Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats hat massgebende Beschlüsse gefasst, um die Sicherheit der Stromversorgung mittel- und langfristig zu erhöhen. Sie schlägt verschiedene Massnahmen vor, mit denen  ehrgeizige Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energieproduktion sowie Energieeinsparungen erreicht werden sollen.

Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerates (UREK-S) hat die Beratung der Vorlage des Bundesrates zur Änderung des Energiegesetzes (EnG) und des Stromversorgungsgesetzes (StromVG) abgeschlossen (21.047) und die Vorlage mit 9 zu 2 Stimmen und 2 Enthaltungen in der Gesamtabstimmung angenommen. Sie setzt damit ein klares Zeichen zugunsten eines schnellen Ausbaus der erneuerbaren Energien im Inland. Wo nötig, soll diesem Ausbau auch Priorität gegenüber anderen Interessen wie beispielsweise dem Umwelt- und Landschaftsschutz eingeräumt werden.

Ambitionierte Produktionsziele

Die Kommission teilt zwar die Absichten des Bundesrates, die Erzeugung von Elektrizität aus erneuerbaren Energien auszubauen, hält es in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen aber für notwendig, rascher zu handeln und weiterzugehen als ursprünglich vorgeschlagen. Die Kommissionsmehrheit hat daher beschlossen, den jährlichen Zielwert für die Elektrizitätserzeugung aus erneuerbaren Energien (ohne Wasserkraft) für 2035 auf mindestens 35 TWh und für 2050 auf mindestens 45 TWh zu erhöhen. Die Vorlage des Bundesrates sieht einen Zielwert von 17 TWh bzw. 39 TWh vor. Die Kommission hat auch die Ziele für die Wasserkraft nach oben korrigiert: Sie will bis 2035 eine jährliche Produktion von mindestens 37,9 TWh (+ 0,5 TWh im Vergleich zum Bundesrat) und bis 2050 von mindestens 39,2 TWh (+ 0,6 TWh) erreichen. Aus Sicht der Kommission berücksichtigen die vom Bundesrat vorgeschlagenen Ziele den zusätzlichen Elektrizitätsbedarf durch die Dekarbonisierung nicht ausreichend und werden dem Potential für die Nutzung erneuerbarer Energien in der Schweiz nicht gerecht.

Vorrang für den Ausbau erneuerbarer Energien

Aus Sicht der UREK-S können diese Ziele nur erreicht werden, wenn die Rahmenbedingungen entsprechend angepasst werden. Um genügend Elektrizität produzieren und die Versorgungssicherheit sicherstellen zu können, muss den erneuerbaren Energien ein gewisser Vorrang gegenüber anderen Interessen eingeräumt werden. Die Kommission hat deshalb mit 8 gegen 5 Stimmen beschlossen, dass die Erfüllung dieser Ausbauziele Vorrang gegenüber dem Umweltrecht geniessen soll und nicht von dessen Vorschriften erschwert werden darf. Bei Genehmigungen betreffend den Weiterbetrieb bestehender Wasserkraftwerke ab 3 MW beantragt sie, vorübergehend – bis 2035 – gewisse Bestimmungen des Gewässerschutzgesetzes (GSchG), insbesondere betreffend die Restwassermengen, zu suspendieren. Abhängig davon, ob diese Ziele erreicht werden, wird der Bundesrat beauftragt, dem Parlament eine Verlängerung oder aber eine vorzeitige Aufhebung dieser Suspendierung zu beantragen. Eine Minderheit beantragt den Verzicht auf diese Lockerungen.

Die Kommission möchte ausserdem, dass in Biotopen von nationaler Bedeutung (Art. 18a des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz, NHG) neue Anlagen zur Erzeugung von Elektrizität aus erneuerbaren Energien erstellt werden können, und beantragt mit 7 zu 4 Stimmen bei einer Enthaltung, das entsprechende Verbot aufzuheben. Bei Objekten, die in einem Inventar gemäss Artikel 5 NHG aufgeführt sind, soll von der ungeschmälerten Erhaltung abgewichen werden können, ohne dass Schutz-, Wiederherstellungs-, Ersatz- oder Ausgleichsmassnahmen zu ergreifen sind. Zudem beantragt die Kommission, dass das nationale Interesse an der Realisierung solcher Projekte Vorrang vor allfälligen entgegengesetzten kantonalen, regionalen oder lokalen Interessen haben soll. Eine Minderheit stellt sich gegen diese Aufhebung des Biotopschutzes, beantragt aber, durch den Gletscherrückgang freiwerdende Flächen zur Energieerzeugung nutzbar zu machen. Ebenso sollen kantonale, regionale und lokale Interessen nicht a priori als zweitrangig gelten.

Auch im Raumplanungsrecht möchte die Kommission geeignete Rahmenbedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien schaffen. Solaranlagen ab einer Leistung von 1 MW sollen auf freien Flächen ausserhalb der Bau- und der Landwirtschaftszone unter bestimmten Bedingungen als standortgebunden gelten. Auch auf landwirtschaftlich genutzten Flächen sollen Solaranlagen zonenkonform und standortgebunden sein, so lange sie auch landwirtschaftlichen Interessen dienen. Ebenso soll die Bewilligung von Biomasseanlagen sowie von Windenergieanlagen im Wald erleichtert werden.

Sicherung der Stromversorgung im Winter

Von zentraler Bedeutung ist aus Sicht der Kommission die Stärkung der Stromversorgungssicherheit im Winter. Die Kommission beantragt mit 8 zu 5 Stimmen, dass das nationale Interesse an der Realisierung von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien anderen nationalen Interessen vorgehen soll, falls die Schweiz in zwei aufeinanderfolgenden Winterhalbjahren (1. Oktober – 31. März) netto mehr als 5 TWh Strom importiert. Bedingung dafür ist insbesondere, dass diese Anlagen weitgehend klimaneutral sind, eine hohe Abrufbarkeit aufweisen und einen grossen Beitrag an die Stromproduktion im Winterhalbjahr leisten. Der Bund soll solche Vorhaben mit einer gleitenden Marktprämie unterstützen.

Eine Minderheit der Kommission lehnt diese absolute Vorrangstellung des Ausbaus der Stromproduktion in der Interessenabwägung ab. Sie beantragt stattdessen, den bestehenden rechtlichen Rahmen grundsätzlich beizubehalten, aber auf dem Gesetzesweg die Voraussetzungen für die Umsetzung von 15 definierten Vorhaben zum Ausbau von Wasserkraftwerken zu ermöglichen. Diese 15 Projekte entsprechen denjenigen, die vom «Runden Tisch» zum Thema Wasserkraft priorisiert wurden, den die Vorsteherin des UVEK initiiert hatte. Das Parlament soll dabei das Recht haben, zu einem späteren Zeitpunkt auch für andere Projekte, insbesondere auch alpine Solaranlagen, die gleichen gesetzlichen Privilegien zu schaffen.

Nach Ansicht einer Kommissionsmehrheit können Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen insbesondere im Winter einen weiteren Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Entsprechend sollen Investitionen in solche Anlagen mit einem Beitrag von 60 % an die Kosten gefördert werden, bis Anlagen mit einer Gesamtleistung von 500 MW erstellt sind. Voraussetzung dafür ist insbesondere, dass diese Anlagen nur im Winterhalbjahr und zu mindestens 40 % mit erneuerbaren Brennstoffen betrieben werden. Im gleichen Rahmen sollen auch Anlagen für die Produktion von Wasserstoff und synthetischen Kohlenwasserstoffen aus erneuerbarer Elektrizität gefördert werden. Dafür werden höchstens 0,1 Rappen pro kWh aus dem Netzzuschlag reserviert. Eine Minderheit stellt sich gegen diese Förderung.

Die Kommission betont, dass auch mit Massnahmen im Bereich Energieeffizienz insbesondere im Winter der Stromverbrauch reduziert werden kann. Entsprechend hat sie es zum Ziel erklärt, spätestens bis 2035 den jährlichen Stromverbrauch durch Effizienzmassnahmen um 2 TWh zu reduzieren. Sie fordert verschiedene – von den Kantonen umzusetzende – Massnahmen im Gebäudebereich. Dazu zählen beispielsweise eine Pflicht zur Sanierung von elektrischen Widerstandsheizungen oder einen Pflicht zur Installation von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien bei Neubauten sowie erheblichen Umbau- und Erneuerungsvorhaben. Zudem sollen die Elektrizitätsversorger mit einem besonderen Tarifmodell den Endkonsumenten Anreize zu Stromeinsparungen bieten können. Verschiedene Minderheiten beantragen im Gebäudebereich weitergehende Massnahmen oder aber, am geltenden Recht festzuhalten.

Diversifizierung der Förderungsmechanismen

Die Kommission will den Ausbau der erneuerbaren Energien u. a. dadurch fördern, dass die ins Netz eingespeiste Elektrizität mit einer gleitenden Marktprämie vergütet wird. Dieser Förderungsmechanismus kommt zum Tragen, wenn der Marktpreis, zu dem die Elektrizität verkauft werden kann, unter den Gestehungskosten liegt. In diesen Fällen soll mit der Marktprämie die Differenz zwischen Marktpreis und Gestehungskosten ausgeglichen werden. Die Marktprämie ist «gleitend», weil ihre Höhe durch die Differenz zwischen dem Vergütungssatz und dem Marktpreis bestimmt wird und daher variabel ist. Entsprechend werden keine Fördergelder ausbezahlt, wenn der Marktpreis über dem zugesicherten Preis liegt. Die gleitende Marktprämie wird für eine lange Betriebsdauer gewährt (15 bis 20 Jahre) und über den Netzzuschlagfonds finanziert. Dieser Unterstützungsmechanismus soll eine Ergänzung zu den Investitionsbeiträgen sein, die zur Deckung eines Teils der Investitionskosten bei der Inbetriebnahme einer Anlage entrichtet werden. Die beiden Unterstützungsmechanismen sollen nicht kumuliert werden dürfen. Netzbetreiber sollen weiterhin verpflichtet sein, ihnen angebotene Elektrizität aus erneuerbaren Energien abzunehmen, neu jedoch zu einem schweizweit harmonisierten Preis. Die minimale Vergütung orientiert sich an den Amortisationskosten der entsprechenden Anlagen, das Doppelte dieser Minimalvergütung gilt als Maximalvergütung.

Die Kommission ist ausserdem mit dem Vorschlag des Bundesrates einverstanden, Investitionsbeiträge zur Deckung eines Teils der Projektierungskosten für neue Wasserkraft‑, Windkraft- und Geothermieanlagen zu gewähren. Bei Wasserkraftanlagen soll auch bei erheblichen Erweiterungen bestehender Anlagen ein Teil der Projektierungskosten gedeckt werden. Die Beiträge dürfen höchstens 40 Prozent der Projektierungskosten ausmachen und sind abzuziehen, wenn ein anderer Investitionsbeitrag für die Umsetzung des Projekts (Bau oder Erweiterung) in Anspruch genommen wird. Neu soll der Bundesrat auch für Pumpspeicherwerke verschiedene Fördermassnahmen vorsehen können. Eine Minderheit (abgelehnt mit 8 zu 2 Stimmen bei 2 Enthaltungen) fordert zudem, auch für die Modernisierung bestehender Kernkraftwerke einen Investitionsbeitrag zu leisten.

Diese Massnahmen zur Förderung der erneuerbaren Energien werden über den Netzzuschlag finanziert und damit von allen Stromverbrauchern getragen. Die Kommission beantragt, dass der Netzzuschlag nicht erhöht werden soll. Hingegen soll sich der Netzzuschlagfonds, über welchen diese Finanzierung abgewickelt wird, verschulden können, um kurzfristige Schwankungen in den Finanzströmen auszugleichen. Eine Minderheit (abgelehnt mit 9 zu 4 Stimmen) beantragt, den Netzzuschlag um höchstens 0,5 Rappen/kWh zu erhöhen, um damit Gewässerschutzmassnahmen zu finanzieren.

Verzicht auf vollständige Marktöffnung

Die Kommission spricht sich gegen die vom Bundesrat vorgeschlagene vollständige Strommarktöffnung aus. Derzeit haben einzig Endverbraucher mit Bezügen von mehr als 100 MWh pro Jahr Zugang zum freien Markt. Die Kommission hat bei ihren Arbeiten festgestellt, dass eine vollständige Marktöffnung nicht mehrheitsfähig ist und in Anbetracht der aktuellen Lage keinen Sinn macht. Auch im Bereich des Messwesens beantragt die Kommission, auf eine Marktliberalisierung zu verzichten. Die Verteilnetzbetreiber sollen hier weiterhin ein Monopol haben.

Hingegen möchte die Kommission neu eine Grundlage für lokale Elektrizitätsgemeinschaften schaffen. Diese bieten Endverbrauchern, Erzeugern von Elektrizität aus erneuerbaren Energien sowie Speicherbetreibern die Möglichkeit, sich zusammenzuschliessen und sich unter Inanspruchnahme des Verteilnetzes untereinander frei mit Strom zu versorgen. Zur Förderung von Speicherkapazitäten sollen zudem Anlagen zur Speicherung von Elektrizität oder zur Umwandlung von Strom in Wasserstoff oder synthetische Kohlenwasserstoffe bis 2030 vollständig, und ab diesem Zeitpunkt unter gewissen Bedingungen, von den Netznutzungsentgelten befreit werden.

Massnahmen zur Abfederung der hohen Energiepreise

Zudem hat sich die Kommission mit der Vorsteherin des UVEK und Vertretern des SECO über die wirtschaftlichen Auswirkungen der massiv steigenden Energiepreise und mögliche Massnahmen zur Unterstützung von besonders betroffenen Unternehmen und Verbrauchern. ausgetauscht. Sie wird diesen Austausch fortsetzen und an ihrer nächsten Sitzung während der Herbstsession auch den Vorsteher des WBF darin einbeziehen. Die Kommission nimmt zur Kenntnis, dass sich der Bundesrat der Tragweite dieser Problematik bewusst ist. Sie betont, dass dringender Handlungsbedarf besteht und erwartet in den kommenden Wochen vom Bundesrat die Ankündigung konkreter Massnahmen, damit ab Oktober Planungssicherheit für das Jahr 2023 gegeben ist.

Jagdgesetz

Schliesslich hat sich die Kommission mit dem Antrag des Bundesrates zum Gesetzesentwurf befasst, mit dem die von ihr eingereichte parlamentarische Initiative 21.502 umgesetzt werden soll. Diese Initiative verlangt, zur Schadensvermeidung und zum Schutz der Menschen die präventive Regulierung von Wolfsbeständen zuzulassen. Der Bundesrat beantragt aus haushaltspolitischen Gründen, auf die im Entwurf vorgesehenen neuen Finanzhilfen zu verzichten. Die Kommission ist der Ansicht, dass diese Hilfen für die Kantone notwendig sind und hält ohne Gegenstimme an ihrer Fassung fest.

Die Kommission hat am 7. und 8. September 2022 unter dem Vorsitz von Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider (S, JU) und teils in Anwesenheit von Bundesrätin Simonetta Sommaruga in Bern getagt.