(sda) Der Nationalrat hat bei der Erstberatung der Reform der obligatorischen beruflichen Vorsorge (BVG) erste Pflöcke eingeschlagen. Sparen fürs Alter soll neu mit zwanzig Jahren beginnen. Die Eintrittsschwelle beim Jahresverdienst für die BVG-Pflicht wird halbiert.

Kernstücke der Vorlage sind die Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf sechs Prozent sowie die Anpassung der Bestimmungen an die Arbeitsformen der Gegenwart, was insbesondere den Frauen, Tieflohn- und Teilzeitarbeitenden zugutekommen soll. In der Detailberatung am Dienstag folgte der Rat stets der Mehrheit der vorberatenden Kommission. Dieser geht das von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelte Kompromiss-Modell zu weit, weil es die Leistungen leicht ausbauen will.

Demnach soll die unbestrittene Senkung des Umwandlungssatzes mit einem Rentenzuschlag für alle Neurentner kompensiert werden. Die Mehrheit der vorberatenden Kommission bekämpft dieses "Giesskannenprinzip" mit einem Vorschlag, der lediglich gezielt einer Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen einen Rentenzuschlag auszahlen will. Dieser Entscheid dürfte am Mittwoch fallen.

Obligatorisch versichert sein soll gemäss ersten inhaltlichen Beschlüssen des Nationalrats neu, wer im Jahr mindestens 12'548 Franken verdient. Gemäss geltendem Gesetz liegt diese Schwelle bei 21'510 Franken.

Koordinationsabzug halbiert

Beim koordinierten Lohn sprach sich die grosse Kammer mit 152 zu 42 Stimmen für eine Halbierung des Abzugs aus. Neu liegt die Versicherungsspanne zwischen 12'443 und 85'320 Franken Jahreseinkommen, statt zwischen 25'095 und 86'040 Franken. Ein Minderheitsantrag der Grünliberalen, der den Koordinationsabzug ganz streichen wollte, scheiterte klar.

Ebenso beschloss der Rat eine Glättung der Sparbeiträge respektive Altersgutschriften. Wer zwischen zwanzig und 44 Jahre alt ist, dem sollen neu neun Prozent des koordinierten Lohnes abgezogen werden. Heute sind es sieben Prozent für Arbeitnehmende im Alter von 25 bis 34 Jahren und zehn Prozent für die 35- bis 44-Jährigen.

Ab 45 Jahren bis zur ordentlichen Pension sollen es neu noch 14 statt 18 Prozent sein. Heute liegen die Sparabzüge bei 15 Prozent (45 bis 54) respektive 18 Prozent (55 bis Rentenalter). Fünf Minderheiten schlugen andere Modelle mit einer anderen Aufsplittung nach Alter und Prozentsatz vor. Sie alle scheiterten aber deutlich.

Dafür senkte der Rat das Eintrittsalter für die BVG-Pflicht von heute 25 auf neu zwanzig Jahre. Auch bei diesem Punkt hatten Minderheitsanträge keine Chance, die eine höhere Eintrittsschwelle verlangten.

Pièce de résistance am Mittwoch

Am Mittwoch fährt der Nationalrat mit der Detailberatung der BVG-Reform fort. Er wird sich dabei insbesondere um den Knackpunkt der Vorlage kümmern, das Modell für die Kompensation der Reduktion des Umwandlungssatzes.

Das Modell der Sozialpartner sieht einen lebenslangen monatlichen Rentenzuschlag während vorerst 15 Jahren für alle vor. Dessen Höhe würde der Bundesrat alljährlich nach Rücksprache mit den Sozialpartnern bestimmen. Der Bundesrat befürwortet dieses Modell.

Die Mehrheit der vorberatenden Kommission schlägt ein dreistufiges Modell mit gezielten Unterstützungsbeiträgen an 15 Jahrgänge vor. Die ersten fünf Jahrgänge sollen maximal 2400 Franken pro Jahr erhalten, die zweiten fünf Jahrgänge maximal 1800 Franken und die letzten fünf Jahrgänge noch 1200 Franken. Davon würden 35 bis vierzig Prozent der Rentnerinnen und Rentner profitieren.

Finanziert würde diese Überbrückung durch Beiträge aus dem koordinierten Lohn, Kosten würde dies rund 800 Millionen Franken.

Die Grünliberalen wiederum schlagen eine Übergangsgeneration von zwanzig statt 15 Jahren vor. Der Zuschlag würde von Jahrgang zu Jahrgang stufenweise von 200 auf zehn Franken pro Monat sinken und ginge nur an Versicherte mit einem Altersguthaben bis zu einer halben Million Franken. Dieses Modell würde etwa siebzig Prozent der Rentner erfassen.

Eintreten unbestritten - lebhafte Debatte

Vor der Detailberatung entwickelte sich im Rahmen der Eintretensdebatte eine lebhafte Diskussion, die einen Graben zwischen der Ratslinken und den Bürgerlichen offenbarte. Dass man auf die Vorlage eintreten müsse, war zwar hüben wie drüben nicht bestritten. Die beiden Lager steckten aber schon einmal ihre inhaltlichen roten Linien ab.

Dabei zeigte sich, dass der Sozialpartner-Kompromiss wohl einen schweren Stand haben dürfte. Einzig die Grünen und die SP stellten sich einigermassen vorbehaltlos dahinter. SVP, Mitte, FDP und GLP geht dieser zu weit.

Ruth Humbel (Mitte/AG) warnte gleich wie die Sprecherinnen und Sprecher der FDP und SVP davor, keine "Mini-AHV" in die BVG-Reform einzubauen. Wenn man mit der Giesskanne alle bediene, dann bremse das die im BVG systemfremde Umverteilung von den Arbeitenden zu den Rentnern in Milliardenhöhe nicht.

"Viele denken ans Auswandern"

Aus dem Vorschlag der Kommissionsmehrheit interpretierte Pierre-Yves Maillard (SP/VD) nicht weniger als eine Verachtung der Bürgerlichen für die Realität der Rentnerinnen und Rentner. "Viele denken heute ans Auswandern wegen der tiefen Renten." Die heutige bürgerliche Generation sei die erste, die die Leistungen herunterfahren wolle.

Seit das Stimmvolk vor vier Jahren die gemeinsame Reform von AHV und zweiter Säule an der Urne versenkt hat, laufen die zähen Stabilisierungsversuche für die beiden Altersvorsorgewerke wieder auf getrennten Geleisen. Der Nationalrat hat am Dienstag als Erstrat mit den Beratungen zur BVG-Reform begonnen. Zuvor beschäftigte er sich mit der Differenzbereinigung zur AHV-Reform.