Entscheide über die Gewährung von Leistungen der Invalidenversicherung (IV) müssen sich auf qualitativ einwandfreie medizinische Gutachten stützen. Davon hängt das Vertrauen in die Invalidenversicherung ab. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) hat die jüngsten Enthüllungen zu den zweifelhaften Gutachten, die von der PMEDA AG erstellt worden waren, analysiert. Sie fordert die betroffenen Akteure dazu auf, sich noch stärker dafür einzusetzen, dass solche Fälle nicht mehr vorkommen, und hat eine Motion beschlossen, mit der die Neubeurteilung von Dossiers ermöglicht werden soll, die sich auf Gutachten stützen, deren Qualität von der EKQMB infrage gestellt wurde.

Die Kommission hat sich mit Vertretungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) und der Eidgenössischen Kommission für Qualitätssicherung in der medizinischen Begutachtung (EKQMB) sowie mit Professor Thomas Gächter von der Universität Zürich über die gravierenden Mängel ausgetauscht, die bei medizinischen Gutachten zur Abklärung des Anspruchs auf IV-Leistungen festgestellt worden waren.

In den Augen der Kommission kann mit den im Rahmen der Revision «Weiterentwicklung der IV» eingeführten Massnahmen heute die Qualität der Gutachten und Diagnosen gewährleistet werden. Mängel und Probleme bestehen jedoch noch bei den Gutachten, die vor dem Inkrafttreten dieser Revision erstellt wurden. Dies hat sich vor Kurzem mit den Enthüllungen zu den zweifelhaften Gutachten der PMEDA AG deutlich gezeigt. Die Kommission erachtet diese Enthüllungen als schockierend. Der Entscheid, ob eine IV-Leistung gewährt wird oder nicht, hat grosse Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen.

Mit 14 zu 7 Stimmen bei 4 Enthaltungen hat die Kommission die Motion 25.3006 eingereicht, die verlangt, die Rechtsgrundlagen dahingehend zu ändern, dass Versicherte ein Revisionsgesuch stellen können, wenn sich ihr IV-Entscheid auf ein medizinisches Gutachten einer Gutachterstelle oder von Ärztinnen und Ärzten stützt, mit welchen die Zusammenarbeit aufgrund einer Empfehlung der EKQMB eingestellt wurde. Nach Eingang eines solchen Revisionsgesuchs sollen die IV-Stellen die Arbeitsfähigkeit prüfen, den Beginn einer allfälligen Arbeitsunfähigkeit festlegen, berufliche Massnahmen gewähren und allfällige Rentenleistungen rückwirkend zusprechen.

Grünes Licht für​ die Auszahlung der 13. AHV-Rente ab Dezember 2026

Wie der Ständerat in der Wintersession hat auch die SGK-N die Vorlage zur Umsetzung der Initiative für eine 13. AHV-Rente (24.073, Entwurf 1) in der Gesamtabstimmung einstimmig angenommen. Sie war zuvor ohne Gegenantrag auf die Vorlage eingetreten. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Modalitäten und den Zeitpunkt der Ausbezahlung der 13. AHV-Rente erachtet die Kommission als vernünftig und pragmatisch. Die 13. AHV-Rente soll ab 2026 einmal jährlich jeweils im Dezember an die Personen ausbezahlt werden, die Anspruch auf eine Altersrente haben. Die 13. Rente hat keine Auswirkungen auf die Höhe der monatlichen Altersrenten und wird bei der Berechnung des Einkommens, das für die Gewährung von Ergänzungsleistungen massgeblich ist, nicht berücksichtigt. Im Rahmen der Detailberatung verzichtete die Kommission darauf, eine analoge 13. Auszahlung auch für die ausserordentlichen Rentenzuschläge vorzusehen. Diese Zuschläge erhalten betroffene Frauen befristet als Kompensation für die jüngste Rentenalterhöhung.

Die Vorlage ist somit bereit für die Behandlung im Nationalrat in der Frühjahrsession. Die Frage der Finanzierung der 13. AHV-Rente (Entwürfe 2 und 3) wird noch von der Schwesterkommission des Ständerates vertieft.

Kommission u​nterstützt Anpassung der ordentlichen Franchise

Die Kommission beantragt mit 16 zu 9 Stimmen, die Mo. Friedli Esther «Mindestfranchise den realen Gegebenheiten anpassen» (24.3636) anzunehmen. Sie will wie der Ständerat den Bundesrat damit beauftragen, die ordentliche KVG-Franchise so anzupassen, dass diese die aktuelle Kostensituation in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) besser abbildet. Eine gleichlautende Motion wurde vom Nationalrat angenommen und ist derzeit in der Schwesterkommission des Ständerates hängig.

Die ordentliche KVG-Franchise beträgt aktuell 300 Franken und wurde letztmals 2004 erhöht. Seither sind die Kosten zulasten der OKP drastisch gestiegen, weshalb die Kommission eine Anpassung der ordentlichen Franchise für gerechtfertigt hält. Damit würde nicht nur die Eigenverantwortung der Versicherten gestärkt, sondern könnten auch die Krankenkassenprämien gesenkt werden. Die Minderheit beantragt die Ablehnung der Motion, da sie der Meinung ist, dass die Erhöhung der ordentlichen Franchise chronisch Kranke, ältere und einkommensschwache Personen benachteiligen würde.

KVG: Me​hr Wettbewerb dankLockerung des Vertragszwangs

Die Kommission folgt dem Ständerat und beantragt mit 13 zu 9 Stimmen bei 3 Enthaltungen, die Mo. Hegglin Peter «Lockerung des Vertragszwangs im KVG» (23.4088) anzunehmen. Gemäss der Motion soll der Vertragszwang im ambulanten und im stationären Bereich aufgehoben werden, sofern insbesondere die Versorgungssicherheit gewährleistet ist und die Anforderungen an Qualität und Wirtschaftlichkeit eingehalten werden. Die Kommission glaubt, durch die Stärkung des Leistungswettbewerbs dem Anstieg des Leistungsvolumens und der Kosten zulasten der OKP entgegenzuwirken. Die Minderheit ist der Auffassung, dass die Krankenversicherer mit der Lockerung des Vertragszwangs unverhältnismässig viel Macht erhalten würden, weshalb sie die Motion ablehnt.

Mehr Rechte für d​ie Kantone bei der Prämiengenehmigung

Mit 20 zu 0 Stimmen bei 4 Enthaltungen hat die Kommission eine Änderung des Krankenversicherungsaufsichtsgesetzes (24.055) in der Gesamtabstimmung angenommen. Zuvor war sie mit demselben Stimmenverhältnis darauf eingetreten. In der Detailberatung beantragt sie, in allen Punkten dem Ständerat und damit dem Entwurf des Bundesrates zu folgen. Demnach sollen die Kantone bei der Prämiengenehmigung wieder zu den Prämien Stellung nehmen können, die für ihr Gebiet vorgesehen sind. Zudem sollen die Rückerstattungen bei zu hohen Prämien an die Kantone statt an die Versicherten gehen, sofern die Prämien vollständig über die Prämienverbilligung oder die Ergänzungsleistungen bezahlt wurden. Die Vorlage ist bereit für den Nationalrat.

Schlies​​sen einer Rechtslücke in der Unfallversicherung

Die Kommission ist mit 13 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung auf eine Vorlage zur Änderung des Unfallversicherungsgesetzes (UVG) (24.056) eingetreten und hat diese in der Gesamtabstimmung mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Die Vorlage sieht einen besseren Schutz für Personen vor, die einen Unfall erlitten haben, als sie noch nicht über das UVG versichert waren. Die Kommission hat den Entwurf des Bundesrates angenommen. Demnach können Rückfälle und Spätfolgen eines Unfalls, der nicht durch das UVG versichert war und sich vor Vollendung des 25. Lebensjahrs ereignet hat, einen Anspruch auf Taggelder begründen. Diese Vorlage, mit der die Mo. 11.3811 Darbellay «Rechtslücke in der Unfallversicherung schliessen» umgesetzt werden soll, ist nun bereit für die Beratung im Nationalrat. Eine Minderheit beantragt, nicht auf die Vorlage einzutreten.

Weit​ere Geschäfte

Einstimmig hat die Kommission ihren Vorentwurf in Umsetzung der pa. Iv. Hurni «Pharmazeutische Industrie und Medizin. Mehr Transparenz» (20.490) in der Gesamtabstimmung gutgeheissen und die Vernehmlassungsvorlage finalisiert. Damit soll für Personen, die Arzneimittel oder Medizinprodukte einsetzen, eine Pflicht zur Offenlegung von Interessenbindungen eingeführt werden.

Mit 17 zu 8 Stimmen hat die Kommission zudem ihren Vorentwurf in Umsetzung der pa. Iv. Roduit «Umsetzung des Berichtes zur Evaluation der medizinischen Begutachtung in der IV» (21.498) in der Gesamtabstimmung angenommen. Mit der Vorlage möchte die Kommission das Einigungsverfahren bei den monodisziplinären Gutachten im Bereich der Invalidenversicherung optimieren. Zu beiden Vorlagen wird die Kommission demnächst die Vernehmlassung eröffnen.

Mit 16 zu 8 Stimmen hat die Kommission der pa. Iv. Jost «Palliative Pflege. Finanzierung klären» (24.454) Folge gegeben. Mit der Initiative soll die angemessene Finanzierung der allgemeinen und spezifischen Palliative Care als Grundsatz KVG verankert werden. Die Kommission nimmt zur Kenntnis, dass bei diesem Thema bereits Arbeiten zur Umsetzung der Motion 20.4264 laufen, sieht aber angesichts der aktuell fragmentierten und oft unzureichenden Versorgung dringlichen Handlungsbedarf. Durch eine explizite Aufnahme ins KVG sollen die wertvollen Leistungen zur Betreuung und Pflege am Lebensende besser abgegolten werden. In einem nächsten Schritt wird die Schwesterkommission des Ständerats dazu Stellung nehmen.

Im Rahmen der laufenden Vernehmlassung hat der Bundesrat die SGK-N zur Anpassung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) konsultiert. Die Mitgliedstaaten der WHO haben die Anpassung im Juni 2024 beschlossen, um die grenzüberschreitende Ausbreitung von Krankheiten besser zu verhindern und einzudämmen. Angesichts des grossen öffentlichen Interesses begrüsst die Kommission eine aktive Kommunikation seitens der Verwaltung und die Durchführung einer Vernehmlassung. Sie hat den Inhalt der Anpassungen zur Kenntnis genommen und betont, dass deren Genehmigung im Rahmen der geltenden Rechtsgrundlagen erfolgen muss. Mit 16 zu 6 Stimmen hat sie es abgelehnt, dem Bundesrat darüberhinausgehende Vorgaben wie die Verabschiedung eines referendumsfähigen Bundesbeschlusses zu machen.

Mit 17 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung hat die Kommission die Motion 25.3007 beschlossen, wonach Personen mit einer Behinderung in Härtefällen zusätzliche Unterstützung durch Dienstleistungen Dritter erhalten sollen.

Die Kommission beantragt mit 17 zu 8 Stimmen, der Kt. Iv. GE «Für eine öffentliche Einheitskrankenkasse im Kanton Genf» (23.319) keine Folge zu geben, und folgt damit dem Beschluss des Ständerates. In den Augen der Kommission würde die Standesinitiative erhebliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung mit sich bringen und dürfte nicht zu Einsparungen führen.

Die Kommission beantragt mit 16 zu 8 Stimmen, sich dem Ständerat anzuschliessen und der Kt. Iv. GE «Für eine kohärente Bundespolitik im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit» (23.317) keine Folge zu geben. Aus ihrer Sicht gehört die Vergütung von Verhütungsmitteln durch die OKP nicht in den Geltungsbereich des KVG.

Die Kommission hat sich ferner über innovative Ansätze zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen informieren lassen. Sie wird sich in den kommenden Monaten bei der Beratung der Teilrevision des Epidemiengesetzes eingehend mit diesem Thema befassen.

Die Kommission tagte am 16. und 17. Januar 2025 in Bern unter der Leitung von Nationalrätin Barbara Gysi (SP, SG) und teilweise in Anwesenheit von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider.