​Datum: 18.06.2003
Anlass: Jubiläumsfeier 40 Jahre Beitritt der Schweiz zum Europarat
Redner/Rednerin: Luzius Wildhaber
Funktion: Präsident Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Saal: Nationalrat

2003 jährte sich der Beitritt der Schweiz zum Europarat zum 40. Mal. Der Zufall wollte es, dass ein Schweizer seit einigen Jahren den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte präsidierte, und so bat das Büro Luzius Wildhaber, für den Jahrestag eine Rede im Nationalrat zu halten. Hatte an der Feier zum Gründungsjubiläum des Europarates der Generalsekretär Daniel Tarschys vier Jahre zuvor in drei Landessprachen referiert, so wollte Wildhaber nicht hinter dem Schweden zurückstehen und verwendete für seine Begrüssungsworte gleich alle vier Sprachen der Schweiz, also auch das Rätoromanische. Nachdem er die seit Beendigung des Kalten Krieges gesteigerte Bedeutung des Europarates hervorgehoben hatte, kam er auf das «Kernstück» des Gremiums, nämlich die Europäische Menschenrechtskonvention, zu sprechen. Diese bezeichnete er als «Frühwarnsystem» vor totalitaristischen Gefahren, als «Versicherungspolice für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit». Auch wenn der Gerichtshof diese nicht alleine schützen könne, so sei er doch in der Lage, wichtige Mindeststandards zu setzen. Die Menschenrechte im Alltag durchzusetzen, sei ein «Dauerauftrag» für eine demokratische Gesellschaft. Dieser Auftrag werde auch durch Klagen von Einzelpersonen, welche die Möglichkeit hätten, ihr Land wegen Verletzungen von Menschenrechen einzuklagen, wahrgenommen. Wildhaber bescheinigte der Schweiz und ihrer Justiz, dass sie sich hervorragend auf die Konvention eingestellt habe. Der Europäische Menschengerichtshof werde aber von jährlich 38'000 neuen Fällen überschwemmt. 90 Prozent davon könnten indes aus formellen Gründen nicht angenommen werden, und nur 2,5 Prozent würden sich auf die ganz zentralen Bereiche der Menschenrechte beziehen. Der Gerichtspräsident machte keinen Hehl daraus, dass ihm Reformen unumgänglich schienen, damit sich das letztinstanzliche Gericht auf die wirklich wesentlichen Fälle konzentrieren und diese in angemessener Frist behandeln könne. Der Gerichtshof brauche auch grössere Unabhängigkeitsgarantien, ein Budget, das er selber verwalten könne, sowie angemessene Pensionen und Sozialversicherungen für die Mitarbeitenden. Trotz dieser ungelösten Fragen blickte Wildhaber aber «hoffnungsvoll und realistisch» in die Zukunft.

Quellen: AB 2003 VBV 1256ff; sda 18.06.2003.