Rund vierzig Menschen mit Behinderungen sitzen am Freitag im Nationalratssaal, um über ihre politischen Reche zu diskutieren. Für sie ist die politische Teilhabe mit Hürden verbunden. Die Nachrichtenagentur Keystone-SDA hat mit drei Sessionsteilnehmenden gesprochen.
"Wir können und wollen uns beteiligen"
Verena Kuonen ist blind. Trotzdem muss sie sich nicht vorstellen, wenn sie angerufen wird. "Ich benutze die Sprachausgabe auf meinem Handy. Da wusste ich sofort, dass Sie es sind", sagt sie mit einem Lächeln, das man erahnen kann. "Oft wissen die Bürger gar nicht, was wir mit den heutigen technischen Mitteln alles machen können."
Eine Unkenntnis, die manche glauben lässt, dass Menschen mit Behinderungen keinen Platz in einer Exekutive haben können. Die 70-jährige Rentnerin erinnert sich insbesondere an ihre Teilnahme an einer Ergänzungswahl in der Gemeinde Pully VD. "Bürger und Politiker fragten sich, wie ich das machen würde, wie viel ich sie kosten würde oder wie man mich coachen müsste."
Obwohl sie schliesslich nicht gewählt wurde, gab Kuonen nicht auf. "Ich habe meinen Weg fortgesetzt, um sowohl die Politiker als auch die Bevölkerung für Behinderungen zu sensibilisieren." Sie tut das seit dreissig Jahren im Gemeindeparlament von Pully. Auch an der Behindertensession wolle sie sich dafür einsetzen, "der Zivilgesellschaft bewusst zu machen, dass wir uns am politischen Leben beteiligen können und wollen".
Zugang erleichtern
Sébastien Piquerez ist aus ähnlichen Gründen an der Session dabei. "Wir müssen die Mentalität der Menschen ändern. Und wir sind am ehesten in der Lage, unsere Rechte zu verteidigen." Der 30-Jährige leidet an Becker-Myopathie, das heisst an Muskelschwund, und fährt im Rollstuhl. "Dadurch brauche ich mehr Zeit, um all die alltäglichen Dinge zu erledigen und mich fortzubewegen."
Um die Integration von Menschen mit Behinderungen in der Politik zu fördern, müssten die Sitzungszeiten angepasst werden, um Arbeit und politisches Mandat miteinander vereinbaren zu können, sagt Piquerez. Aber vor allem müsste der Zugang zu Gebäuden verbessert werden.
Unsichtbare Beeinträchtigungen
Während ein Rollstuhl oder ein weisser Stock gut sichtbar sind, bleiben andere Behinderungen unbemerkt. Im Jahr 2008 stürzte Celine van Till vom Pferd. Sie wachte nach einem Monat im Koma auf und konnte weder sprechen noch laufen. Nach jahrelanger Rehabilitation erlangte sie ihre Fähigkeiten teilweise zurück und konnte wieder mit dem Reiten beginnen, später auch mit Leichtathletik und Velofahren.
Als paralympische Spitzensportlerin gewann sie im vergangenen Jahr ihre ersten Titel: zweifache Europameisterin und Weltcupsiegerin im Strassenrennen. Die Vizepräsidentin von Handicap International Schweiz hat immer noch Schwierigkeiten mit der Koordination oder dem Gleichgewicht und sieht schlecht. "Aber wenn man mich sieht, ist die Behinderung nicht sichtbar." Eine manchmal problematische Situation.
"Wenn ich mit dem Bus fahre, ist es kompliziert, stehen zu bleiben. Ich muss dann oft eine lange Erklärung abgeben, um einen Sitzplatz zu bekommen. Das kostet viel Energie. Aber so sensibilisiert man die Bevölkerung", erklärt die Kandidatin für den Genfer Grossrat.
"Sie kennen unsere Probleme nicht"
Von der Session erhoffen sich alle drei Angefragten mehr Sichtbarkeit und Anerkennung für Menschen mit Behinderungen. Verena Kuonen würde gerne als Expertin in eidgenössischen Kommissionen angehört werden, um über die Probleme zu sprechen, die Menschen mit Behinderungen betreffen. "Theoretiker denken, dass sie gute Entscheidungen treffen, aber sie kennen unsere Probleme nicht".
An der Session werden zahlreiche Ideen diskutiert. Celine van Till ergreift das Wort beispielsweise zum Thema Finanzen. "Der Staat muss garantieren, dass die gewählten Volksvertreter nach ihrer Amtszeit wieder ihre Sozialleistungen erhalten. Andernfalls könnten finanzielle Schwierigkeiten entstehen. Das ist ein Hemmnis für das politische Engagement von Menschen mit Behinderungen."
Verena Kuonen wird ihrerseits vor allem einen Vorstoss für die elektronische Stimmabgabe verteidigen. "Das ist die einzige Möglichkeit für uns, unabhängig zu wählen und abzustimmen."
Laut Nationalratspräsident Martin Candinas (Mitte/GR), der die Behindertensession initiiert hat, wird am Schluss des Anlasses eine Resolution verabschiedet. Diese werde dann an alle Parlamentsmitglieder verschickt. "Was dann daraus resultiert, ist Teil des politischen Prozesses", sagte Candinas im Schweizer Radio SRF. Er zeigte sich überzeugt, dass Parlamentarier einen Teil der Themen aufgreifen und in die Debatten einspielen werden.