(sda) Coronavirus: Der Nationalrat will die Hälfte der Corona-Schulden mit vergangenen Überschüssen aus dem ordentlichen Haushalt verrechnen. Der Abbau der anderen Hälfte soll bis 2031 mit dem Einsatz von strukturellen Gewinnen sowie Zusatzausschüttungen der Nationalbank erfolgen. Die grosse Kammer hat am Mittwoch als Erstrat eine entsprechende Änderung des Finanzhaushaltgesetzes in der Gesamtabstimmung mit 133 zu 51 Stimmen gutgeheissen. Sie folgte damit der Mehrheit ihrer Finanzkommission (FK-N). Diese hatte im Vorfeld der Debatte ein anderes Konzept als der Bundesrat vorgeschlagen. Die Landesregierung will die coronabedingten Schulden bis 2035 vollständig mittels künftiger Finanzierungsüberschüsse abbauen. Sie rechnet dabei mit ordentlichen Überschüssen von rund einer Milliarde Franken pro Jahr. Die Vorlage geht an den Ständerat.

Impfstoffe: Die Räte sind sich nicht einig, wie viel Geld im laufenden und im kommenden Jahr für die Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen bereitgestellt werden soll. Der Nationalrat hat nach einer Analyse des Bundes beschlossen, den entsprechenden Nachtragskredit neu bei rund 234 Millionen Franken festzulegen. Weiter bestätigte er den vom Bundesrat ursprünglich vorgeschlagenen Verpflichtungskredit fürs nächste Jahr von 780 Millionen Franken. Angesichts des Überangebotes in der Schweiz hatte der Ständerat jüngst entschieden, weniger Geld bereitzustellen. Inzwischen wurde bekannt, dass dies rechtliche Konsequenzen zur Folge hätte. Nun ist wieder die kleine Kammer am Zug.

Polycom: Das Blaulicht-Funksystem Polycom soll auch bei einem Stromausfall funktionieren. Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat einen Verpflichtungskredit von sechzig Millionen Franken für die Nachrüstung der dem Bund gehörenden rund 350 Antennen mit Lithium-Ionen-Batterien oppositionslos genehmigt. Priska Seiler Graf (SP/ZH) wies darauf hin, dass das für die Bundesantennen zuständige Bundesamt zu wenig Fachpersonal habe und bei der Polycom-Umsetzung deshalb Verzögerungen und Kostenüberschreitungen drohten. Finanzminister Ueli Maurer räumte ein, dass das System noch nicht über den Berg sei. Das Problem sei indessen erkannt und lösbar.

Währungshilfe: Die Schweiz soll sich auch weiterhin rasch an Massnahmen zur Stabilisierung des globalen Finanzsystems und der Wechselkurse beteiligen können. Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat den entsprechenden Verpflichtungskredit von zehn Milliarden Franken für 2023 bis 2028 mit 161 zu 17 Stimmen angenommen. Finanzminister Ueli Maurer erinnerte daran, dass es bei der Vorlage lediglich um die Verlängerung eines bestens bewährten Systems gehe. Gerade im Ukraine-Krieg und im Gefolge der Covid-19-Pandemie sei zu erwarten, dass sich viele Länder weiter verschuldeten und die Währungsfrage an Gewicht gewinne.

Strafprozess: Der Nationalrat will bei der Revision der Strafprozessordnung das Teilnahmerecht Beschuldigter an der Einvernahme weiterer Beschuldigter nicht beschränken. Er hat an dieser und drei weiteren Differenzen zum Ständerat festgehalten. Es gelte, gleich lange Spiesse zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft zu erhalten. Auch ein Rekursrecht gegen Entscheide des Haftrichters über die Verlängerung einer U-Haft lehnte die grosse Kammer ab. Die Vorlage geht zum letzten Mal an den Ständerat. Lenkt dieser nicht ein, kommt die Einigungskonferenz zum Zug.

Arbeit I: Sans-Papiers sollen leichter Zugang erhalten zu einer beruflichen Ausbildung. Der Nationalrat hat eine entsprechende Motion seiner Staatspolitischen Kommission (SPK-N) angenommen - mit 111 zu 73 Stimmen bei 4 Enthaltungen. Für eine Mitte-Links-Mehrheit ist die geltende Regelung zu restriktiv und erschwert Sans-Papiers den Zugang zur nachobligatorischen Bildung. Es sei wenig sinnvoll, junge motivierte Erwachsene mit Potenzial, die sich sowieso schon in der Schweiz befänden, von der beruflichen Ausbildung auszuschliessen, lautete der Tenor. Vor diesem Hintergrund sei eine geringfügige Anpassung der geltenden Regelung angebracht. Der Vorstoss geht nun an den Ständerat.

Arbeit II: Der Bundesrat soll die Abschaffung des Arbeitsverbots für abgewiesene und auf ihre Ausreise wartende Asylbewerber an die Hand nehmen. Der Nationalrat hat eine entsprechende Motion von Fabio Regazzi (Mitte/TI) mit 102 zu 80 Stimmen gutgeheissen. Der Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands hielt das Verbot für wenig sinnvoll, denn viele Abgewiesene könnten nicht zurück und seien am Arbeitsplatz integriert. Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnte vergeblich vor einem Fehlanreiz. Zudem erhielten Abgewiesene, die nicht zurück können, eine vorläufige Aufnahme, was ihnen eine Erwerbstätigkeit ermögliche. Die Motion geht an den Ständerat.

Cyberangriffe: Der Bundesrat prüft Massnahmen gegen Ransomware-Angriffe auf Unternehmen und Verwaltungen. Der Nationalrat hat einem Postulat von Edith Graf-Litscher (SP/TG) mit 87 zu 86 Stimmen zugestimmt. Sie begründete den Vorstoss damit, dass keine Woche mehr vergehe ohne Meldungen über Angriffe mit Verschlüsselungstrojaner (Ransomware). Die Dunkelziffer sei hoch, viele Unternehmen zahlten Lösegelder an die Kriminellen. Bundesrat Ueli Maurer stimmte dem zu. Der Schaden sei gross. Der Bundesrat plane ein Bundesamt für Cyberabwehr und wolle gerade den kleinen und mittleren Unternehme Instrumente gegen solche Angriffe anbieten können.

Pädokriminalität: Der Bundesrat soll eine nationale Strategie zur Bekämpfung der Cyber-Pädokriminalität ausarbeiten. Der Nationalrat hat mit 114 zu 69 Stimmen eine entsprechende Motion von Yvonne Feri (SP/ZH) gutgeheissen. Feri machte geltend, die Fälle würden sich häufen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter wandte vergebens ein, die Bekämpfung des Phänomens sei Sache der Kantone. Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) übernehme dabei einige Aufgaben. Die Kantone hätten die Grundlagen dazu und seien darum 2020 aus der Meldestelle ausgestiegen. Die Motion geht an den Ständerat.

Internetkriminalität: Ein nationales Analysezentrum soll künftig helfen, Lösegeldzahlungen und andere Betrugsfälle im Bereich der Kryptowährungen aufzuklären. Dieser Meinung ist der Nationalrat. Der Bundesrat muss nun eine schweizweit einheitliche Struktur prüfen. Die grosse Kammer hat mit 98 zu 72 Stimmen ein entsprechendes Postulat seiner Sicherheitspolitischen Kommission (SIK-N) an die Regierung überwiesen. Ziel ist es, dass die Strafverfolgungsbehörden des Bundes sich in enger Zusammenarbeit mit den kantonalen Behörden die Technologie beschaffen, die notwendig ist, um Kryptowährungen zu analysieren und Transaktionen in Blockchain-Systemen zurückzuverfolgen.

Stiefkindadoption: Der Nationalrat will die Stiefkindadoption erleichtern. Dafür soll die Voraussetzung eines einjährigen Pflegeverhältnisses entfallen. Im Weiteren möchte die grosse Kammer den Rechtsschutz für im Ausland durch Fortpflanzungsmedizin oder Samenspende gezeugte Kinder verbessern. Die Voraussetzung des einjährigen Pflegeverhältnisses als Adoptionsbedingung für ein Stiefkind soll entfallen, wenn ein leiblicher Elternteil bereits bei Geburt des Kindes mit dem adoptionswilligen zusammenlebt. Die Anpassungen sind Folge der "Ehe für alle" und stellen gleichgeschlechtliche Paare heterosexuellen Partnerschaften gleich. Die zwei Motionen gehen an den Ständerat.

Namensrecht: Personen mit Landesverweis sollen nach dem Willen des Parlaments ihren Namen nicht mehr ändern können. Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat einem entsprechenden Vorstoss zugestimmt. Die grosse Kammer überwies die Motion des parteilosen Schaffhauser Ständerats Thomas Minder mit 107 zu 59 Stimmen. Nun ist der Bundesrat am Zug. Dieser hatte die Annahme der Motion empfohlen und sich bereit erklärt, eine entsprechende Änderung des Zivilgesetzbuches auszuarbeiten. Dabei sei es allerdings wichtig, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu wahren.

Familienrecht: Der Bundesrat muss gegen seinen Willen eine Datengrundlage schaffen zu Unterhaltsentscheiden im Familienrecht. Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat eine entsprechende Motion von Eva Herzog (SP/BS) angenommen - mit 97 zu 69 Stimmen bei 3 Enthaltungen. Das eheliche Unterhaltsrecht befinde sich in einem starken Wandel. Dies führe bei Scheidungen meist zu Nachteilen für die Frauen. Bei jährlich rund 15'000 Unterhaltsentscheiden gehe es um beachtliche finanzielle Summen, so Herzog. Der Bundesrat will zuerst eine Machbarkeitsstudie durchführen, um den mit dem Vorstoss verbundenen administrativen, finanziellen und personellen Aufwand für Bund und Kantone abschätzen zu können.

Zivilrecht: Wer sich ins schweizerische Personenstandsregister eintragen will, aber über keine gültigen Urkunden verfügt, soll künftig weniger Hürden überwinden müssen. Der Nationalrat will das Verfahren in solchen Fällen vereinfachen und hat ein entsprechendes Postulat von Sibel Arslan (Grüne/BS) überwiesen. Der Bundesrat war mit dem Erstellen einer Evaluation einverstanden. Kritik gab es von der SVP-Fraktion, die einen Bericht zum Thema als überflüssig bezeichnete. Wenn überhaupt, brauche es gesetzliche Anpassungen. Schliesslich nahm die grosse Kammer den Vorstoss deutlich an - mit 135 zu 53 Stimmen.

Terrorismus: Der Bundesrat muss in einem Bericht darlegen, welche Ebenen und Organe für welche Formen von Terrorismus- und Extremismusbekämpfung zuständig sind und welche gesetzlichen Grundlagen dafür jeweils gegeben sind. Der Nationalrat hat ein entsprechendes Postulat von Min Li Marti (SP/ZH) überwiesen - mit 134 zu 54 Stimmen. Der Bundesrat hat Verständnis für das Anliegen. Die SVP-Fraktion stellte sich erfolglos gegen den Bericht. Sie plädierte schlichtweg dafür, die geltenden Gesetze anzuwenden.

Fristen: Der Nationalrat will einheitliche Fristen in der schweizerischen Rechtsordnung. Er hat eine entsprechende Motion seiner Rechtskommission angenommen. Wird die Sendung an einem Samstag bei der berufsmässigen Vertretung der Partei abgegeben, soll die Frist am folgenden Werktag zu laufen beginnen. Nun ist der Ständerat am Zug. Der Bundesrat bezweifelt, ob die Ausweitung der vorgeschlagenen Lösung auf alle anderen Rechtsgebiete sachgerecht ist. Er wird dem Ständerat deshalb die Umwandlung in einen Prüfauftrag beantragen, wie Justizministerin Karin Keller-Sutter im Rat sagte.

Familiengericht: Der Bundesrat soll die Einführung von Familiengerichten prüfen. Der Nationalrat hat ein entsprechendes Postulat überwiesen. Das Familiengericht soll sich aus Fachleuten zusammensetzen und für alle familienrechtlichen Streitigkeiten zuständig sein. Bevor ein Familienstreit vor Gericht kommt, soll ein obligatorisches Schlichtungsverfahren mit im Familienrecht bewanderten Fachleuten stattfinden. Dieses müsste unentgeltlich sein.

Familienpolitik: Das Parlament hat eine Motion sistiert, die verlangt, dass die Verweigerung des Besuchsrechts für nicht sorgeberechtigten Väter und Mütter bei ihren Kindern ein Straftatbestand werden soll. Nach dem Ständerat will auch der Nationalrat eine über ein Postulat eingeforderte Evaluation abwarten, die aufzeigen soll, wie die Kantone Mediation und Intervention bei Streitigkeiten innerhalb getrennter Familien anwenden. Die grosse Kammer hatte die Einführung eines Straftatbestandes im Mai 2021 befürwortet. Auch im Ständerat war grundsätzlich nicht bestritten, dass es in dieser virulenten Frage eine Lösung braucht.

Die Traktanden des Nationalrats für Donnerstag, 9. März (08:00 bis 13:00 und 15:00 bis 18:00):

Bern Ukraine: Ausserordentliche Session zu Sanktionen (22.3214 und 22.3031)
Eigenständige Sanktionen des Bundesrates - Änderungen des Embargogesetzes (19.085)
Motion zur Beweislastumkehr im Kartellgesetz (21.4189)
Motion zu Familienhotels in den Städten (22.3021)
Motion für Förderung von Schweizer Wein (22.3022)
Motion "Schweizer Programm für exzellente Forschung und Innovation" (22.3375)
Postulat zur Förderung des akademischen Nachwuchses (22.3390)
Motion zur Berufs, Studien- und Laufbahnberatung (22.3391)
Postulat zur Nutzung der Kompetenzen von Geflüchteten (22.3393)
Parlamentarische Vorstösse aus dem WBF (gebündelte Abstimmungen ca. 12:45)
ab 15:00:
Grundlagen für die Bearbeitung von Personendaten im VBS - Änderungen im Gesetz über die militärischen Informationssysteme (21.069)
Parlamentarische Vorstösse aus dem VBS (gebündelte Abstimmungen)
Parlamentarische Initiative und fünf Standesinitiative zur Prämienbemessung bei Krankenkassen (20.463, 20.301, 20.305, 20.329, 20.334 und 21.301)
Standesinitiative ZH für Moratorium bei Poststellenschliessungen (20.324)
Standesinitiative JU zu Verwendung der Nationalbankgewinne (20.326)
Standesinitiative JU zu Preisen von Hygienemasken und Desinfektionsgel (20.327)
Standesinitiative BS für Aufnahme von Geflüchteten aus überfüllten Lagern (21.310)
Parlamentarische Initiativen erste Phase (gebündelte Abstimmungen ca. 17:45)