12. Dezember 2000

Zusammenfassung der Rede von Michail Sergejewitsch Gorbatschow: «Keine Massenvernichtungswaffen mehr im neuen Jahrtausend! Appell von Gorbatschow an die Welt vor Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentariern»

Michail S. Gorbatschow, der ehemalige Präsident der Sowjetunion und Nobelpreisträger, hat heute im Nationalratssaal in einer Rede im Parlament die Welt aufgerufen, im neuen Jahrhundert alles zu untemehmen, um die Massenvernichtungswaffen zu ächten und die gefährlichen Lager von chemischen, biologischen und Nuklear-Waffen zu beseitigen.

Gorbatschow lobte die Schweiz für das rasche Handeln bei der Ratifizierung des Biowaffen-Uebereinkommens (1975) und des Chemiewaffenübereinkommens (1997). ,,Bis zur tatsächlichen Durchsetzung und Kontrolle dieser Vereinbarungen ist es aber noch ein langer Weg", meinte Gorbatschow.

Er wies im weiteren auf die Verträge zur Eindämmung der Gefahren rund um Nuklearwaffen hin, deren mangelnde Umsetzung oder Unvollständigkeit Anlass zu grosser Sorge gibt: ,Grosse Umwelt- und Gesundheitsprobleme entstehen bei der Vernichtung von ausgedienten Bombem, Unterseebooten, Raketen und Raketensilos und Gefechtsköpfen; Katastrophen sind zu erwarten. Ein grosses und ungelöstes Problem sind rund 150 ausgemusterte atomgetriebene Unterseeboote, fast jedes davon mit zwei Atomreaktoren bestückt. Während die USA die sichere Zerstörung von Booten, die als Träger von Atomraketen dienten, finanzieren helfen, kümmert sich niernand, auch die russische Regierung nicht, um Abtakelung der übrigen Atom-UBoote."

Die riesigen Mengen an Chemiewaffen, die im 20. Jahrhundert in die Meere gekippt wurden, sowie die als Folge des Kalten Krieges noch an Land lagernden Chemiewaffen, bildeten ein weiteres Problem: ,Die Welt hat sich noch nicht damit befasst, was mit den auf dem Grund der Meere verrottenden Waffen geschehen soll. Und wir und unsere Kinder werden uns noch lange mit den Katastrophen beschäftigen müssen, die durch Diebstahl aus den Lagern oder missbräuchliche Verwendung von Chemiewaffen in Konflikten resultieren können, bis hin zu Erpressung und Terrorismus, wie das Beispiel in der Untergrundbahn Tokios vor 5 Jahren zeigte.", sagte Gorbatschow.

In Russland lagern über 40 000 Tonnen, in den USA wurden ursprünglich fast 32 000 Tonnen Chemiewaffen gelagert. Die Chemiewaffenkonvention verlangt, dass die Bestände bis 2012 vernichtet werden. Währenddem die USA beinahe 7000 Tonnen ihrer Bestände bereits durch Verbrennung in teuren Anlagen eliminiert haben, sieht sich Russland aufgrund der wirtschaftlichen Situation nicht in der Lage, die Mittel dazu voll eigenständig aufzubringen. Die Kosten für die Vernichtung werden für Russland auf 10 bis 17 Milliarden Schweizerfranken geschätzt, für die USA auf 25 bis 34 Milliarden.

Die Länder Europas (inbegriffen die Schweiz) haben bisher ca. 100 Millionen US Dollars (etwa 170 Mio. Schweizerfranken) für die Unterstützung Russlands im Chemiewaffen-Problem eingesetzt, die USA 200 Mio. US-Dollars. Weitere finanzielle Hilfe hat der US-Senat vorläufig eingefroren, was Gorbatschow als ,,kurzsichtig und gefährlich für die Sicherheitsinteressen der USA und der übrigen Welt" kritisierte. Denn, Chemiewaffen sind klein genug um sie in einem Rucksack zB. in ein Fussballstadion zu tragen, und gross genug um Tausende unschuldiger Menschen damit umzubringen". Jedes Jahr, das man durch Verzögerung der Vernichtung verliere, erhöhe die Gefahren von Diebstahl, Weiterverbreitung und Katastrophen.

Gorbatschow dankte der Schweiz für die bisherigen diplomatischen, personellen und finanziellen Anstrengungen. Ein Scheitern des Abrüstungsprozesses in Russland würde allerdings die bisherigen Anstrengungen zunichte machen und die Glaubwürdigkeit der Chemiewaffen- Konvention aushöhlen. »Dies wäre ein Rückschlag für andere globale Abrüstungsverträge, die zur Zeit in ohnehin mühsamer Verhandlung sind", meinte Gorbatschow.

Er führte weiter aus, dass er sich kürzlich mit einem Schreiben an 40 Staatschefs gewandt und um Unterstützung für sofortiges Handeln ersucht habe. Auch von Präsident Adolf Ogi habe er eine sehr ermutigende Antwort erhalten. , Neutrale und geachtete Länder wie die Schweiz können eine wichtige Rolle spielen im Vorwärtsbringen von politischen und gesellschaftlichen Lösungen, die die ganze Welt betreffen". So könnte die Schweiz eine Schlüsselrolle übernehmen im Bemühen, andere kleinere Länder zusammen zu bringen mit Nichtregierungs-Organisationen und Wirtschaftsvertretern", um den politischen Willen zu schaffen, die Chemiewaffen wirklich zu vernichten, meinte Gorbatschow. Parlamentarier wären für solche Bemühungen eine vermittelnde und treibende Kraft, fügte Gorbatschow hinzu, und er wies auch auf die besondere Rolle einer engagierten Jugend hin.

Gorbatschow meinte sodann, dass in friedensfördernden und -erhaltenden Aktionen, bei den Abrüstungsbemühungen, für die Demokratisierung und die Vermittlung in schwierigen Prozessen konstruktive Arbeit von Nicht-Regierungskreisen äusserst wichtig geworden sei. Regierungen vermöchten sich oft nicht zu Iösen von überholten Denkschemen, Bürokratie und Kaltem Krieg in den Köpfen, wo hingegen zivile Engagierte wie Nicht-Regierungsorganisationen zum Beispiel flexibel seien, zeitgerecht handeln und letztlich billiger und besser zu guten Resultaten kommen könnten. jch kann dies persönlich bestätigen", sagte Gorbatschow.

Green Cross hat in der Schweiz eine Kampagne gestartet, um auf die Notwendigkeit einer schnellen Chemiewaffenvernichtung hin zu weisen und den politischen Willen dafür zu schaffen. Ich hoffe", sagte Gorbatschow, dass die Kampagne in ganz Europa und bis nach USA verbreitet und auch gehört wird", sagte Gorbatschow.

 

Begrüssung durch den Nationalratspräsidenten Peter Hess

Biographie Michail Sergejewitsch Gorbatschow (Nobel)