​Datum: 07.05.1995
Anlass: Jubiläumsfeier 50 Jahre Ende 2. WK
Redner/Rednerin: André Lasserre  
Funktion: Historiker

​Die ausserordentliche Sitzung der Bundesversammlung zum Gedenken des 50. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs wird vor allem wegen den Worten von Bundespräsident Kaspar Villigers in Erinnerung bleiben, mit denen er sich für die Beteiligung der Schweiz an der Einführung des Judenstempels 1938 entschuldigte. Der Bundesrat hatte sich anfänglich gegen einen solchen Gedenkanlass gesträubt. Da die Schweiz wegen ihrer Rolle im Zweiten Weltkrieg im In- und Ausland aber immer mehr unter Druck kam, war er schliesslich doch dazu bereit. Die Gedenkfeier fand am ersten Sonntag im Mai statt. Nebst den Mitgliedern der Vereinigten Bundesversammlung wohnten ihr auch viele schweizerische und ausländische Gäste bei. Als Redner traten abgesehen vom Bundespräsidenten auch Nationalratspräsident Claude Frey, Ständeratspräsident Niklaus Küchler und Ständerätin Josi Meier auf. Die 1926 geborene Luzernerin berichtete als Zeitzeugin von ihren Erlebnissen aus jener Epoche. Zusätzlich zu diesen persönlichen Eindrücken sollte ein Historiker einen distanziert-wissenschaftlichen Blick auf die Jahre 1939–1945 werfen. Für diesen Part hatte man den Lausanner Professor André Lasserre als auswärtigen Gastredner eingeladen. Lasserre bot einen gerafften Überblick über die zentralen Ereignisse und Zusammenhänge der fraglichen Zeit. Dabei bemühter er sich, die Ausgangslage, die Zwänge und Spielräume von damals aufzuzeigen. Es gehe eher darum, die Entscheidungsträger dieser Generation zu verstehen, als Urteile aus heutiger Perspektive zu fällen. Dennoch sprach er auch die heiklen Punkte an, das Raubgold, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland, den Judenstempel, die Asylpolitik. Lasserre betonte, dass das Boot nie voll gewesen sei, dass aber die Befürchtung, es könne demnächst sinken, in der Bevölkerung eine weit verbreitete Überzeugung gewesen sei. Nicht vergessen solle man, dass die Schweiz 295'000 Flüchtlingen Asyl gewährt habe. Schliesslich kam er auch auf das Réduit zu sprechen, welchem er die militärische Bedeutung nicht absprach, vor allem aber einen symbolischen Wert beimass, der viel zur Stärkung des Zusammenhalts beigetragen habe. Lasserre schloss, dass die Verteidigung der Neutralität und Eigenständigkeit gewisse Zugeständnisse erforderlich gemacht hätten.

Quellen: AB 1995, VBV 1722ff; Le Nouveau Quotidien, 08.05.1995 S. 3; Journal de Genève, 08.05.1995, S. 15