(sda) Ein Nein nach einer emotionalen und stundenlangen Debatte: Der Nationalrat empfiehlt die Begrenzungsinitiative der SVP zur Ablehnung. Trotz des von Anfang an absehbaren Resultats äusserten sich über 70 Ratsmitglieder zum Begehren.

Die grosse Kammer beschloss die Nein-Empfehlung am Mittwoch nach insgesamt rund acht Stunden Debatte mit 123 zu 63 Stimmen, bei 3 Enthaltungen. Die SVP blieb mit ihrer Position alleine.

Sie unternimmt mit der Begrenzungsinitiative einen zweiten Versuch, die Zuwanderung in die Schweiz mit einer Verfassungsänderung zu bremsen - ohne konkrete Obergrenzen und Kontingente zu fordern. Das Volksbegehren soll aus ihrer Sicht eine "10-Millionen-Schweiz" verhindern und mehr Platz schaffen.

Bilaterale I auf dem Spiel

Anders als bei der 2014 angenommenen Masseneinwanderungsinitiative verlangen die Initianten nun aber explizit die Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU, falls eine einvernehmliche Ausserkraftsetzung innerhalb von zwölf Monaten nicht gelingen sollte. Weil dieses Abkommen mit sechs anderen Verträgen verknüpft ist, wäre das wohl das Aus für die gesamten Bilateralen I.

In der Debatte versuchte die SVP, ihre Minderheitsposition zu kompensieren und schickte die meisten Mitglieder ans Rednerpult. Die Debatte hatte in der zweiten Sessionswoche begonnen und ging am Mittwoch mit der Abstimmung zu Ende.

Mehrfach fiel im Rat der Begriff "10-Millionen-Schweiz". Das Land würde ohne eigene Zuwanderungsregelung platzen wie der Frosch aus der Fabel von La Fontaine, der so gross werden wollte wie ein Ochse, sagte Raymond Clottu (SVP/NE). Ein Zuwachs von heute 8,5 auf 10 Millionen hätte "desaströse" Folgen für Umwelt und Lebensqualität.

Die Mitglieder der anderen Fraktionen wollten beim Status quo bleiben. Der Zugang zu Fachkräften, etwa im Gesundheitswesen, müsse garantiert bleiben, sagte Marianne Streiff-Feller (EVP/BE). Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP/BL) erklärte, dass die Mobilität von Personen für die Schweiz überlebenswichtig sei.

Für Matthias Jauslin (FDP/AG) und seine Partei steht der Zugang zu Arbeitsmärkten in der EU im Zentrum der Argumentation gegen die Initiative. Die Personenfreizügigkeit sei in Zeiten eines gesteigerten Mobilitätsbedürfnisses Gold wert.

"Nicht matchentscheidend"

Samira Marti (SP/BL) sprach von einem "Angriff auf die arbeitende Bevölkerung in der Schweiz". Die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit sicherten heute beispielsweise den Lohnschutz. Fielen sie weg, sei der Weg frei für schädliches Lohndumping.

Als letzter trat am Mittwoch SVP-Präsident Albert Rösti (BE) ans Rednerpult. Mehrere Votanten hätten wiederholt falsche Informationen gestreut, sagte er. Zu einem Fachkräftemangel werde die Begrenzungsinitiative nicht führen, weil die Schweiz aus Drittstaaten die Fachleute rekrutieren könne, die sie brauche.

Von 120 bilateralen Verträgen seien sechs von der Guillotine-Klausel betroffen. Diese seien für die Wirtschaft nicht matchentscheidend. Die EU werde nach einem Ja zur Initiative Interesse daran haben, einzulenken, "und sie wird die Guillotineklausel innerhalb eines Jahres für nichtig erklären", führte Rösti aus.

"Ich wünschte mir, wir hätten die Guillotineklausel damals nicht akzeptieren müssen", blickte Justizministerin Karin Keller-Sutter auf die Verhandlungen über die Bilateralen I zurück. Wegen der Klausel drohe der Schweiz, ohne die Verträge dazustehen, die für den Zugang zum EU-Binnenmarkt "absolut zentral" seien.

Geschwächte Schweizer Position

Es stehe ausser Frage, dass die Personenfreizügigkeit Vor- und Nachteile habe, fuhr Keller-Sutter fort. Bei einem Ja zur Initiative müsse die Schweiz das Abkommen über Personenverkehr innert einem Jahr "wegverhandeln" oder aufkündigen. Dieser Zeitdruck würde die Schweizer Position schwächen.

Der Bundesrat bekenne sich zum freien Personenverkehr, und er wolle die Bilateralen weiterführen. Sie sei sich bewusst, sagte sie in Französisch und in Italienisch, dass in einigen Regionen die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit schwerer seien als in anderen.

Als nächstes wird der Ständerat über die Abstimmungsempfehlung zur Begrenzungsinitiative diskutieren. Auch dort dürfte die Initiative keine Chance haben. Das Stimmvolk entscheidet voraussichtlich im Frühjahr 2020 über das Begehren.