(sda) Sanktionen I: Im Schweizer Sanktionenrecht gibt es keinen Paradigmenwechsel. Der Nationalrat ist am Donnerstag auf die Linie des Ständerats eingeschwenkt. Er verzichtete auf eine Bestimmung, welche die Verhängung eigenständiger Sanktionen erlaubt hätte. Mit 103 zu 83 Stimmen folgte die grosse Kammer bei der Revision des Embargogesetzes dem Antrag einer knappen Mehrheit ihrer Aussenpolitischen Kommission (APK-N). Das Geschäft ist damit bereit für die Schlussabstimmung.

Sanktionen II: Der Nationalrat verlangt vom Bundesrat konkrete Vorschläge für eine umfassende und eigenständige Sanktionspolitik angesichts des Ukraine-Krieges. Er hat mit 101 zu 84 Stimmen eine entsprechende Motion seiner Aussenpolitischen Kommission (APK-N) angenommen. Die Kommission hatte den Vorstoss im Frühling erarbeitet und Anfang Mai verabschiedet. Als Problemfelder nannte sie in der Begründung des Vorstosses unter anderem nachrichtendienstliche Tätigkeiten durch russische Diplomaten in der Schweiz oder die aktive Suche nach Vermögenswerten sanktionierter Personen. Die Motion geht an den Ständerat.

Steuern: Der Nationalrat will die Abschaffung des Eigenmietwertes noch nicht beraten und schickt ihn auf eine Zusatzrunde zurück in die Kommission. Das Fuder sei überladen, befand er. Damit sei keine Volksabstimmung zu gewinnen. Der Rat beschloss mit 125 zu 68 Stimmen zwar Eintreten auf die Vorlage. Er schickte sie aber auf Antrag der Mitte-Fraktion mit 114 zu 77 Stimmen bei 2 Enthaltungen umgehend zurück an die vorberatende Kommission. Über den Weg einer Subkommission will der Nationalrat nun die Kantone besser einbinden, die vehement gegen die geltende Vorlage opponieren. Im Frühling 2023 sollen zudem neue Daten vorliegen. Damit ist es realistisch, dass innerhalb eines Jahres eine bessere Vorlage auf dem Tisch liegt.

Landwirtschaft: Bauern erhalten kein Geld, wenn sie ihren Kühen die Hörner belassen. Der Nationalrat ist gegen die Einführung eines "Hörnerfrankens" in der Direktzahlungsverordnung. Als Zweitrat hat er mit 92 zu 86 Stimmen bei 13 Enthaltungen eine Motion des Solothurner SP-Ständerats Roberto Zanetti abgelehnt. Der Ständerat hatte den Vorstoss im Juni gutgeheissen. Nun ist er vom Tisch. Über das Thema hatten Volk und Stände bereits Ende November 2018 zu entscheiden. Damals verwarfen die Stimmenden die Hornkuh-Initiative mit 54,7 Prozent Nein-Stimmen.

Europapolitik: Der Nationalrat will neue Gespräche zwischen dem Bundesrat und den Sozialpartnern zur Europapolitik. Er möchte die Landesregierung beauftragen, eine tragfähige Lösung zum Lohnschutz zu finden und hat mit 104 zu 80 Stimmen bei zwei Enthaltungen eine entsprechende Motion seiner Aussenpolitischen Kommission (APK-N) angenommen. Lösungen verlangt die Kommissionsmotion auch beim Schutz der Schweizer Sozialwerke. Der Bundesrat soll zudem dem Parlament regelmässig Bericht über den Fortgang der Verhandlungen erstatten. Drittens will der Vorstoss die Landesregierung verpflichten, Schutzklauseln zu Löhnen und Sozialwerken zu prüfen und den Räten vorzulegen. Die Motion geht an den Ständerat.

Schweiz - Eu I: Der Bundesrat soll mit einem Dashbord mehr Transparenz herstellen bezüglich der verwendeten und nicht verwendeten Finanzmittel des Horizon-Pakets. Der Nationalrat hat als Erstrat einer Motion seiner Kommission für Wirtschaft, Bildung und Kultur (WBK-N) mit 133 zu 50 zugestimmt. Das Geschäft geht an den Ständerat. Die Nicht-Assoziierung der Schweiz durch die EU hat die Finanzierungslogik des Verpflichtungskredites für die Teilnahme der Schweiz am EU-Programm "Horizon Europe" grundsätzlich verändert. Die Übergangslösungen sind für die Ratsmehrheit nur schwer durchschaubar. Der Bundesrat lehnte die Motion ab, weil er dsa Anliegen als erfüllt betrachtete. Das Staatssekretariates für Bildung, Forschung und Innovation führe bereits eine für jedermann jederzeit einsehbare Transparenzliste.

Schweiz - Eu II: Mit Stichentscheid der grünen Ratspräsidentin Irène Kälin hat der Nationalrat beim Bundesrat einen Bericht bestellt zu Unterschieden im Arbeitnehmerschutz zwischen der Schweiz und der EU. In diesem Bericht soll aufgezeigt werden, welche Anpassungen im Schweizer Recht notwendig wären, wenn man es an das europäische Recht angleichen wollte. Schliesslich soll dargelegt werden, in welchen Bereichen eine solche Angleichung den Arbeitnehmerschutz verbessern und in welchen sie ihn verschlechtern würde. Der Bundesrat war gegen einen Bericht. Eine Prüfung und Berichterstattung über die Auswirkungen einer weiteren Anpassung des Schweizer Rechts an EU-Recht im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist laut Wirtschaftsminister Guy Parmelin nicht angezeigt.

Zivildienst: Der Nationalrat will den Wechsel von der Armee in den Zivildienst unattraktiver machen. Er hat mit 93 zu 84 Stimmen bei einer Enthaltung einer entsprechenden Motion der SVP-Fraktion zugestimmt. Der Vorstoss geht an den Ständerat. Ziel der Motion ist es, den Armeebestand zu erhöhen. Unter anderem will die SVP sicherstellen, dass mindestens 150 Diensttage im Zivildienst leisten muss, wer sich umteilen lässt. Ab der Zulassung für den Zivildienst sollen jährliche Einsätze für einstige Armeeangehörige Pflicht sein. Auf der Gegnerseite deuteten mehrere Ratsmitglieder die Befürchtung an, mehr Dienstpflichtige könnten den sogenannten "blauen Weg" wählen und sich aus medizinischen Gründen ausmustern lassen.

Tourismus: Innotour soll Tourismusprojekte auch langfristig finanzieren. Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat eine Motion von Ständerat Hans Stöckli (SP/BE) gegen den Willen des Bundesrates angenommen. Diese will langfristige Finanzierungsmöglichkeiten bei Projekten für nachhaltige Entwicklung und Digitalisierung ermöglichen. Die Zustimmung im Nationalrat erfolgte mit 94 zu 88 Stimmen bei 5 Enthaltungen. Längere Finanzierungslaufzeiten erhöhten die langfristigen Erfolgschancen der Projekte und förderten somit die nachhaltige Entwicklung des Schweizer Tourismus, begründeten die Befürworter im Rat ihre Position. Die Minderheit vertrat zusammen mit dem Bundesrat die Ansicht, es gebe bereits eine Vielzahl an Finanzierungsmöglichkeiten in der Tourismusbranche. Innotour sei nur für Anstossfinanzierungen vorgesehen.

Landwirtschaft: Bäuerinnen und Bauern sollen sich vorerst nicht umweltschonende landwirtschaftliche Maschinen mit À-fonds-perdu-Beiträgen des Bundes anschaffen dürfen. Anders als der Ständerat hat der Nationalrat einen Vorstoss dazu mit 90 zu 81 Stimmen bei 13 Enthaltungen abgelehnt. Er ist vom Tisch. In der Sache habe man das gleiche Ziel, sagte Landwirtschaftsminister Guy Parmelin im Rat. Die Motion von Ständerat Werner Salzmann (SVP/BE) sei aber der falsche, weil längere Weg zum Ziel. Das Anliegen der Motion habe bereits in die Botschaft zur neuen Agrarpolitik (AP 22+) Eingang gefunden und könne in diesem Rahmen diskutiert werden. Eine Minderheit wollte die Motion annehmen, weil eine Ablehnung ihrer Meinung nach angesichts der vom Parlament beschlossenen Umweltziele das falsche Signal aussenden würde.

Flüchtlinge: Der Nationalrat will wissen, wie Daten zum Bildungsstand und -potenzial geflüchteter Personen erfasst werden und ob allenfalls Lücken bestehen. Er hat ein Postulat seiner Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK-N) mit 126 zu 58 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen. Der Bundesrat muss nun einen Bericht vorlegen und Massnahmen für eine Verbesserung der Datenbasis vorschlagen. Ziel des Vorstosses ist, die Kompetenzen von Flüchtlingen besser zu nutzen. Der Bundesrat teilte das Anliegen, war aber der Meinung, ein Bericht sei nicht zielführend. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) prüfe bereits Massnahmen.

Gesundheit: Frauen sollen in der medizinischen Forschung einen höheren Stellenwert erhalten. Der Nationalrat hat einen Vorstoss überwiesen, der die Forschung in der Gendermedizin voranbringen will. Er verlangt ein nationales Forschungsprogramm. Der Vorstoss geht an den Ständerat. Mit 100 zu 83 Stimmen abgelehnt hat der Nationalrat dagegen die Forderung in der Kommissionsmotion, dass künftig das Geschlecht als Voraussetzung berücksichtigt werden muss, um Gelder beim Schweizerischen Nationalfonds (SNF) zu erhalten. Am Dienstag hatte der Nationalrat bereits eine ähnlich lautende Motion von Ruth Humbel (Mitte/AG) angenommen, welche auf Verbesserungen in der Praxis der Frauenmedizin abzielt.

Nahrungsmittel: Der Nationalrat will Antworten zum Einfluss von Spekulation auf die Preise von Grundnahrungsmitteln. Er hat ein Postulat seiner Aussenpolitischen Kommission (APK-N) mit 105 zu 74 Stimmen bei einer Enthaltung überwiesen. Der Bundesrat muss nun in einem Bericht unter anderem Massnahmen aufzeigen, wie sich die Transparenz bei Termingeschäften mit Nahrungsmitteln erhöhen liesse und welchen Spielraum die Schweiz dabei hat. Eine Kommissionsminderheit argumentierte, laut Studien habe Spekulation kaum einen Einfluss auf die Preise. Auch der Bundesrat war der Ansicht, ein solcher Bericht würde keine neuen Erkenntnisse bringen.

Sexualaufklärung: Der Bundesrat muss in einem Bericht die Qualität und die geltenden Standards der Sexualaufklärung an Schweizer Schulen analysieren. Der Nationalrat hat ein entsprechendes Postulat seiner Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK-N) mit 101 zu 77 Stimmen bei zwei Enthaltungen gutgeheissen. Die Kommission begründete ihren Vorstoss mit der hohen Bedeutung der Sexualaufklärung im Kampf gegen sexuell übertragbare Krankheiten, Sexismus und sexuelle Belästigung sowie zur Vermeidung ungewollter Schwangerschaften. Der Bundesrat wehrte sich gegen den Auftrag. Er vertrat die Ansicht, im Wesentlichen seien die Kantone zuständig.

Berufsbildung: Der Bundesrat muss gegen seinen Willen einen Bericht zum Frauenanteil in den sogenannten Mint-Berufen ausarbeiten lassen. Der Nationalrat hat dies auf Antrag seiner Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK-N) beschlossen. Mit dem mit 114 zu 64 Stimmen bei 10 Enthaltungen gutgeheissenen Postulat wird die Landesregierung beauftragt, in Zusammenarbeit mit den Kantonen die bisher ergriffenen Massnahmen zur Steigerung des Frauenanteils in den Mint-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) darzulegen. Dieser Bericht soll insbesondere eine Analyse der Wirksamkeit dieser Massnahmen enthalten sowie eine spezifische Strategie. Eine Kommissionsminderheit und der Bundesrat hielten das Postulat für überflüssig, weil bereits weitestgehend erfüllt.

Hochschulen: Der Bundesrat muss prüfen, wie die Durchlässigkeit zwischen beruflicher Grundbildung auf Sekundarstufe II und den Hochschulen (Universitäten/ETH) in Ergänzung zur bereits bestehenden Passerelle sinnvoll verbessert werden kann. Der Nationalrat hat ein entsprechendes Postulat von Nadine Masshardt (SP/BE) mit 149 zu 31 Stimmen angenommen. Insbesondere muss die Landesregierung in Zusammenarbeit mit den Kantonen prüfen, ob Berufs- und Fachmaturanden einen direkten Zugang zu einem universitären Lehrgang in ihrem Fachbereich ohne Passerelle gewährt werden kann. Der Bundesrat sah keinen Bedarf weitere Massnahmen für diesen Zugang in einem verwandten Bereich. Ein direkter Zugang zu universitären Hochschulstudien für Berufs- oder Fachmaturandinnen und -maturanden würde dem 2019 bestätigten gemeinsamen Ziel von Bund und Kantonen zuwiderlaufen, die Profile der tertiären Bildungsangebote zu schärfen.

Ressourcen: Der Bundesrat muss in einem Bericht aufzeigen, wie die Versorgung der Schweiz mit Metallen der Seltenen Erden langfristig sichergestellt werden kann. Themen sollen dabei auch die Suche nach Alternativen und eine Stärkung des Recyclings sein. Gegen den Willen des Bundesrats hat der Nationalrat ein Postulat von Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte/BL) mit 102 zu 76 Stimmen gutgeheissen. Die Postulantin begründete ihren Vorstoss insbesondere damit, dass heute mehr als 90 Prozent der weltweit verbrauchten Seltenen Erden aus China stammten.

Die Traktanden des Nationalrats für Freitag, 30. September (08:00 bis 09:00):

Bern Diskussion um Abschreibung und Fristverlängerung von Vorstössen (17.480, 17.483 und 09.3719)
Nicht bekämpfte Vorstösse gemäss beschleunigtem Verfahren
Schlussabstimmungen