(sda) Gesundheitskosten: Eine knappe Mitte-Links-Mehrheit im Nationalrat hat gesetzlich festgelegten Kosten- und Qualitätszielen im Gesundheitswesen knapp zugestimmt. Damit soll das Prämienwachstum eingedämmt werden. Nach einer fast sechsstündigen Debatte - über zwei Tage verteilt - beschloss die grosse Kammer am Mittwoch einen indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative "Für tiefere Prämien - Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)". In der Gesamtabstimmung wurden die verschiedenen Änderungen im Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) mit 104 zu 74 Stimmen bei 5 Enthaltungen angenommen. Die Mitte-Partei, welche die Initiative lanciert hatte, erzielte damit einen Teilerfolg. Das Volksbegehren selbst war im Nationalrat indes chancenlos. Mit 156 zu 28 Stimmen empfiehlt die grosse Kammer die Kostenbremse-Initiative Volk und Ständen zur Ablehnung. Initiative und Gegenvorschlag gehen an den Ständerat.

Familien: Der Bund soll nach dem Willen des Nationalrats die familienergänzende Kinderbetreuung auch weiterhin fördern. Die grosse Kammer hat sich mit 138 zu 35 Stimmen bei 15 Enthaltungen für eine Verlängerung des Impulsprogramms zur Schaffung von Krippenplätzen ausgesprochen. Die Vorlage der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats (WBK-N) geht nun an den Ständerat. Hintergrund der Pläne für eine Verlängerung bis 2024 ist, dass eine Anschlusslösung voraussichtlich erst 2025 in Kraft treten kann.

Hassverbrechen: Der Bundesrat soll mit einem nationalen Aktionsplan Massnahmen zur Unterstützung und zum Schutz von Opfern von LGBTQ-feindlichen Gewaltverbrechen treffen. Dieser Meinung ist der Nationalrat. Er hat ein entsprechendes Postulat deutlich angenommen. Mit 105 zu 64 Stimmen bei 16 Enthaltungen stimmte die grosse Kammer für den Vorstoss von Angelo Barrile (SP/ZH). Damit erhält der Bundesrat den verbindlichen Auftrag, einen nationalen Aktionsplan auszuarbeiten. Zuerst wolle sie mit den Kantonen und Gemeinden aber die Zuständigkeiten klären, so die Regierung.

Rauchen: Der Nationalrat will Zigaretten mit einem charakteristischen Aroma, etwa Mentholzigaretten, sowie eine Reihe von Zusatzstoffen in Rauchwaren verbieten. Er hat einer entsprechenden Motion von Benjamin Roduit (Mitte/VS) mit 89 zu 81 Stimmen bei 15 Enthaltungen zugestimmt. Der Vorstoss geht an den Ständerat. Roduit argumentiert mit dem Jugendschutz. Zusatzstoffe erhöhten das Suchtpotenzial. In der EU gilt ein Verbot, wie es Roduit möchte. Der Bundesrat hatte argumentiert, bei der Beratung des Gegenvorschlags zur später angenommenen Initiative "Kinder ohne Tabak" vom Parlament nicht gewünscht worden.

Gebärdensprache: Der Nationalrat will die drei in der Schweiz genutzten Gebärdensprachen gesetzlich anerkennen und dazu ein eigenes Gesetz schaffen. Er hat eine Motion seiner Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK-N) angenommen. Der Entscheid in der grossen Kammer fiel mit 134 zu 32 Stimmen bei 13 Enthaltungen. Der Vorstoss geht an den Ständerat. Gegenstand des Gesetzes soll neben der Anerkennung und Förderung der Gebärdensprachen auch die Chancengleichheit in den Bereichen Information, Kommunikation, politische Mitwirkung, Dienstleistungen, Bildung, Arbeit, Kultur und Gesundheit sein.

Altersvorsorge: Der Ständerat muss sich nochmals mit der Modernisierung der Aufsicht über die AHV, die Ergänzungsleistungen (EL), die Erwerbsersatzordnung (EO) und die Familienzulagen in der Landwirtschaft befassen. Der Nationalrat hat bei der zweiten Beratung der Vorlage oppositionslos an der letzten verbliebenen Differenz festgehalten. Er will Regierungsmitglieder und Verwaltungsmitarbeitende aus kantonalen Departementen, die mit Fragen der zweiten Säule betraut sind, weiterhin von regionalen Aufsichtsgremien über die berufliche Vorsorge ausschliessen. Der Ständerat stellt sich bislang gegen diese Einschränkung.

Gesundheit: Das Parlament will die Versorgungslücken bei Menschen mit seltenen Krankheiten schliessen. Der Nationalrat hat als Zweitrat oppositionslos eine Motion der Gesundheitskommission des Ständerats (SGK-S) überwiesen. Nun ist der Bundesrat am Zug. Er soll eine gesetzliche Grundlage schaffen, damit die Massnahmen des nationalen Konzepts seltene Krankheiten (NKSK) auch finanziell abgesichert sind. Dabei soll er sich mit den Kantonen abstimmen. Zusätzlich will der Nationalrat den Dachverband der Patientenorganisationen für seltene Krankheiten Proraris stärken. Diese Motion geht noch an den Ständerat.

Daten: Der Bundesrat muss dem Parlament Lösungsansätze vorlegen, wie die Bereitstellung persönlicher Daten auf anonymer Basis zur Nutzung im öffentlichen Interesse gefördert werden kann. Der Nationalrat hat ein entsprechendes Postulat von Judith Bellaiche (GLP/ZH) an die Regierung überwiesen - mit 108 zu 81 Stimmen bei 2 Enthaltungen. Die freiwillige Datenspende soll insbesondere für die Forschung im Gesundheitswesen verwendet werden. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats, weil er dem Anliegen bereits Rechnung trage. Er arbeite an Lösungsansätzen, die unter anderem die Frage einer Datenspende berücksichtigen.

Invalidenversicherung: Bei der Berechnung des Invaliditätsgrads sollen künftig die realistischen Einkommensmöglichkeiten berücksichtigt werden. Der Nationalrat hat oppositionslos eine entsprechende Motion seiner Sozialkommission (SGK-N) angenommen. Stimmt auch der Ständerat dem Vorstoss zu, muss der Bundesrat bis zum 30. Juni 2023 seine IV-Bemessungsgrundlage präzisieren. Gemäss Motionstext soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Menschen mit Behinderungen aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung auch bei Hilfstätigkeiten auf tiefstem Kompetenzniveau gewisse Arbeiten nicht ausführen können und dass das Lohnniveau auch bei ihnen zumutbaren Tätigkeiten tiefer ist als bei gesunden Personen.

Landwirtschaft: Der Nationalrat will den Fonds für Familienzulagen in der Landwirtschaft aufheben. Der Fonds erwirtschaftet seit 2018 keine Zinsen mehr, mit denen die Beiträge der Kantone zur Finanzierung der Familienzulagen reduziert werden könnten. Die grosse Kammer hat der Auflösung des Fonds oppositionslos zugestimmt. Als nächstes ist der Ständerat am Zug. Stimmt er dem geänderten Bundesgesetz über die Familienzulagen in der Landwirtschaft ebenfalls zu, ist die Vorlage unter Dach und Fach. Der Fonds verfügt aktuell über ein Kapital von 32,4 Millionen Franken. Das Geld soll an die Kantone verteilt werden.

E-Rezept: Der Nationalrat will, dass Rezepte für Heilmittel künftig grundsätzlich elektronisch ausgestellt und digital verschickt werden. Der Bund soll dazu die gesetzlichen Grundlagen schaffen. Die grosse Kammer hat mit 155 zu 29 Stimmen bei 5 Enthaltungen eine entsprechende Motion von Regine Sauter (FDP/ZH) angenommen. Der Vorstoss geht an den Ständerat. Sauter argumentiert, E-Rezepte verminderten das Risiko von Fehlern und dienten der Effizienz.

Rechtsmedizin: Ärztinnen und Ärzte sollen nach dem Willen des Nationalrats nach dem Tod von Patienten leichter Einsicht in rechtsmedizinische Gutachten erhalten. Der Nationalrat hat eine entsprechende Motion von Ruth Humbel (Mitte/AG) mit 115 zu 70 Stimmen bei 5 Enthaltungen angenommen. Heute ist eine Einsicht nur mit Zustimmung der Angehörigen möglich. Humbel argumentiert, dadurch werde es erschwert, Notsituationen aufzuarbeiten und aus Fehlern zu lernen. Dies schade der Patientensicherheit. Der Vorstoss geht an den Ständerat.

Häusliche Gewalt: Der Bund soll nach dem Willen des Nationalrats statistisch erfassen, wie viele Kinder in der Schweiz als Zeugen indirekt von häuslicher Gewalt betroffen sind. Die grosse Kammer hat eine entsprechende Motion von Christine Bulliard-Marbach (Mitte/FR) mit 111 zu 75 Stimmen bei 3 Enthaltungen angenommen. Der Vorstoss geht an den Ständerat. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die bestehenden Statistiken ausreichen.

Impfstoff-Herstellung: Der Bundesrat muss das Programm "Leute für Lonza" evaluieren und dazu einen Bericht vorlegen. Der Nationalrat hat oppositionslos ein entsprechendes Postulat seiner Geschäftsprüfungskommission (GPK-N) gutgeheissen. Mit dem im April 2021 lancierten Programm stellte der Bund dem Unternehmen befristet Fachleute aus der Bundesverwaltung zur Verfügung und unterstützte es bei der Rekrutierung von Personal für die Produktion von Impfstoff gegen Covid-19 am Standort in Visp VS. Geklärt werden soll unter anderem, ob für künftige derartige Programme die Rechtsgrundlagen angepasst werden müssen.

Komplementärmedizin: Der Bund soll nach dem Willen des Nationalrats die Komplementärmedizin bei der Bekämpfung von Pandemien stärker einbeziehen. Die grosse Kammer hat eine entsprechende Motion von Edith Graf-Litscher (SP/TG) teilweise angenommen. Mit den Stimmen der Linken und der SVP hiess sie zwei von vier Punkten des Vorstosses gut. Dabei geht es um eine Ergänzung des Pandemieplans sowie die Vertretung der Komplementärmedizin in Fachgremien des Bundes. Die Motion geht an den Ständerat.

Die Traktanden des Nationalrats für Donnerstag, 2. Juni (08:00 bis 13:00):

Bern Differenzen zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes (21.039)
Motionen für Ausbau von Fotovoltaikanlagen (22.3386; 22.3387)
Motion für vereinfachter Wechsel auf moderne Heizsysteme (22.3388)
Parlamentarische Vorstösse aus dem Uvek (gebündelte Abstimmungen)
Parlamentarische Initiativen erste Phase (gebündelte Abstimmungen um circa 12:45)