vergeblich gegen den sich abzeichnenden Paradigmenwechsel. Der radikale Umschwung sei "unseriös und fahrlässig", kritisierte Meret Schneider (Grüne/ZH). Erlaubt wären ab sofort auch hochgradig umstrittene Methoden.

Es gebe noch zu wenig verlässliche Studien zur Interaktion der gentechnisch veränderten Pflanzen mit den existierenden Kulturen, sagte Valentine Phyton (Grüne/VD). Ebenso wenig gebe es den von den bürgerlichen Befürwortern behaupteten wissenschaftlichen Konsens. "Eine Pflanze ist mehr als die Summe ihrer Bestandteile."

"Schweizerinnen und Schweizer wollen keine Gentechnik auf dem Teller", betonte Emmanuel Amoos (SP/VS). Dies zeigten Umfragen, wonach vier von fünf Befragten sich für eine bedingungslose Verlängerung des Moratoriums aussprechen. Zudem setze man mit der Aufweichung die gute Marktposition der Landwirtschaft aufs Spiel.

"Endlich bewegt sich etwas"

Diese hat unterdessen aber eine Kehrtwende vollzogen, wie Alois Huber (SVP/AG) zu bedenken gab. Mit der Abkehr von den alten, ungenauen Züchtungsmethoden würden Mutationen möglich, die sich letztlich nicht von natürlichen Mutationen unterschieden. Das erhöhe die Erfolgsgarantie. Auch namhafte Forscher in der Biolandwirtschaft hätten das Potenzial des Genom-Editing erkannt.

"Endlich bewegt sich etwas", freute sich Christian Wasserfallen (FDP/BE). Dem Kompromiss der vorberatenden Kommission sei ein hartes Ringen vorausgegangen. Es sei nicht einsichtig, weshalb man die viel unpräzisere traditionelle Mutagenese schon lange bedenkenlos anwende in der Pflanzenzucht, sich aber gleichzeitig gegen die viel gezieltere Genom-Editierung sträube.

Das geltende Gen-Moratorium ist Ende 2021 ausgelaufen. Dies stellt jedoch gemäss dem Kommissionssekretariat kein Problem dar. Die Verwaltung werde einfach keine Versuchsprojekte bewilligen, solange das Gesetz nicht bereinigt sei, hiess es seinerzeit auf Anfrage.

Vierte Verlängerung

Generell würde das Gentech-Moratorium in der Landwirtschaft nach der grundsätzlichen Zustimmung im Stände- und im Nationalrat bereits zum vierten Mal verlängert. Das Moratorium besteht seit 2005 nach dem Ja zu einer Volksinitiative. Gentechnisch veränderte Organismen dürfen in der Schweiz deshalb im Moment nur zu Forschungszwecken angebaut werden.

Die lange schroffe Ablehnung weicht sich indes zunehmend auf. So hat etwa der neu gegründete Verein "Sorten für morgen" eine weitere Verlängerung des Moratoriums um vier Jahre als "keine Zukunftsstrategie" bezeichnet. Dem Verein gehören unter anderen die Grossverteiler Migros und Coop, die Agrargenossenschaft Fenaco oder die Obst-, Gemüse- und Kartoffelproduzenten an.