Während zwei Tagen diskutierten Europas Senatspräsidentinnen und -präsidenten die Rolle ihres Rates im Zweikammerparlament. Dabei zeigte sich: So unterschiedlich die Länder sind, so unterschiedlich sind auch Bedeutung und Kompetenzen der Senate. Ein Parlament mit zwei gleichberechtigten Kammern (perfekter Bikameralismus) kennen in Europa nur die Schweiz und Italien.

​Welche Rolle haben die Senate bei parlamentarischen Entscheiden und im Gesetzgebungsprozess? Diese Frage stand im Zentrum der zweitägigen Konferenz der Vereinigung der Senate Europas (ASE), die am Freitagnachmittag zu Ende ging. Eine allgemeingültige Antwort darauf gibt es nicht. Es bestehen zwischen den 15 ASE-Mitgliedsländern beträchtliche Unterschiede in Bezug auf die Bedeutung, Funktion, die Kompetenzen sowie die Zusammensetzung und die historischen Wurzeln der zweiten Kammern (siehe auch Überblick), wie die Rednerinnen und Rednern dem Plenum darlegten. Sie bezogen dabei auch zur Akzeptanz ihres Rates in der Öffentlichkeit Stellung. Während einige Senate weitgehende gesetzgeberische Kompetenzen haben, können andere mit einem Veto einen Gesetzesentwurf blockieren. Es gibt zweite Kammern, deren Mitglieder sich aus Interessensvertretern zusammensetzen, andere werden von der Regierung ernannt oder sie haben den klaren Auftrag, die Interessen ihrer Region oder ihrer Provinz zu vertreten.

 

Zwischen 15 und Hunderten von Ratsmitgliedern

Es gibt Senate mit 15 Mitgliedern, in anderen sitzen mehrere Hundert. Nur zwei Länder in Europa kennen ein Zweikammerparlament mit zwei gleichberechtigten Räten: Die Schweiz und Italien. Im Nachbarland steht allerdings in Kürze ein Verfassungsreferendum an, bei dem das italienische Stimmvolk auch über eine Reform des Senates befindet.
Einig waren sich die Präsidentinnen und Präsidenten darin, dass es sich bei den zweiten Kammern nicht um überholte Institutionen handelt. Der österreichische Bundesratspräsident Mario Lindner drückte sich so aus: „Sie sind in einem zusammenwachsenden Europa wichtiger denn je. Als verbindendes Glied zwischen den politischen Sphären. Als Garanten für Bürgernähe. Aber eben auch als selbstbewusste Schaffer von Plattformen für die langfristige politische Arbeit in unseren Staaten. Als Kammern, die Stabilität und Vision miteinander verbinden können. Und genau so müssen wir alle uns auch begreifen!"
Die Senatspräsidenten betonen die Bedeutung ihrer Kammer als Schutzschild gegen populistische Einflüsse auf die Gesetzgebung und als Hüter der parlamentarischen Demokratie, da Verfassungsänderungen nicht ohne ihre Zustimmung möglich sind.
Mehrere Senatspräsidenten hielten zudem fest, dass die Kritiker des Zweikammersystems sich häufig daran stören, dass die regierende Mehrheit ihre Anliegen und Änderungen aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung der beiden Kammern nicht diskussionslos durchbringt.

 

Staatsschutz unter parlamentarischer Aufsicht

Wie weitreichend und ausgebaut die Kompetenzen des Schweizer Ständerats sind, erläuterten Ständerat Jean-René Fournier sowie Ständerätin Anne Seydoux-Christe bereits am Donnerstag während der Diskussion über den Kampf gegen den Terrorismus am Beispiel der Finanz- und Geschaftsprüfungsdelegationen (FinDel und GPDel), die sich aus je drei Mitgliedern beider Räte zusammensetzen. So hat die GPDel den Auftrag, die Tätigkeit von Organen des Staatsschutzes und der Nachrichtendienste regelmässig näher zu prüfen. Sie informiert nach Anhören des Bundesrates die Geschäftsprüfungskommissionen über ihre Tätigkeit. Bei der Erarbeitung des neuen Nachrichtendienstgesetzes (NDG), dem die Schweizer Bevölkerung in einer Referendumsabstimmung Ende September zustimmte, hatte die GPDel eine zentrale Rolle gespielt und sie prägte aufgrund ihrer Erfahrungen den Gesetzesentwurf in wesentlichen Punkten.
Die FinDel prüft und überwacht laufend den gesamten Finanzhaushalt des Bundes. Sie kann auch Vorlagen des Bundesrates an das Parlament beraten und die Finanzkommissionen oder andere Kommissionen schriftlich oder mündlich über ihre Beratungen und Anträge informieren. Gegründet wurde sie bereits vor 114 Jahren am 9. Oktober 1902. Die GPDel trat ein erstes Mal im März 1992 zusammen.