(sda) Coronavirus - Schweiz: Der Nationalrat will einzelne Bestimmungen im Covid-19-Gesetz verlängern, um falls nötig in einer nächsten Corona-Welle die nötigen Instrumente bei der Hand zu haben. Dass künftig die Kantone die Tests bezahlen sollen, lehnt er aber ab. Der Nationalrat hiess die vom Bundesrat beantragten Verlängerungen am Dienstag mit 140 zu 47 Stimmen gut. Bei der Verantwortung für die Tests will er aber statt einem Flickenteppich, wie es mehrere Votanten im Rat nannten, weiterhin das vom Bund verantwortete und finanzierte Testregime. Der Ständerat ist nun am Zug, voraussichtlich in der Wintersession.

Gesundheit I: Der Nationalrat will Verbesserungen bei der Förderung von Forschung und Therapie von spezifischen Frauenkrankheiten. Er hat einen Vorstoss seiner zuständigen Kommission gegen den Willen des Bundesrates mit 133 zu 52 Stimmen angenommen. Es gebe zahlreiche Krankheiten wie Lipödem, eine schwere Erkrankung des Fettgewebes, Endometriose oder Menstruationsbeschwerden, die ausschliesslich oder grossmehrheitlich Frauen beträfen. Es sei deshalb unerlässlich, dass frauenspezifische Krankheiten als solche identifiziert und breiter erforscht würden, am besten über ein Forschungsprogramm des Schweizerischen Nationalfonds (SNF), befand die Mehrheit. Am Ursprung der Motion stehen zwei überwiesene Petitionen der letzten Frauensession zur Gendermedizin.

Gesundheit II: Der Nationalrat verlangt Präzisierungen für die blockierten Verhandlungen bezüglich der Rahmenbedingungen für die neue Tarifstruktur Tardoc, die den veralteten Tarmed ersetzen soll. Bis eine von den Tarifpartnern revidierte Tarifstruktur vorliegt, sollen unter anderem keine neuen Tarifsysteme genehmigt werden dürfen. Die grosse Kammer hat ein entsprechendes Postulat gegen den Willen des Bundesrates mit 170 zu 7 Stimmen bei 4 Enthaltungen beschlossen. Darin wird weiter gefordert, dass das neue Tarifsystem nur Einzelleistungstarife beinhaltet, wo gemäss aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand keine Pauschalen für ambulante Leistungen möglich sind. In allen Bereichen ohne Unterversorgung sollen zudem bis zum Vorliegen des neuen Tarifsystems die bisherigen Tarmed-Positionen gekürzt werden können.

Gesundheit III: Der Bundesrat muss gegen seinen Willen einen Bericht zur Verbesserung der Betreuung von Menschen mit Demenz vorlegen. Der Nationalrat hat ein Postulat seiner Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-N) mit 115 zu 71 Stimmen bei 4 Enthaltungen akzeptiert. Das Problem sei gravierend, die Kosten hoch, sagte Mehrheitssprecherin Barbara Gysi (SP/SG) im Rat. Die hochbelasteten Betreuungspersonen von Demenzkranken müssten unbedingt entlastet werden. Thomas Aeschi (SVp/ZG) verwies namens der Kommissionsminderheit vergeblich auf die bereits existierende nationale Plattform mit sechs Schwerpunkten in diesem Bereich. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sei bereits gut unterwegs, es brauche keinen neuen Bericht.

Krankenkassen I: Der Abbau überschüssiger Reserven soll für die Krankenversicherer nicht mehr freiwillig sein, wie dies der Bundesrat will, sondern obligatorisch, wenn diese Reserven einen bestimmten Anteil überschreiten. In diesem Sinne hat der Nationalrat eine Motion von Lorenzo Quadri (SVP/TI) mit 147 zu 36 Stimmen bei 3 Enthaltungen angenommen. Kürzlich hat der Bundesrat eine Änderung der entsprechenden Verordnung in die Vernehmlassung gegeben, mit der die Voraussetzungen für einen freiwilligen Abbau der Reserven durch die Versicherer vereinfacht werden sollen. Die Landesregierung wollte zuerst die Ergebnisse der Vernehmlassung abwarten, bevor sie allenfalls weitergehende Massnahmen ins Auge fasst. Solange die Rückerstattung an die Versicherten via Prämiensenkung nicht obligatorisch sei, würden die Versicherer nicht im gewünschten Sinn handeln, argumentierte Quadri. Das Anliegen geht in den Ständerat.

Krankenkassen II: Der Nationalrat will mehr Transparenz über die Berechnung der alljährlich im Herbst kommunizierten Krankenkassenprämien. Er hat eine Motion von Olivier Feller (FDP/VD) mit 166 zu 21 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen. Die den Berechnungen zu Grunde liegenden Annahmen und Modalitäten müssten transparent, klar und vollständig dargelegt werden, so der Motionär. Gesundheitsminister Alain Berset wehrte sich gegen das Anliegen vor allem mit dem Hinweis, die Festlegung der Prämien erfolge nicht politisch, sondern technisch. Hypothesen, Hochrechnungen und Prognosen der Versicherer fallen gemäss der Antwort des Bundesrates unter das Geschäftsgeheimnis. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) dürfe sie daher nicht an Dritte weitergeben. Die Kantone würden aber jeweils alle Unterlagen und Informationen erhalten, die sie im Rahmen des Prämiengenehmigungsverfahrens benötigen. Sie seien somit in der Lage, ihrer Bevölkerung die Kosten zu erläutern. Die Motion geht an den Ständerat.

Gesundheitspersonal: Der Nationalrat will das Gesundheitspersonal digital fit machen. Zur künftigen Aus- und Weiterbildung für Gesundheitsfachleute sollen digitale Kompetenzen gehören und die nötigen Rechtsgrundlagen dafür geschaffen werden. Der Nationalrat hat mit 136 zu 50 Stimmen eine Motion von Andri Silberschmidt (FDP/ZH) angenommen, mit der auch der Bundesrat einverstanden war. Silberschmidt sieht ein grosses Potenzial für den digitalen Austausch im Gesundheitswesen sowie Gesundheitseinrichtungen und Patientenschaft. Andreas Glarner (SVP/AG) beantragte namens einer Minderheit die Ablehnung der Motion. Diese geht an den Ständerat.

Arbeit: Der Nationalrat will wissen, was gegen Krankschreibungen aus Gefälligkeit unternommen werden kann. Mit einem mit 126 zu 55 Stimmen bei acht Enthaltungen angenommenen Postulat von Philippe Nantermod (FDP/VS) bestellte er vom Bundesrat einen Bericht. Dieser soll Zahlen zu nachgewiesenen Betrugsfällen dieser Art enthalten, beruhend auf einer Umfrage bei den Arbeitgebern. Es gebe Missbräuche, gab sich Nantermod überzeugt. Darunter zu leiden hätten die Arbeitgeber. Der Bundesrat ist mit dem Auftrag einverstanden. Katharina Prelicz-Huber (Grüne/ZH) beantragte ein Nein und sprach von einem "Generalverdacht" gegenüber der Ärzteschaft. Gefälligkeitszeugnisse hätten für Ärzte und Ärztinnen keinen Mehrwert. Auf die Ärzteschaft dürfe kein Druck ausgeübt werden, Menschen für arbeitsfähig zu erklären.

Spitäler: Der Nationalrat will, dass Ärztinnen und Ärzte in Spitälern keine mengenbezogenen Lohnanteile oder Kickbacks erhalten. Kantone sollen nur noch Spitälern Leistungsaufträge erteilen, die keine solchen Entschädigungen zahlen. Die grosse Kammer hiess dazu eine Motion von Jörg Mäder (GLP/ZH) mit 112 zu 75 Stimmen und vier Enthaltungen gut. Mäder sieht darin ein Instrument, um überflüssige Behandlungen zu verhindern und Kosten zu sparen. Der Bundesrat beantragte erfolglos ein Nein zur Motion, diese geht an den Ständerat. Anfang Jahr sei eine entsprechende Verordnungsänderung in Kraft, begründete Gesundheitsminister Alain Berset das Nein. Das Medizinalberufegesetz schreibe vor, dass allein die Interessen der Patienten zählen dürften, unabhängig von finanziellen Vorteilen.

Tierschutz: Eine knappe Mehrheit im Nationalrat wünscht eine Deklarationspflicht für tierquälerische Kokosprodukte. Der Rat hat eine Motion von Meret Schneider (Grüne/ZH) mit 92 zu 91 Stimmen und mit fünf Enthaltungen angenommen. Schneider begründete den Vorstoss damit, dass laut einem Medienbericht in Thailand gewaltsam trainierte und angekettete junge Affen für das Pflücken der Nüsse eingesetzt würden. In anderen Ländern hingegen würden Kokosprodukte ohne Tierleid erzeugt. Der Bundesrat beantragte ein Nein. Innenminister Alain Berset erinnerte an eine bereits überwiesene Motion für eine Deklaration verbotener Produktionsmethoden. Die Arbeiten seien im Gang, und das Anliegen könne dort aufgenommen werden. Die Motion geht an den Ständerat.

Pestizide: Der Bundesrat muss einen Bericht vorlegen, der aufzeigt, wie die Sanierung von Verunreinigungen des Trinkwassers mit Chlorothalonil finanziert werden kann. Der Nationalrat hat ein Postulat von Christophe Clivaz (Grüne/VS) mit 95 zu 94 Stimmen angenommen. Der Bericht soll auch Kostenschätzungen für die Sanierungsarbeiten der Gemeinden enthalten und evaluieren, wie hoch das Risiko ist, dass ein Teil der Bevölkerung bis zum Abschluss der Sanierung kontaminiertem Trinkwasser ausgesetzt bleibt. Der Bund habe in dieser Situation eine Verantwortung, denn er habe Chlorothalonil zugelassen und dessen Einsatz während mehrerer Jahrzehnte bewilligt, begründete Clivaz seinen Vorstoss. Der Bundesrat argumentierte vergeblich, eine generelle Aussage zur Zeitdauer und zu den Kosten der notwendigen Sanierungsarbeiten sei nicht möglich.

Sozialversicherungen: Selbständigerwerbende sollen sozial besser abgesichert werden. Die Corona-Krise habe namentlich bei den Selbstständigerwerbenden problematische soziale und wirtschaftliche Verhältnisse zutage gefördert und diese noch verschärft, sagte Benjamin Roduit (Mitte/VS) zu seinem Postulat. Der Nationalrat hat es gegen den Willen des Bundesrates mit 108 zu 75 Stimmen bei 6 Enthaltungen angenommen. Roduit möchte vor allem, dass auch Selbständigerwerbende von der Arbeitslosenversicherung profitieren können. Der Bundesrat sah angesichts der Normalisierung der Lage nach der Corona-Krise keinen Bedarf für weitere Abklärungen. Das Missbrauchsrisiko wäre laut Innenminister Alain Berset zu gross und die Umsetzung zu schwierig. Nun müsse wieder vermehrt auf Erwerbsanreize gesetzt werden. Im Vordergrund stehe die Rückkehr zu den bewährten Regelungen.

Die Traktanden der Vereinigten Bundesversammlung für Mittwoch, 28. September (08:00 bis 08:30):

Bern Wahl eines ordentlichen Richters/einer ordentlichen Richterin ans Bundesstrafgericht (22.203)
Wahl von drei ordentlichen Richtern/Richterinnen ans Bundesgericht (22.204)
Gesamterneuerungswahl der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft für die Amtsdauer 2023 bis 2026 (22.207)

Die Traktanden des Nationalrats für Mittwoch, 28. September (08:30 bis 11:45 - am Nachmittag Fraktionsausflüge):

Bern Dringliche Debatte zu Energiepreisen (22.3903, 22.3908, 22.3809, 22.3910, 22.3911 und 22.3912)
Jahresziele des Bundesrates - Erklärung von Bundespräsident Cassis
Zahlungsrahmen von 16,7 Millionen Franken für Weltausstellung 2025 in Osaka/Japan (22.2027)
Parlamentarische Vorstösse aus dem EDA (gebündelte Abstimmungen um circa 11:30)