(sda) Die Schweiz erhält keine Grundlage im Gesetz zur Verhängung eigenständiger Sanktionen. Der Nationalrat ist am Donnerstag auf die Linie des Ständerats eingeschwenkt und hat auf eine entsprechende Bestimmung verzichtet. Im Schweizer Sanktionenrecht gibt es damit keinen Paradigmenwechsel.

Mit 103 zu 83 Stimmen folgte die grosse Kammer bei der Revision des Embargogesetzes am Donnerstag dem Antrag einer knappen Mehrheit ihrer Aussenpolitischen Kommission (APK-N). Das Geschäft ist damit bereit für die Schlussabstimmung.

Noch in der Sommersession hatte sich der Nationalrat vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine dafür ausgesprochen, dass die Schweiz Personen und Entitäten, etwa Unternehmen, die an schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts oder der Menschenrechte beteiligt sind, eigenständig sanktionieren kann. Die Kompetenz dazu hätte der Bundesrat erhalten.

Der Ständerat sprach sich zweimal gegen eigenständige Sanktionen aus, zuletzt in der zweiten Woche der laufenden Herbstsession.

Ausweitung bestehender Sanktionen

Heute kann die Schweiz nur Sanktionen der Uno, der EU oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernehmen. Gestützt auf das Embargogesetz werden diese durchgesetzt.

Beschlossen hat das Parlament nun nur relativ geringfügige Änderungen im Sanktionenrecht. Anlass war ursprünglich, dass der Bundesrat ein 2015 infolge der russischen Invasion auf der Krim erlassenes Verbot von Waffenimporten aus Russland und der Ukraine verlängern wollte. Die Botschaft ans Parlament verabschiedete die Landesregierung bereits 2019.

Der Entwurf sah lediglich vor, dass der Bundesrat übernommene Sanktionen auf weitere, davon nicht erfasste Staaten ausweiten können solle, wenn das Interesse des Landes dies erfordere. Dies haben die Räte nun beschlossen. Sie entschieden zudem, dass eine solche Ausweitung auch in Bezug auf Personen möglich sein solle.

Mitte ändert ihre Haltung

Als entscheidend in der Diskussion über eigenständige Schweizer Sanktionen erwies sich das Umschwenken der Mitte. Bei der ersten Beratung der Revision des Embargogesetzes in der grossen Kammer hatte die Mitte-Fraktion eigenständige Sanktionen noch mitgetragen, am Donnerstag taten dies nur noch SP, Grüne und Grünliberale.

Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte/BL) bekräftigte zwar die Forderung nach einer eigenständigen Sanktionspolitik und kritisierte die grundsätzlich ablehnende Haltung des Bundesrats. Gestützt auf die Verfassung seien eigenständige Sanktionen schliesslich schon heute möglich. Letztlich gehe es nur um eine rechtliche Klärung.

Schneider-Schneiter äusserte aber Verständnis für die rechtsstaatlichen Bedenken, die im Ständerat laut geworden waren. Ihre Fraktion werde der Mehrheit folgen, kündigte sie an. Dies geschehe aber in der Erwartung, dass die Frage in anderem Rahmen vertieft geprüft werde.

Sorge um die Neutralität

Die Gegnerinnen und Gegner einer Neuregelung argumentierten insbesondere, eigenständige Sanktionen wären mit gravierenden Auswirkungen auf die Neutralität verbunden.

Auch der Bundesrat stellte sich gegen einen Paradigmenwechsel. Wirtschaftsminister Guy Parmelin warnte ein weiteres Mal vor reiner Symbolpolitik. Sanktionen, welche die Schweiz alleine ergreifen würde, wären wenig wirksam und hätten Gegenmassnamen zur Folge.

Die Erfahrungen aus Grossbritannien und den USA mit derartigen Sanktionen zeigten zudem, dass es schwierig sei, diese so auszugestalten, dass sie der gerichtlichen Überprüfung standhielten. Es drohten lange Prozesse.

Parmelin gab zudem zu bedenken, es fehlten klare Kriterien. Es sei unklar, wen die Schweiz sanktionieren sollte und wen nicht. Dies werde sowohl innenpolitisch als auch aussenpolitisch zu Diskussionen und Druck führen.

Ein Paradigmenwechsel dürfe nicht ohne vertiefte Diskussion zur Neutralität und ohne Vernehmlassung erfolgen, sagte Petra Gössi (FDP/SZ). Letztlich gehe es um die Interessen der Schweiz. Mit Alleingängen seien diese nicht zu wahren.

Mit der Neuregelung würde eine politische Justiz eingeführt, kritisierte Yves Nidegger (SVP/GE). Die Strafe würde einem Gerichtsurteil gegen die Betroffenen vorausgehen.

Gezielt die Mächtigen treffen

Die Befürworterseite wandte dagegen ein, es gehe nicht um Sanktionen gegen Staaten. Insofern bestehe neutralitätsrechtlich kein Problem.

Personenbezogene Sanktionen seien das beste Mittel, um Verletzungen der Menschenrechte zu ahnden, sagte Fabian Molina (SP/ZH). Denn sie träfen nicht die Bevölkerung, sondern gezielt einen Machtklüngel. Angesichts einer immer anarchischer werdenden Staatenwelt habe die Schweiz ein Interesse an der Durchsetzung völkerrechtlicher Regeln.

Roland Fischer (GLP/LU) betonte, die Schweiz brauche angesichts der Bedeutung des Schweizer Finanzplatzes Handlungsspielraum. Denn es sei durchaus möglich, dass eine Person nicht auf einer Sanktionsliste stehe, deren Sanktionierung im Landesinteresse sei.

Nationalrat will Antworten vom Bundesrat

Abgeschlossen ist die Diskussion um die Ausrichtung der Schweizer Sanktionspolitik mit dem Entscheid zum Embargogesetz aber nicht.

Denn der Nationalrat nahm gleichentags eine Motion seiner Aussenpolitischen Kommission (APK-N) mit 101 zu 84 Stimmen an. Er verlangt vom Bundesrat konkrete Vorschläge für eine umfassende und eigenständige Sanktionspolitik angesichts des Ukraine-Kriegs.

Die Befürworterinnen und Befürworter der Motion sind der Ansicht, zur Wahrung der Landesinteressen reiche die Übernahme von EU-Sanktionen nicht aus. Als Problemfelder nannten sie unter anderem nachrichtendienstliche Tätigkeiten durch russische Diplomaten in der Schweiz oder die aktive Suche nach Vermögenswerten sanktionierter Personen.

Der Vorstoss geht an den Ständerat. Im Einklang mit der früheren Ankündigung Schneider-Schneiters stimmte die Mitte bei diesem Geschäft mit der Linken und der GLP.