(sda) Ausschaffungen: Zwangsweise Covid-Tests bei Ausschaffungen sollen bis Ende Juni 2024 möglich bleiben. Der Nationalrat hat am Donnerstag als Erstrat der Verlängerung der entsprechenden Bestimmung im Ausländer- und Integrationsgesetz zugestimmt. Das Geschäft geht in den Ständerat. Einen Minderheitsantrag der Grünen, nicht auf die Vorlage einzutreten, lehnte der Rat mit 118 zu 61 Stimmen ab. Viele Staaten verlangen weiterhin einen negativen Covid-19-Test für die Rückübernahme weggewiesener Personen. Die bisherige Regelung ist bis Ende 2022 befristet. Sie gilt seit dem 2. Oktober 2021. Justizministerin Karin Keller-Sutter gab zu bedenken, bei einer Nichtverlängerung bestehe die Gefahr, dass sich diese Personen weiterhin weigern und damit den Vollzug der Rückführungen verhindern könnten. Die Regelung habe auch präventive Wirkungen.

Jugendschutz: Der Nationalrat hat bei den neuen Regeln zum Schutz Minderjähriger vor Sex- und Gewaltdarstellungen in Filmen und Games auf einer Differenz beharrt. Er will das zuständige Bundesamt im Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele nach wie vor zu Massnahmen zur Förderung der Medienkompetenz verpflichten. Das entschied er mit 108 zu 75 Stimmen bei zwei Enthaltungen. Zwei weitere Differenzen räumte die grosse Kammer aus. Das Geschäft geht zurück an den Ständerat.

Öffentlichkeitsgesetz: Die Bundesverwaltung darf auch in Zukunft in Ausnahmefällen für die Einsicht in Dokumente mehr als 2000 Franken verrechnen. Der Nationalrat hat bei der Revision des Öffentlichkeitsgesetzes die letzte verbliebene Differenz zum Ständerat ausgeräumt. Oppositionslos stimmte die grosse Kammer zu, auf die Gebührenobergrenze zu verzichten. Sie folgte damit dem einstimmigen Antrag ihrer Staatspolitischen Kommission (SPK-N). Das Geschäft ist damit bereit für die Schlussabstimmung.

Terrorismus: Der Nationalrat verlangt keine Sonderregeln mehr für die Ausschaffung von Personen, die im Zusammenhang mit Verbrechen der Terrormiliz IS verurteilt worden sind. Er hat der Abschreibung einer Motion von Fabio Regazzi (Mitte/TI) mit 103 zu 69 Stimmen bei vier Enthaltungen zugestimmt. Regazzi forderte die Ausweisung verurteilter IS-Terroristinnen und -Terroristen in ihre Herkunftsländer - unabhängig davon, ob diese Länder als "unsichere Staaten" gelten. Das Parlament hatte den Vorstoss in der letzten Legislatur überwiesen. Der Bundesrat kam jedoch zum Schluss, es sei rechtlich unmöglich, den Vorstoss umzusetzen.

Aussengrenzen: Der Nationalrat ist einverstanden mit der Umsetzung von zwei Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstandes. Als Erstrat hat er am Donnerstag einer Reihe von Gesetzesänderungen zugestimmt. Bei den beiden Geschäften geht es zum einen um das Visa-Informationssystem (VIS). Zur Debatte standen andererseits auch Änderungen beim Europäischen Reiseinformations- und Genehmigungssystem (Etias). Der Nachvollzug der europäischen Normen soll die Reisefreiheit innerhalb des Schengenraums gewährleisten, die Kontrollen verbessern und irreguläre Migration und Terrorismus bekämpfen und insgesamt das Vertrauen in das Schengen-System stärken.

Bundesgericht: Am überlasteten Bundesgericht sollen ab dem nächsten Jahr 40 statt wie heute 38 ordentliche Richterinnen und Richter arbeiten können. Mit 131 zu 47 Stimmen und ohne Enthaltung sagte der Nationalrat Ja zu einer Vorlage seiner Rechtskommission (RK-N). Die entsprechende Verordnung der Bundesversammlung soll Anfang 2023 in Kraft treten. Hintergrund der Vorlage ist ein Ersuchen des Gerichts. Dieses habe eine steigende Last von Fällen zu bearbeiten und Reformen seien blockiert, berichtete Sibel Arslan (Grüne/BS) namens der vorberatenden Rechtskommission. Das Gericht sei seit längerer Zeit chronisch überlastet. Ausser der SVP waren alle Fraktionen mit der Aufstockung einverstanden. Die Vorlage geht an den Ständerat.

Asyl: Der Nationalrat will in einem Bericht Aufschluss darüber erhalten, inwiefern das Kindeswohl im Asyl- und Ausländerrecht gewährleistet ist und ob Handlungsbedarf besteht. Er überwies dazu ein Postulat von Samira Marti (SP/BL) mit 105 zu 73 Stimmen an. Der Bundesrat soll in einem Bericht zeigen, ob die Verfahren kindgerecht gestaltet sind, beim Familiennachzug das Recht auf Privat- und Familienleben gewahrt ist und bei Wegweisungen das Kindeswohl genügend berücksichtigt wird. Auch zu prüfen hat der Bundesrat, ob die Situation von Minderjährigen in Unterkünften sowie betreffend Betreuung und Bildung menschenrechtskonform ist.

Armee: Auf den militärischen Arealen in der Schweiz soll künftig auf den Einsatz von synthetischen Pestiziden verzichtet werden. Zudem sollen Wildtierkorridore geschaffen und die Lichtverschmutzung beseitigt werden. In diesem Sinne hat der Nationalrat als Zweitrat eine Motion von Céline Vara (Grüne/GE) für mehr Biodiversität bei der Armee mit 135 zu 50 Stimmen bei einer Enthaltung gutgeheissen. Der Bund als grösster Grundstückseigentümer der Schweiz habe eine tragende Rolle zu spielen im Kampf gegen den rasanten Rückgang der Biodiversität, begründete die Motionärin ihren Vorstoss. Der Bundesrat war bereit, den Vorstoss anzunehmen. Er kann sich nun an die Arbeit machen. Er will die Anliegen in den Aktionsplan Biodiversität für militärische Areale aufnehmen, soweit das Kosten-Nutzen-Verhältnis vertretbar sei, wie er schreibt.

Kantonsverfassungen: Das Parlament hat den geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Glarus, Appenzell Innerrhoden, Tessin und Neuenburg zugestimmt. Die Änderungen wurden zwischen 2013 und 2021 an der Urne angenommen. Bern hat zum Beispiel den Klimaschutz in der Kantonsverfassung verankert und die Glarnerinnen und Glarner beschlossen Änderungen in der Gesundheitsversorgung. In Appenzell Innerrhoden gab es Anpassungen zum Zwangsmassnahmengericht und den Vermittlerämtern, und im Tessin wurden Bestimmungen zur Ernährungssouveränität angenommen. Die Neuenburger Stimmberechtigten haben sich für Anpassungen in der Organisation des Grossen Rates ausgesprochen. Der Nationalrat hiess die Neuerungen als Zweitrat gut.

Armee: Der Nationalrat will keine Massnahmen, damit die Armee im Krisenfall mehrere hundert Patientinnen und Patienten über mehrere Monate lang medizinisch betreuen kann. Er hat eine entsprechende Motion des Berner SVP-Ständerats Werner Salzmann mit 108 zu 70 Stimmen bei sieben Enthaltungen abgelehnt. Salzmann wollte den Bundesrat beauftragen, Vorschläge für mögliche Schritte zu machen. Der Ständerat hatte den Vorstoss im März angenommen. Nun ist dieser vom Tisch. Der Nationalrat folgte mit seinem Entscheid einer knappen Minderheit seiner Sicherheitspolitischen Kommission (SIK-N).

Flüchtlinge: Der Bund soll nach dem Willen des Nationalrats Grenzkantone künftig beim Betrieb sogenannter Ausreisezentren finanziell unterstützen können. Die grosse Kammer hat mit 182 zu einer Stimme bei zwei Enthaltungen einer entsprechenden Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes zugestimmt. Die Vorlage geht an den Ständerat. Es geht um Zentren, in denen ausreisepflichtige Personen kurzfristig festgehalten werden, bevor die Schweizer Behörden sie einem Nachbarstaat übergeben. Vorgesehen ist ein finanzielles Engagement des Bundes im Falle einer ausserordentlich hohen Zahl von illegalen Grenzübertritten.

Patentrecht: Nach dem Ständerat will auch der Nationalrat die Transparenz bei Pflanzenschutz-Patenten verbessern. Er hat als Zweitrat stillschweigend eine entsprechende Motion der zuständigen Ständeratskommission gutgeheissen. Der Bundesrat kann sich damit an die Arbeit machen. Oft ist für Züchter nicht ersichtlich, ob eine Pflanzensorte mit einem Patent verbunden ist oder nicht. Dies führt zu potenziellen Klagerisiken und beeinträchtigt den für eine Züchtung essenziellen Investitionsschutz. Die Erhöhung der Transparenz bedingt laut den Erwägungen der zuständigen Nationalratskommission höchstens geringfügige Anpassungen der Gesetzgebung. Gerade für kleine Züchterunternehmen sei es essentiell, Rechtssicherheit zu haben.

Terrorismus: Der Nationalrat will den Bundesrat mit 100 zu 78 Stimmen bei 3 Enthaltungen beauftragen, Gesetzesänderungen vorzuschlagen, die es erlauben, die terroristische Bedrohung, die von einer Person ausgeht, vor deren Freilassung aus der Untersuchungshaft oder aus dem Straf- oder Massnahmenvollzug umfassend zu beurteilen. Namentlich sollen laut der Motion von Jacqueline de Quattro (FDP/VD) ein zweites unabhängiges psychiatrisches Gutachten sowie die Erstellung von Berichten durch die Sicherheitsbehörden vorgeschrieben werden. Im Interesse der öffentlichen Sicherheit sei es wichtig, die Gefährlichkeit dieser Personen richtig zu beurteilen, so die Motionärin. Justizministerin Karin Keller-Sutter warnte vergeblich davor, den Gutachterstaat aufzublähen. Eine solche Bestimmung biete keine Gewähr für mehr Sicherheit. Die Motion geht an den Ständerat.

Kriminalität I: Der Nationalrat möchte Krisenzentren für die Opfer von Gewalt schaffen. Er hat dazu zwei Motionen aus der SP- und der FDP-Fraktion mit deutlichen Mehrheiten angenommen. Demnach sollen Opfer in den Krisenzentren spezialisierte medizinische und psychologische Erstbetreuung und Unterstützung erhalten. Die Zentren sollen zudem die Dokumentation des Falls und die Sicherung der Spuren garantieren, ohne Verpflichtung zur Anzeige. In der Waadt gebe es solche Zentren bereits, berichtete Tamara Funiciello (SP/BE). Die Erfolgschancen für die Strafverfolgung sei in diesem Kanton deutlich höher als in Zürich, wo es keine solchen Zentren gebe. Die SVP beantragte erfolglos ein Nein zu den Motionen, mit denen auch der Bundesrat einverstanden ist. Die Vorstösse gehen an den Ständerat.

Kriminalität II: Der Nationalrat will Aufschluss über das Ausmass von digitaler Gewalt in der Schweiz. Er hat beim Bundesrat einen Bericht angefordert, indem er ein ein Postulat von Judith Bellaiche (GLP/ZH) mit 134 zu 41 Stimmen überwies. Untersuchen soll der Bundesrat, weshalb digitale Gewalt sich ausbreitet, woran die Strafverfolgung in Fällen von digitaler Gewalt scheitert und wer besonders von Fällen dieser Art betroffen ist. Ebenso soll der Bericht zeigen, was gegen digitale Gewalt getan werden kann. Täter wiegten sich heute in der Sicherheit, ungeschoren davonzukommen, sagte Bellaiche im Rat. Die Opfer fühlten sich hilflos und die Strafverfolgungsbehörden ebenso. Die SVP-Fraktion stellte sich gegen das Postulat. Der Bundesrat ist mit dem Auftrag einverstanden.

Die Traktanden des Nationalrats für Montag, 26. September (14:30 bis open end):

Bern Fragestunde (bis 15:30)
Stärkung der Geschäftsprüfungskommissionen, Antrag der Einigungskonferenz (15.451)
Rettungsschirm für die Strombranche - Bundesgesetz und Verpflichtungskredit, Differenzen (22.031)
Teilprivatisierung der Postfinance, Nichteintreten (21.048)
Vorstösse der Geschäftsprüfungskommission zum Grundwasserschutz (22.3873, 22.3874 und 22.3875)
Postulate zum Aktionsplan Food Waste (22.3880, 22.3881 und 22.3882)
ab 19:00:
Ausserordentliche Session zum Axpo-Kredit (22.042)