(sda) Konzernverantwortung: Schweizer Unternehmen sollen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden von Tochtergesellschaften im Ausland gerade stehen. Das will der Nationalrat. Er hat sich am Donnerstag mit 109 zu 69 Stimmen bei 7 Enthaltungen für einen indirekten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative ausgesprochen, die Sorgfaltspflichten und Haftungsregeln fordert. Dagegen stellten sich die Mehrheit der SVP- und der FDP-Fraktion. Nun ist wieder der Ständerat am Zug, der einen Gegenvorschlag abgelehnt hatte. Ob sich das Parlament am Ende auf Regeln einigen kann, ist ungewiss: Die Mitteparteien wünschen einen wirtschaftsfreundlichen Gegenvorschlag, SP und Grüne wollen strenge Regeln. Über die Initiative wird der Nationalrat erst entscheiden, wenn der Gegenvorschlag steht oder gescheitert ist.

Volksrechte: Das Parlament will im Gesetz regeln, wer für die Kündigung völkerrechtlicher Verträge zuständig ist. Der Nationalrat hat mit 179 Stimmen bei einer Enthaltung eine Gesetzesänderung angenommen. Eine entsprechende Verfassungsänderung wurde jedoch abgelehnt. Sie ist damit vom Tisch. Bislang sah sich der Bundesrat alleine für die Kündigung zuständig. Das Parlament beurteilt dies jedoch anders: Oft unterbreite der Bundesrat die Genehmigung eines Vertrags der Bundesversammlung oder dem Volk. Daher solle er auch für die Kündigung des Vertrags nicht die alleinige Hoheit haben. Etwa im Hinblick auf die bevorstehende Begrenzungsinitiative könnte dieser Entscheid von Bedeutung sein. Sie fordert vom Bundesrat die Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU.

Strafen: Der Bundesrat muss eine Studie dazu ausarbeiten, wie das heutige System der lebenslangen Freiheitsstrafe reformiert werden kann. Das verlangt der Nationalrat mit einem Postulat. Ziel ist es, besonders schweren Straftaten besser gerecht zu werden. Wer 10 oder 15 Jahre abgesessen habe, werde bedingt entlassen, wenn er sich im Vollzug wohl verhalten habe und nicht rückfallgefährdet sei, sagte SVP-Nationalrat Pirmin Schwander (SZ). Das sei damit die Höchststrafe für Schwerstverbrecher. Justizministerin Karin Keller-Sutter erinnerte daran, dass der Bundesrat die Frage aufgrund eines Postulats aus dem Ständerat bereits prüfe.

Ausweis: Verurteilten pädosexuellen Straftäten soll der Reisepass entzogen werden können. Das verlangt der Nationalrat mit einer Motion. Damit will er verhindern, dass die Pädophilen ins Ausland reisen, um dort mit Minderjährigen Sex zu haben. Dort profitierten sie von Armut und Korruption, sagte Fabio Regazzi (CVP/TI), der den Vorstoss eingereicht hatte. Der Ausweisentzug sei schon heute möglich, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter. Er sei aber keine Garantie, solche Straftaten zu verhindern. Nach Ansicht von Regazzi ist das allerdings kein Grund, dem Missbrauch tatenlos zuzusehen. Der Nationalrat nahm die Motion mit 86 zu 68 Stimmen bei zu 21 Enthaltungen an.

Ausbürgerung: Eingebürgerte Schweizerinnen und Schweizer, die besonders schwere Verbrechen begehen, sollen nicht wieder ausgebürgert werden können. Der Nationalrat hat eine Motion mit dieser Forderung mit 114 zu 62 Stimmen abgelehnt. Heute sei eine Ausbürgerung nur bei Delikten wie Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit möglich, bei Verbrechen gegen Leib und Leben aber nicht, sagte Lorenzo Quadri (Lega/TI). Alle Schweizerinnen und Schweizer hätten die gleichen Rechte und Pflichten, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter. Eine Unterscheidung zwischen Eingebürgerten und nicht Eingebürgerten wäre diskriminierend und verfassungswidrig. Sie kündigte aber eine Gesetzesänderung an, mit der Doppelbürgern der Schweizer Pass leichter entzogen werden kann.

Gesetze: Der Bundesrat muss nicht untersuchen, wann und wie die Bundesverwaltung die Gesetzgebungsprozesse und die politischen Meinungs- und Entscheidungsfindungsprozesse beeinflusst. Einen solchen Bericht hatte Thomas Burgherr (SVP/AG) mit einen Postulat verlangt. In der direkten Demokratie sei die Verwaltung keine eigene Gewalt, sagte er. Trotzdem werde sie immer einflussreicher und nehme Einfluss auf die politischen Prozesse. Darüber brauche es Transparenz. Die Politik sei exekutivlastiger geworden, dadurch habe die Verwaltung mehr Einfluss gewonnen, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter. Das könne das Parlament selber beurteilen, dafür brauche es keinen neuen Bericht. Die Mehrheit sah das gleich und lehnte den Vorstoss ab.

Geldspiele: Der Bundesrat muss keine Studie über die Entwicklung der Geldspielsucht vorlegen. Eine solche hatte Nationalrat Daniel Brélaz (Grüne/VD) mit einem Postulat verlangt. Brélaz äusserte die Befürchtung, dass die Spielsucht durch das neue Gesetz und die zusätzlichen Angebote gefördert werden könnte. Der Bericht sollte fundierte Erkenntnisse dazu liefern. Der Bundesrat hatte sich bereit erklärt, den Bericht zu verfassen. Einzig bei der Frist hatte Justizministerin Karin Keller-Sutter Vorbehalte, weil einige Massnahmen erst einige Jahre nach dem Inkrafttreten wirksam werden.

Geschlecht: Der Bundesrat muss nicht prüfen, wie das Recht so angepasst werden könnte, dass in den Gesetzesbestimmungen nicht zwischen Frauen und Männern unterschieden wird. Der Nationalrat hat ein Postulat von Beat Flach (GLP/AG) mit 99 zu 76 Stimmen bei 1 Enthaltung abgelehnt. Der Bundesrat hatte sich bereit erklärt, einen Bericht vorzulegen. Flach verwies auf die Diskussion über die Einführung eines dritten Geschlechts im Zusammenhang mit Transmenschen und Menschen mit einer Geschlechtsvariante. Alternativ dazu könnte der Gesetzgeber auf einen personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag verzichten. Gegen einen Bericht stellte sich Verena Herzog (SVP/TG). Die Forderung sei radikal, befand sie. Der Vorstoss wolle die Gesellschaft "umerziehen".

Internierung: Der Nationalrat will keine Internierungszentren schaffen für Ausländerinnen und Ausländer, welche die Schweiz verlassen müssen. Er hat eine Motion von Andreas Glarner (SVP/AG) mit 114 zu 60 Stimmen abgelehnt. Gemäss der Europäischen Menschenrechtskonvention ist der Freiheitsentzug nur dann zulässig, wenn ein Aus- oder Wegweisungsverfahren im Gang ist und der Vollzug der Weg- oder Ausweisung in absehbarer Zeit rechtlich und tatsächlich möglich ist. Nach Ansicht des Bundesrates bestehen heute genügend Möglichkeiten, um der Ausreisepflicht Nachachtung zu verschaffen.

Sozialhilfe: Der Nationalrat will keine gesetzliche Sozialhilfe-Obergrenze für Ausländerinnen und Ausländer. Er hat eine parlamentarische Initiative von Erich Hess (SVP/BE) mit 112 zu 60 Stimmen abgelehnt. Hess wollte ins Gesetz schreiben, dass die Aufenthaltsbewilligung verliert, wer mehr als 50'000 Franken Sozialhilfe bezogen hat. Die Niederlassungsbewilligung sollte bei 80'000 Franken entzogen werden. Es gehe nicht an, dass sich Ausländer in der "sozialen Hängematte" ausruhten, argumentierte Hess. Die vorberatende Kommission gab zu bedenken, dass die Regeln zur Sozialhilfe in der Kompetenz der Kantone liege. Zudem könne Ausländern im Falle fortgesetzter Sozialhilfeabhängigkeit bereits heute der Aufenthaltstitel entzogen werden.

Transparenz: Landesweit tätige Richterinnen und Richter sowie Staatsanwälte sollen ihre Interessenbindungen nicht offenlegen müssen. Der Nationalrat hat eine Motion von Lukas Reimann (SVP/SG) mit 89 zu 82 Stimmen bei 4 Enthaltungen abgelehnt. Auch der Bundesrat erachtet die bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Vermeidung von Interessenkollisionen als genügend und angemessen.

Steuern: Der Nationalrat will die Bestimmungen zur straflosen Selbstanzeige nicht aufheben. Er lehnte eine parlamentarische Initiative von Margret Kiener Nellen (SP/BE) mit 118 zu 51 Stimmen ab. Es handle sich um eine Dauereinladung zur Steuerhinterziehung, sagte sie. Jede und jeder, der sein Auto falsch parke, bekomme eine Busse - nicht aber, wer sein Leben lang Steuern hinterzogen habe. Mit der Aufhebung der Bestimmungen könne der Pfad der Weissgeldstrategie weitergegangen werden. Aufgrund des Automatischen Informationsaustauschs hätten immer weniger Steuerpflichtige die Möglichkeit zur Regularisierung von Vermögen, sagte Kommissionssprecherin Daniela Schneeberger (FDP/BL). Für Steuerpflichtige mit Konten nur in der Schweiz bleibe die straflose Selbstanzeige aber zweckdienlich.

Burnout: Der Nationalrat ist dagegen, Burnout als Berufskrankheit zu anerkennen. Er hat eine parlamentarische Initiative von Mathias Reynard (SP/VS) mit 113 zu 54 Stimmen Stimmen abgelehnt. Reynard wollte damit erreichen, dass das immer häufiger auftretende Krankheitsbild besser berücksichtigt wird. So könne man Betroffene besser behandeln, den Wiedereinstieg in den Beruf dank der gesellschaftlichen Anerkennung dieser Krankheit erleichtern und die Vorbeugung intensivieren, sagte er. Heute gebe es nicht einmal Konsens über die medizinische Definition. Der Zusammenhang zwischen Burnout und der beruflichen Tätigkeit sei oft schwer nachzuweisen, sagte Kommissionssprecherin Regine Sauter (FDP/ZH). Darum sei die Zuständigkeit der Unfallversicherung nicht sinnvoll.

Ausschaffungen: Der Nationalrat ist dagegen, die Härtefallklausel bei obligatorischen Landesverweisungen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Er hat eine parlamentarische Initiative von Gregor Rutz (SVP/ZH) mit 105 zu 64 Stimmen abgelehnt. Diese war bei der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative ins Gesetz aufgenommen worden. Die Folge sei, dass die Härtefallklausel nicht als Ausnahme, sondern in vielen Fällen angewendet werde, sagte Rutz. Mit der Ablehnung der Durchsetzungsinitiative habe sich die Stimmbevölkerung zum Grundsatz der Verhältnismässigkeit bekannt, sagte Kommissionssprecher Hansjörg Brunner (FDP/TG). Seiner Meinung nach ist die Diskussion ohnehin verfrüht, weil bisher keine Zahlen zur Anwendung er Härtefallklausel vorliegen.

Traktanden des Nationalrats für Freitag, 14. Juni, 08:00 bis 13:00:

Bern Totalrevision Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz (18.085)
Verpflichtungskredit Nationales sicheres Datenverbundsystem (18.088)
Parlamentarische Vorstösse aus dem VBS (gebündelte Abstimmungen um circa 12:45)