Damit vollzog der Nationalrat eine Kehrtwende. Noch im Juni hatte der Rat eine gleichlautende Motion knapp abgelehnt. Auch am Mittwoch fiel der Entscheid knapp aus. Mit 98 zu 92 Stimmen bei 2 Enthaltungen sagte die grosse Kammer schliesslich Ja zu vier identischen Motionen von Regine Sauter (FDP/ZH), Angelo Barrile (SP/ZH), Regula Rytz (Grüne/BE) und Kathrin Bertschy (GLP/BE).
Diese verlangen, dass ein Experimentierartikel im Betäubungsmittelgesetz verankert wird, um Versuche zur regulierten Abgabe von Cannabis zu ermöglichen. Die Motionäre versprechen sich davon wertvolle Impulse für die Bewältigung der Probleme im Umgang mit Cannabis, wie Sauter sagte.
Svp- und CVP-Vertreter lehnten die Vorstösse ab. Damit werde die Liberalisierung des Cannabiskonsums durch die Hintertüre eingeführt, erklärte Verena Herzog (SVP/TG). Nach dem Nein in der Sommersession komme das Anliegen nun in vierfacher Dosis.
Bundesrat einen Schritt weiter
Hintergrund der Vorstösse ist die verweigerte Bewilligung für eine Studie. Die Universität Bern hatte erforschen wollen, wie sich die Legalisierung von Cannabis auf die Konsumenten und den Markt auswirkt. Laut Bundesamt für Gesundheit gibt es dafür jedoch keine Rechtsgrundlage.
Diese Lücke könnte sowieso bald geschlossen werden. Im Juli kündigte der Bundesrat an, Cannabis-Pilotversuche zu erlauben. Dazu will er das Betäubungsmittelgesetz mit einem speziellen Artikel ergänzen. Die Vernehmlassung dauert bis am 25. Oktober.
Gemäss der nun vorliegenden Verordnung dürfen die Pilotversuche während höchstens fünf Jahren und nur für wissenschaftliche Zwecke durchgeführt werden. Sie sollen Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Drogen auf die Gesundheit der Konsumentinnen, das Konsumverhalten, den Drogenmarkt, den Jugendschutz und die öffentliche Sicherheit liefern.
Gesundheitsminister Alain Berset verteidigte im Rat das Vorgehen des Bundesrates. Pilotversuche schafften die Möglichkeiten, eine strukturierte Debatte über den Umgang mit Cannabis zu führen. Es sei nicht das Ziel, Cannabis zu legalisieren, rief Berset in Erinnerung.
Ärztliche Abgabe geht in Ordnung
Keine Einwände hat der Nationalrat auch gegen die ärztliche Abgabe von Cannabis als Medikament an chronisch Kranke. Er hiess am Mittwoch stillschweigend eine Motion seiner Gesundheitskommission gut. Der Bundesrat hat das Anliegen bereits aufgenommen.
Konkret verlangt die Kommission vom Bundesrat, die gesetzlichen Grundlagen so anzupassen, dass Medizinalcannabis an chronisch Kranke durch ärztliche Verordnung abgegeben werden kann. Cannabis könne Schmerzen, Übelkeit, Krämpfe oder Schwindel der Betroffenen lindern, wenn sonst keine Medikamente mehr wirkten, argumentiert sie.
Der Bundesrat ist bereits an der Umsetzung. Im Juli hatte er beschlossen, den Zugang zu Medizinalcannabis für Patientinnen und Patienten zu erleichtern. Nach Ansicht des Bundesrats ist das Bewilligungsverfahren langwierig. Heute müssen Patienten beim Bund eine Ausnahmebewilligung einholen.
Über diesen Vorstoss muss noch der Ständerat entscheiden.