Im Nationalrat waren die Fronten von Anfang an klar, und die Stimmenverhältnisse knapp. Mit 98 zu 93 Stimmen bei einer Enthaltung stellte er sich hinter das Gesetz über die Individualbesteuerung. Der Bundesrat hatte es im Auftrag des Parlaments vorgelegt. Dafür stimmten SP, FDP, Grüne und GLP. Dagegen votierten SVP und Mitte.
Noch kein Entscheid über Parole
Das Gesetz ist der indirekte Gegenvorschlag zur von den FDP Frauen eingereichten Steuergerechtigkeits-Initiative "für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung". Über die Parole will der Rat erst nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen über den Gegenvorschlag entscheiden.
Im Nationalrat standen fünf alternative Konzepte zur Vorlage zur Debatte. Sie wurden alle abgelehnt. Der Rat folgte dem Antrag der Kommissionsmehrheit.
Heute werden in der Schweiz Verheiratete und gleichgeschlechtliche Paare, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, gemeinsam besteuert. Gehen beide Personen einer Erwerbstätigkeit nach, müssen sie wegen der Progression teilweise höhere Steuern bezahlen als Konkubinatspaare mit getrennten Veranlagungen.
Die Befürworterseite der Individualbesteuerung im Nationalrat hofft nicht nur auf eine Abschaffung der Heiratsstrafe. Sie will auch, dass Zweitverdiener und -verdienerinnen vermehrt einen Job annehmen, mit Blick auf den Fachkräftemangel. Verheiratete Zweitverdiener, meist Frauen, soll die Individualbesteuerung finanziell eigenständiger machen.
Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft
Die Minderheit wollte am Verständnis der Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft festhalten. Auch warnte sie vor dem grossen Aufwand, das System umzustellen, sowohl für die Behörden als auch für die Steuerpflichtigen. Denn individuell besteuern soll nicht nur der Bund, sondern auch die Kantone und die Gemeinden.
Der Kinderabzug soll von heute 6700 auf 12'000 Franken erhöht werden. Der Bundesrat erwartet, dass mit der Umstellung aus der direkten Bundessteuer rund eine Milliarde Franken weniger im Jahr fliessen wird. Die Linke und die GLP wollten diese Verluste begrenzen, drangen aber nicht durch.
Franziska Ryser (Grüne/SG) wollte eine Reform ohne Mindereinnahmen. Die GLP wollte die Verluste auf höchstens 500 Millionen Franken begrenzen. Katja Christ (GLP/BS) beantragte für zehn Jahre eine entsprechende höhere Progression, als Übergangslösung. Danach sollte zum Modell des Bundesrats übergegangen werden.
Keine Aufnahme der Kita-Vorlage
Die Sp wiederum wollte die Chance nutzen für eine Vorlage zur Förderung des Arbeitskräftepotenzials und echte Gleichstellung, wie Cédric Wermuth (SP/AG) sagte. Er forderte, die Kinderbetreuung in die Vorlage aufzunehmen: "Familienexterne Kinderbetreuung wird viel entscheidender sein für die Förderung der Erwerbsarbeit." Auch der SP-Minderheitsantrag hatte keine Chance.
Die Svp und die Mitte-Partei wollten an der Ehe als wirtschaftliche Gemeinschaft festhalten. "Wir kreieren hier ein System, das ein Problem lösen würde, aber eine neue Steuerstrafe für rund 600'000 Einverdiener-Ehepaare einführen würde", sagte Leo Müller (Mitte/LU).
Die Svp beantragte mit zwei Minderheitsanträgen erfolglos ein Voll- und ein Teilsplitting-Modell. Beide Anträge wurden trotz Unterstützung der Mitte-Fraktion abgelehnt. Die Mitte-Partei hat für die Abschaffung der Heiratsstrafe eine eigene Initiative eingereicht.
Der Antrag der Mitte, das Inkraftsetzen der Vorlage dem Bundesrat zu überlassen, wurde abgelehnt. Die Mehrheit wollte den Kantonen eine Übergangsfrist von sechs Jahren für die Umsetzung vorgeben.
Kritik der Kantone
Die Vorlage geht nun an den Ständerat. Dort dürfte die Sicht der Kantone, die ihre Steuerveranlagungssysteme umstellen und sich auf rund 1,7 Millionen zusätzliche Steuererklärungen vorbereiten müssen, eine stärkere Rolle spielen als im Nationalrat.
In der Vernehmlassung kritisierte die Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (FDK) die Vorlage. Auf Kantonsebene sei die Heiratsstrafe korrigiert, hiess es dazu. Zudem zögen die meisten Kantone die gemeinsame Veranlagung von Ehepartnern vor. Wie viel der Wechsel die Kantone kosten wird, steht laut Finanzministerin Karin Keller-Sutter nicht fest. Es sei noch offen, in welchem Mass die Kantone ihre Tarife und Abzüge anpassen müssten.