(sda) Ehemalige Verdingkinder und administrativ Versorgte sollen auch nach Ablauf der ursprünglichen Frist ein Gesuch um einen Solidaritätsbeitrag stellen können. Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat einer entsprechenden Gesetzesänderung zugestimmt. Diese ist bereit für die Schlussabstimmung.

Die grosse Kammer nahm den von der Rechtskommission des Ständerats ausgearbeiteten Entwurf mit 189 gegen 4 Stimmen bei einer Enthaltung an. Damit wird die Frist für das Einreichen eines Gesuches um einen Solidaritätsbeitrag aufgehoben. Der Anstoss dazu gab der frühere Ständerat Raphaël Comte (FDP/NE) mit einer parlamentarischen Initiative.

Ursprünglich hätten Gesuche um einen Solidaritätsbeitrag beim Bund bis Ende März 2018 eingereicht werden müssen. Comte nannte es einen "Akt der Menschlichkeit", die Frist abzuschaffen. Damit könnten Personen entschädigt werden, denen es das erlittene Leid bisher schwer bis unmöglich gemacht habe, sich an die Frist zu halten.

Die Svp hätte die Frist nicht aufheben, sondern verlängern wollen, und zwar bis 31. Dezember 2022. Die Frist zu streichen, gehe über das Ziel hinaus, sagte Andrea Geissbühler (SVP/BE). Die Aufhebung der Frist könnte der Aufhebung weiterer Fristen, etwa betreffend Asbestopfer, Tür und Tor öffnen. Der Antrag unterlag mit 49 gegen 143 Stimmen, bei zwei Enthaltungen.

Auch der Bundesrat unterstützte die Aufhebung der Frist. Nur so könne der Solidaritätsbeitrag wirklich alle Opfer erreichen, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter. Auch Ende 2022 werde es noch Opfer geben, die sich noch nicht hätten melden können. Sie gehe davon aus, dass der bewilligte Zahlungsrahmen dennoch ausreicht.

Fix- statt Maximalbetrag

Neu wird zudem die Höhe des Solidaritätsbeitrags von 25'000 Franken nicht als eine Maximal-, sondern als Fixbetrag definiert. Diese Anregung kam aus dem Bundesrat. Keller-Sutter sprach von einer Geste des Bundes für das erlittene Leid. Es wäre unfair, wenn Opfer, die ihr Gesuch nach der Frist einreichen, weniger bekommen würden.

Bis zum Ende der Frist waren über 9000 Gesuche um Solidaritätsbeiträge eingegangen. Gemäss Karin Keller-Sutter wurden 8800 Beiträge ausbezahlt - das heisst, bei den Gesuchstellerinnen und -stellern wurde die Opfereigenschaft anerkannt. Sie sprach von einer "Geste staatlicher Wiedergutmachung".

Gemäss Forschungsergebnissen einer Expertenkommission waren im Lauf des 20. Jahrhunderts mindestens 60'000 Personen in 648 Institutionen in der Schweiz unter Zwang administrativ versorgt worden. Sie wurden ihrer Freiheit beraubt und in Anstalten eingesperrt. Weil es keine Rechtsgrundlage gab, wurde die administrative Versorgung für viele Zwecke genutzt.