Der Donnerstag, 14. April 2011 im Parlament
Der Nationalrat in Kürze
(sda) Reiche Ausländer können in der Schweiz weiterhin pauschal besteuert werden. Nach dem Ständerat hat es auch der Nationalrat abgelehnt, die Pauschalbesteuerung abzuschaffen. Er sprach sich am Donnerstag mit 92 zu 61 Stimmen bei 1 Enthaltung gegen eine Standesinitiative des Kantons St. Gallen aus. Auch von strengeren Kriterien für die Pauschalbesteuerung wollte der Nationalrat nichts wissen: Einen Vorstoss aus den Reihen der SP lehnte er mit 89 zu 65 Stimmen bei 3 Enthaltungen ab. Die Linke monierte vergeblich, die Pauschalbesteuerung sei ungerecht und verfassungswidrig.
- LANDWIRTSCHAFT I: Der Bund soll den Export von Vieh wieder subventionieren. 16 Monate nach Aufhebung der Exportsubventionen hat der Nationalrat gegen den Willen des Bundesrats im Grundsatz beschlossen, die Ausfuhr von Zuchtvieh wieder zu fördern. Mit 96 zu 63 Stimmen bei 8 Enthaltungen hiess der Nationalrat eine Änderung des Landwirtschaftsgesetzes gut. Um die Ausgabenbremse zu lösen, reichte diese Mehrheit jedoch nicht: Nur 98 statt der nötigen 101 Ratsmitglieder waren dafür. Konkret geht es um 4 Millionen Franken, die von den Direktzahlungen in die Exportförderung umgeleitet werden sollen. Die Ausgaben zugunsten der Landwirtschaft sollen sich dadurch insgesamt nicht erhöhen. Die Vorlage bedarf noch der Zustimmung durch den Ständerat.
- LANDWIRTSCHAFT II: Die Eidgenossenschaft stellt für die Bauern in den Jahren 2012 und 2013 6,85 Milliarden Franken zur Verfügung. Der Nationalrat hat am Donnerstag beim Zahlungsrahmen zugunsten der Landwirtschaft die letzte Differenz zum Ständerat ausgeräumt. Bei der Differenz handelte es sich um 8 Millionen Franken. Diese ist auf eine Teuerungskorrektur zurückzuführen. Insgesamt stehen nun für die nächsten beiden Kalenderjahre 388 Millionen Franken für die Grundlagenverbesserung und die Sozialmassnahmen für Bauern, 837 Millionen Franken für die Produktions- und Absatzförderung und 5,625 Milliarden Franken für Direktzahlungen zur Verfügung.
- LANDWIRTSCHAFT III: Der Nationalrat will sicherstellen, dass Schlachttiere auch in Zukunft nicht durch die Schweiz gefahren werden. Er hat an seinem Beschluss festgehalten, das Transitverbot im Gesetz zu verankern. Heute ist das Verbot in der Tierschutzverordnung geregelt. Dabei möchte es der Ständerat bewenden lassen: Er sprach sich gegen kantonale Initiativen aus, die eine Verankerung im Tierschutzgesetz verlangen. Der Nationalrat befürchtet, dass die EU auf die Aufhebung des Verbots drängen könnte, wenn es nur auf Verordnungsebene geregelt ist.
- LANDWIRTSCHAFT IV: Das Verbot, Pferden in Gehegen mit Stacheldraht zu halten, soll aufgehoben werden. Der Nationalrat hat mit 109 zu 45 Stimmen eine Motion von Laurent Favre (FDP/NE) gutgeheissen, die eine Aufhebung dieses Verbots für die weitläufigen Juraweiden forderte. Nur solche Zäune erlaubten eine sichere und wirtschaftliche Haltung der Tiere. Der Bundesrat wollte das Verbot nicht aufheben. Pferde seien wegen ihrer Haut verletzungsanfälliger als Rindvieh. Auch im Jura komme es bei Pferden immer wieder zu schweren Stacheldrahtverletzungen.
- FREIHANDEL: Die Schweizer Exportwirtschaft erhält einen besseren Zugang zum peruanischen Markt. Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat dem Freihandelsabkommen der EFTA-Staaten mit Peru und einem Landwirtschaftsabkommen zwischen der Schweiz und Peru zugestimmt. Der Entscheid fiel mit 109 zu 30 Stimmen bei 24 Enthaltungen. Eine linke Minderheit hatte erfolglos beantragt, das Freihandelsabkommen zurückzuweisen. Peru gilt als Markt mit einem erheblichen Wachstumspotenzial. Die Schweizer Exporte nach Peru beliefen sich im Jahr 2010 auf rund 129 Millionen Franken.
- FISCHEREI: Der Bundesrat soll durch eine angemessene Kontrolle dafür sorgen, dass keine Erzeugnisse aus illegaler, nichtgemeldeter oder unregulierter Fischerei in die Schweiz importiert werden. Der Nationalrat hat mit 121 zu 51 Stimmen eine Motion von Carlo Sommaruga (SP/GE) gutgeheissen, die verlangt, dass die Schweiz die EU-Verordnung gegen die illegale Fischerei autonom nachvollzieht. Der Bundesrat hatte die Motion mit dem Argument zur Ablehnung empfohlen, dass sie zu früh komme.
- ZIVILDIENST: Wer sich für den Zivildienst statt für die Rekrutenschule entscheidet, soll noch etwas länger Dienst leisten als bisher. Der Nationalrat hat mit 101 zu 68 Stimmen eine Motion angenommen, welche die Dauer des Zivildienstes im Vergleich zum Militärdienst vom Faktor 1,5 auf 1,8 erhöhen will. Stimmt auch der Ständerat der Vorlage zu, muss der Bundesrat einen gesetzlichen Rahmen schaffen, der es dem Parlament ermöglicht, die Dauer des Zivildienstes zu erhöhen. Das Parlament solle die Regel erst anwenden, wenn es beim Militär Personalprobleme gäbe, sagte Motionärin Corina Eichenberger-Walther (FDP/AG).
- LADENÖFFNUNGSZEITEN: Die Kantone sollen die Ladenöffnungszeiten künftig nach eigenem Ermessen festlegen können. Der Nationalrat hat mit 104 zu 62 Stimmen bei 7 Enthaltungen eine Motion von Markus Hutter (FDP/ZH) gutgeheissen. Der Motionär argumentierte, die Bundesgesetzgebung schränke die Kantone unnötig ein. Die Lebens- und Einkaufsgewohnheiten hätten sich geändert, und eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten würde sich positiv auf den Konsum auswirken. Der Bundesrat hatte sich gegen die Motion gestellt: Die heutigen Regeln hätten zum Ziel, die Gesundheit und das soziale Leben der Arbeitnehmenden zu schützen.
- SPORTFÖRDERUNG: Der Nationalrat hat mit 122 zu 26 Stimmen darauf beharrt, dass die Kantone in der obligatorischen Schule drei Stunden Turnunterricht durchführen müssen. Bleibt auch der Ständerat in dieser Frage stur, muss das Sportförderungsgesetz in die Einigungskonferenz. Der Ständerat hat sich bereits zwei Mal geweigert, den Kantonen in Schulangelegenheiten Vorschriften zu machen. Er macht föderalistische Gründe geltend. Der Streit um Artikel 12 im neuen Sportförderungsgesetz ist die letzte Differenz in dem Geschäft.
- FRAUEN: Der Bundesrat muss prüfen, wie der Anteil der Frauen in den technischen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Ausbildungsgängen der Mittelschulen erhöht werden könnte. Der Nationalrat hat ein Postulat aus den Reihen der SP mit 102 zu 68 Stimmen bei 3 Enthaltungen angenommen. Margret Kiener Nellen (SP/BE) hatte darauf hingewiesen, dass die Schweiz im internationalen Vergleich schlecht dastehe. Toni Bortoluzzi (SVP/ZH) konnte keinen Missstand erkennen: "Der Zimmermann ist nun mal in der Regel ein Mann und keine Frau", konstatierte der Schreiner. Der Bundesrat hatte sich nicht gegen den Auftrag gewehrt: Er ist bereits dabei, einen Bericht zu erarbeiten.
- WEITERBILDUNG: Der Bundesrat soll die Elternbildung im Weiterbildungsgesetz verankern. Der Nationalrat hat eine Motion mit 88 zu 86 Stimmen angenommen, welche die Elternbildung aufwerten will. Elternbildung sei qualifizierte Facharbeit, sagte Motionär Andy Tschümperlin (SP/SZ). Dafür müsse die Qualitätssicherung garantiert werden. Das Geschäft geht nun in den Ständerat. Bundesrat Johann Schneider-Amman befand die Motion für unnötig. Eine Diskussion über die Elternbildung mache erst Sinn, wenn eine Vernehmlassungsantwort zum neuen Weiterbildungsgesetz vorliege. Ende 2009 hatte der Bundesrat beschlossen, bis Ende 2011 einen Vernehmlassungsentwurf vorzulegen.
- FREIWILLIGENARBEIT: Wer viel Freiwilligenarbeit leistet, soll deswegen kein Anrecht auf bezahlte Weiterbildung kriegen. Der Nationalrat hat es abgelehnt, dass der Bundesrat dafür gesetzliche Grundlagen schaffen soll. Mit 99 zu 72 Stimmen versagte er einer Motion von Jacqueline Fehr (SP/ZH) die Unterstützung. Fehr wollte mit dem Anrecht auf Weiterbildung nicht nur die Attraktivität der Freiwilligenarbeit erhöhen. Sie wollte über diesen Umweg auch Personen die Türe zu bezahlter Weiterbildung öffnen, die nicht über ihren Beruf zu Weiterbildung kommen. Nach Ansicht des Bundesrats und der Ratsmehrheit wirken Weiterbildungsgutscheine für jede Art von Freiwilligenarbeit zu wenig zielgerichtet.
- OECD: Der Nationalrat will wegen der schwarzen Liste der OECD nicht die Mitgliedschaft in Frage stellen. Der Nationalrat hat mit 114 zu 54 Stimmen bei 3 Enthaltungen eine Motion der SVP abgelehnt. Die SVP wollte den Bundesrat beauftragen, die Interessen des Schweizer Finanzplatzes zu verteidigen und bei der OECD auf das Einstimmigkeitsprinzip zu pochen. Werde dieses nicht respektiert, habe der Bund den Austritt zu erklären, forderte Rudolf Joder (SVP/BE). Die Mehrheit sah jedoch keinen Handlungsbedarf. Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann sagte, die Schweiz habe damals ihre Unzufriedenheit ausgedrückt.
Der Mittwoch, 13. April 2011 im Parlament
Der Nationalrat in Kürze
(sda) Das Schweizer Stimmvolk soll bei Staatsverträgen vermehrt mitreden können. Der Nationalrat hat sich am Mittwoch mit 115 zu 52 Stimmen für den direkten Gegenvorschlag zur Volksinitiative "Staatsverträge vors Volk!" ausgesprochen. Dagegen stimmte nur die SVP. Gemäss Gegenvorschlag soll das Mitspracherecht nur für Staatsverträge gelten, die eine Änderung der Bundesverfassung erfordern oder einer solchen gleichkommen. Das Volksbegehren der AUNS erhielt nur die Unterstützung der SVP.
Weiter hat sich der Nationalrat mit folgenden Geschäften befasst:
BANKGEHEIMNIS: Der Nationalrat ist damit einverstanden, die Voraussetzungen zur Gewährung der Amtshilfe in Steuersachen weiter zu lockern. Er hat am Mittwoch zehn Doppelbesteuerungsabkommen ratifiziert, die eine erweiterte Interpretation der OECD-Amtshilfeklausel enthalten. Konkret soll die Schweiz künftig auch Amtshilfe leisten, wenn der Name der verdächtigten Person nicht genannt wird.
VOLKSINITIATIVEN: Der Nationalrat will nicht, dass Volksinitiativen vor Beginn der Unterschriftensammlung von einer richterlichen Instanz für ungültig erklärt werden können. Er hat eine parlamentarische Initiative aus den Reihen der FDP mit 101 zu 47 Stimmen bei 16 Enthaltungen abgelehnt. Isabelle Moret (FDP/VD) wies vergeblich auf die Nachteile der heutigen Regelung hin. Heute entscheiden National- und Ständerat über die Gültigkeit, und zwar erst nach der Unterschriftensammlung. Nach Ansicht von Moret erfolgt die inhaltliche Prüfung zu spät, und das Parlament ist die falsche Instanz.
ZUWANDERUNG: Die Mehrheit des Parlaments hält die Zuwanderung für problematisch. Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat einer Motion aus den Reihen der SVP zugestimmt. Der Bundesrat soll Massnahmen vorschlagen, um die Zuwanderung "in geordnete Bahnen zu lenken". Die grosse Kammer stimmte dem Vorstoss von Christoffel Brändli (SVP/GR) mit 96 zu 59 Stimmen bei 4 Enthaltungen zu. Die Wohnbevölkerung wachse immer rascher, gab Philipp Müller (FDP/AG) zu bedenken. Trotz der Wirtschaftskrise sei die Zuwanderung konstant hoch geblieben.
ORDNUNGSBUSSEN: Künftig sollen mehr Bagatelldelikte mit Ordnungsbussen geahndet werden können als heute. Der Nationalrat hat am Mittwoch mit 95 zu 37 Stimmen eine Motion von Ständerat Bruno Frick (CVP/SZ) gutgeheissen, die bei Behörden und Bürgern für Entlastung sorgen soll. Der Bundesrat soll nun dem Parlament bis 2012 in einer Vorlage aufzeigen, welche einfachen Verstösse gegen die Rechtsordnung zusätzlich zum heutigen Recht mit Ordnungsbussen geahndet werden können.
STEUERERLEICHTERUNGEN: Private, die Strom aus erneuerbarer Energie produzieren, dürfen auf Steuererleichterungen hoffen. Der Nationalrat hat mit 71 zu 62 Stimmen bei 8 Enthaltungen eine Motion angenommen, welche für die privaten Einnahmen aus der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) eine Steuerbefreiung verlangt hatte. Stimmt auch der Ständerat gegen den Willen des Bundesrates zu, muss das Steuerharmonisierungsgesetz geändert werden. Laurent Favre (FDP/NE) will mit seinem Vorstoss verhindern, "dass Private dafür bestraft werden, dass sie eigene Mittel in die Entwicklung erneuerbarer Energie stecken".
TAIWAN: Anerkennt die Schweiz wie im Fall von Taiwan ein Gebiet nicht als Staat, kann sie kein Doppelbesteuerungsabkommen abschliessen. Künftig soll der Bundesrat in solchen Fällen private Vereinbarungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anerkennen können. Der Nationalrat hat als Erstrat mit 110 zu 18 Stimmen bei 3 Enthaltungen ein Gesetz gutgeheissen, das den Bundesrat ermächtigt, Vereinbarungen zwischen privaten Einrichtungen anzuerkennen, wenn der Abschluss eines Staatsvertrages ausgeschlossen ist. Beim Gesetz geht es in erster Linie um Taiwan.
Der Dienstag, 12. April 2011 im Parlament
Der Nationalrat in Kürze
(sda) Der Nationalrat will nicht auf die Unternehmenssteuerreform II zurückkommen, die unerwartet mehrere Milliarden Steuerausfälle verursacht. Die bürgerliche Ratsmehrheit hat am Dienstag alle Anträge der Linken abgelehnt, an der Vorlage aus dem Jahr 2008 Korrekturen vorzunehmen. Weder eine Motion der Grünen, die schlicht die Aufhebung der vom Stimmvolk nur äusserst knapp angenommenen Reform verlangte, noch Anträge der SP, die Steuerausfälle zu begrenzen, hatten in der ausserordentlichen Session des Nationalrats eine Chance. Sie wurden mit einem Stimmenverhältnis von knapp 2 zu 1 abgelehnt. Die Linke hofft nun aufs Bundesgericht.
Weiter hat sich der Nationalrat mit folgenden Geschäften befasst:
- PRÄVENTIONSGESETZ: Nach dem Motto "vorbeugen ist besser als heilen" hat der Nationalrat als Erstrat das neue Präventionsgesetz gutgeheissen. Ziel ist es, die Massnahmen zur Prävention, Gesundheitsförderung und Früherkennung besser zu steuern und zu koordinieren. Die Mehrheit zeigte sich überzeugt, dass der Bund eine bessere Rechtsgrundlage braucht, um die Mittel für die Prävention effizient einsetzen zu können. Bisher konnte der Bund nur bei übertragbaren Krankheiten eingreifen. Neu soll er sich auch bei Krebs, Diabetes oder psychischen Krankheiten stärker engagieren können.
- LOHNTRANSPARENZ: Der Nationalrat will keine gläsernen Parlamentarier. Er hat eine parlamentarische Initiative mit 100 zu 59 Stimmen abgelehnt, die alle beruflichen und nicht-beruflichen Einkünfte der Parlamentsmitglieder offenlegen wollte. Der Lohn habe keinen Einfluss auf die politische Arbeit, lautete das Hauptargument gegen den Vorstoss von Jean-Charles Rielle (SP/GE). Ebenfalls chancenlos (98 zu 65 Stimmen bei 3 Enthaltungen) war ein Postulat des alt Nationalrates Hans Widmer (SP/LU), das einen Bericht über die Vor- und Nachteile der Lohntransparenz gefordert hatte.
- SOZIALVERSICHERUNGEN: Wer vor Gericht einen Entscheid zu Sozialversicherungsleistungen anficht, soll zur Kasse gebeten werden. Der Nationalrat hat eine Motion der SVP zur Anpassung des Sozialversicherungsrechts (ASTG) mit 100 zu 53 Stimmen bei 1 Enthaltung angenommen. Demnach sollen die Streitparteien einen Kostenbeitrag zwischen 200 und 1000 Franken leisten. Mit ihrem Vorstoss wolle die SVP die Gerichte entlasten, sagte Marcel Scherer (SVP/ZG). Viel zu oft würden die Sozialversicherungsverfahren weitergezogen - selbst bei äusserst geringen Erfolgsaussichten. Unterstützung erhielt die SVP von Innenminister Didier Burkhalter, der die Annahme der Motion empfahl.
- DEMENZ: Der Bund soll eine Strategie für den Kampf gegen und den Umgang mit Demenzkrankheiten entwickeln. Zudem soll der Bund ein Monitoring aufziehen, um die durch Demenzkrankheiten verursachten individuellen und gesellschaftlichen Kosten zu überwachen. Der Nationalrat hat zwei Motionen mit diesen Forderungen gutgeheissen, mit 151 zu 1 Stimmen, respektive einstimmig. Die beiden Motionäre Jean-François Steiert (SP/FR) und Reto Wehrli (CVP/SZ) begründeten ihre Vorstösse mit der stetigen Zunahme an Demenzkranken in der Schweiz und den damit verbundenen finanziellen und gesellschaftlichen Folgen.
- ABTREIBUNGEN: Der Nationalrat belässt Abtreibungen und Geschlechtsumwandlungen im Katalog der obligatorischen Grundversicherung. Mit 84 zu 55 Stimmen bei 16 Enthaltungen verwarf er die Motion von Peter Föhn (SVP/SZ) zur Streichung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Leistungskatalog. Ebenso lehnte die grosse Kammer die zweite Motion Föhns mit 81 zu 67 Stimmen bei 6 Enthaltungen ab, welche Geschlechtsumwandlungen aus der Grundversicherung kippen wollte. Vergeblich hatte Föhn versucht, mit moralischen Argumenten die Leistungen zu streichen.
- VERSICHERUNG OBLIGATORISCH: In der Schweizer müssen auch in Zukunft alle Menschen eine Krankenversicherung abschliessen. Der Nationalrat hat es abgelehnt, das Versicherungsobligatorium aufzuheben. Er sprach sich mit 101 zu 44 Stimmen gegen eine Motion von Alfred Heer (SVP/ZH) aus. Die Mehrheit folgte den Argumenten des Bundesrats, der davor warnte, dass ohne Krankenkassenobligatorium viele finanzschwache Menschen auf einen Versicherungsschutz verzichten würden. Ausserdem habe nicht die Zwangssolidarität zur Pämienexplosion geführt, sondern der vermehrte Bezug von Leistungen sowie der medizinische Fortschritt und die demografische Entwicklung.
- FRANCHISEN: Der Nationalrat will weder die Franchisen in der Krankenversicherung auf 1000 Franken begrenzen noch die Prämienermässigung bei einer höheren Franchise beschränken. Er hat eine Motion der SP mit diesen Forderungen mit 110 zu 40 Stimmen bei 2 Enthaltungen abgelehnt. Stéphane Rossini (SP/VS) kritisierte, die Krankenversicherer könnten mit dem Mittel der Rabatte für höhere Franchisen ihre Strategie zur Risikoselekton perfektionieren, da vor allem junge und gesunde Personen eine höhere Franchise wählten.
- MEDIKAMENTENABGABE: Der Nationalrat will keine strengeren Regeln bei der Medikamentenabgabe in der Arztpraxis. Er hat eine Motion abgelehnt, mit welcher die SP tiefere Margen für Ärztinnen und Ärzte forderte. Die Sozialdemokraten wollten den Bundesrat beauftragen, die Marge von 15 Prozent, welche Ärztinnen und Ärzte bei der Abgabe von Medikamenten heute erzielen können, um mindestens die Hälfte zu verringern. Den Einkommensverlust wollten sie wenn nötig mit anderen Massnahmen kompensieren, etwa mit den Taxpunktwerten.
- GESUNDHEITSPOLITIK: Der Bundesrat soll nicht von einem Staatssekretär oder einer Staatssekretärin für das Gesundheitswesen und die soziale Sicherheit entlastet werden. Der Nationalrat lehnte mit 110 zu 37 Stimmen eine Motion der SP mit dieser Forderung ab. Er folgte damit dem Bundesrat, der die Schaffung eines Staatssekretariats nicht als zielführenden Weg zur Verbesserung der Steuerungsmöglichkeiten im Gesundheitswesen erachtet.
Der Montag, 11. April 2011 im Parlament
Der Nationalrat in Kürze
(sda) Der Nationalrat will die Kindersitzpflicht für Taxis lockern. Demnach soll es Taxifahrern vorab in Stadtgebieten erlaubt sein, Kinder ohne Kindersitz zu transportieren. Mit 148 zu 10 Stimmen bei 8 Enthaltungen hat die grosse Kammer am Montag eine entsprechende Motion ihrer Verkehrskommission gutgeheissen. Wo genau die Regeln für die Taxis gelockert werden, sollen die Kantone entscheiden. Die Vorlage geht nun in den Ständerat. Stimmt auch dieser zu, wird der Bundesrat beauftragt, in Zusammenarbeit mit den Kantonen auf Verordnungsebene für Taxis eine Ausnahmeregelung zu formulieren.
Weiter hat sich der Nationalrat mit folgenden Geschäften befasst:
- ERNEUERBARE ENERGIEN: Der Nationalrat wünscht ein effizienteres Verfahren bei der Förderung erneuerbarer Energien. Der Bundesrat soll prüfen, wie das Bewilligungsverfahren im Rahmen der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) optimiert werden könnte. Mit 100 zu 72 Stimmen bei 4 Enthaltungen hat der Nationalrat einem Postulat seiner Umweltkommission zugestimmt. Die Kommission kritisiert, dass im heutigen Verfahren chancenlose Projekte auf der Warteliste oft vielversprechende blockierten. Energieministerin Doris Leuthard stellte sich gegen den Vorstoss, versprach aber, im Juni Verbesserungsmöglichkeiten für die KEV vorzulegen.
- ELEKTROMAGNETISCHE FELDER: Eine langfristige Untersuchung soll Klarheit schaffen, wie schädlich elektromagnetische Strahlen für Mensch und Umwelt sind. Der Nationalrat beauftragte den Bundesrat, ein Monitoring der nichtionisierenden Strahlung vorzubereiten. Mit 124 zu 47 Stimmen bei 9 Enthaltungen nahm er ein Postulat von Yvonne Gilli (Grüne/SG) an. Mit ihrem Vorstoss rannte Gilli beim Bundesrat offene Türen ein: Es sei schon alles für das Monitoring vorbereitet, sagte UVEK-Vorsteherin Doris Leuthard. Das Thema - etwa Mobilfunkantennen - beschäftige die Bevölkerung.
- BIOTREIBSTOFFE: Der Bundesrat soll die Möglichkeiten von Biotreibstoffen in der Schweiz darlegen. Der Nationalrat beauftragte den Bundesrat, einen Bericht zum Potenzial und zur aktuellen Nutzung des Bioethanols als Benzinersatz zu verfassen. Gefordert hatte den Bericht Jacques Bourgeois (FDP/FR). Bioethanol könne einen Beitrag leisten, den CO2-Ausstoss in der Schweiz zu senken, warb er für seinen Vorstoss und fand Gehör: Mit 111 zu 57 Stimmen bei 1 Enthaltung hiess der Nationalrat das Postulat gut. Energieministerin Doris Leuthard zeigte sich offen: Viele Elemente seien vorhanden und könnten zu einem Bericht zusammengefügt werden.
- GÜTERVERKEHR I: Der Güterverkehr soll nicht nur auf der Nord-Süd-Achse von der Strasse auf die Schiene verlagert werden. Auch im Mittelland sollen Güter vermehrt per Bahn statt per Lastwagen transportiert werden. Der Bundesrat muss nun eine Vorlage ausarbeiten, um diese Ziel zu erreichen. Mit 93 zu 65 Stimmen hiess der Nationalrat eine Motion aus dem Ständerat gut, die vom Bundesrat eine Gesamtkonzeption für die Förderung des Schienengüterverkehrs im Flachland verlangt.
- GÜTERVERKEHR II: Der Schienenkorridor Basel-Chiasso soll im Hinblick auf die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels 2016/2017 durchgängig für den Transport von Lastwagen mit 4 Metern Eckhöhe ausgebaut werden. Dies fordert der Nationalrat im Einklang mit dem Ständerat, der in der Märzsession eine Motion mit gleichem Inhalt gutgeheissen hatte. Das Parlament stösst mit dieser Forderung beim Bundesrat offene Türen ein: Die Regierung hatte im Februar signalisiert, im nächsten Verlagerungsbericht aufzuzeigen, wann der Ausbau vorgenommen werden könnte und wie viel dies kosten würde.
- GÜTERVERKEHR III: Lastwagenchauffeure sollen nicht eine Spezialausbildung absolvieren müssen, wenn sie Tunnels und Passstrassen in den Schweizer Alpen benützen wollen. Der Nationalrat hat mit 99 zu 75 Stimmen bei 4 Enthaltungen eine Motion der Walliser CVP-Nationalrätin Viola Amherd abgelehnt, mit der der Bundesrat beauftragt worden wäre, sich auf europäischer Ebene für die Einführung einer solchen obligatorischen Zusatzausbildung einzusetzen. Die Mehrheit folgte dem Bundesrat, der die bestehenden Vorschriften in der EU als genügend bezeichnete.
- LÄRMSCHUTZ: Der Nationalrat will nichts wissen von zusätzlichen Massnahmen gegen Lärm. Er hat es am Montag abgelehnt, vom Bundesrat einen Massnahmenplan zu fordern, um die Menschen besser vor Lärm zu schützen. Abgelehnt hat der Nationalrat auch die Forderung, für die Strassenfahrzeug-Typenprüfung - insbesondere für Motorräder, Quads und für Auto-Tuning-Zubehör - Lärmmaximalwerte einzuführen. Ebenfalls chancenlos war die Forderung, Naturpärke, Naturlandschaften und andere Schutzgebiete flächendeckend der Lärmempfindlichkeitsstufe 1 zuzuordnen.
- ELEKTRO-MOBILITÄT: Wer ein Elektrofahrzeug kauft, soll nicht nachweisen müssen, dass der dazu nötige Strom ohne CO2-Emissionen hergestellt wird. Der Nationalrat hat mit 114 zu 64 Stimmen eine Motion von Eric Nussbaumer (SP/BL) abgelehnt, der die Ausstellung eines Fahrzeugausweises für batteriebetriebene Elektroautos an die Bedingung knüpfen wollte, dass der Halter einen zwei Jahre gültige Null-emissionsplakette vorlegt.
- TV-EMPFANGSGERÄTE: Das Parlament will bei den TV-Empfangsgeräten nicht regulierend eingreifen. Wie bereits der Ständerat hat der Nationalrat entschieden, auf eine Gesetzesänderung zu verzichten. Die Änderung hätte eine freie Wahl des Empfangsgerätes gewährleisten sollen. Ursprünglich hatten die Räte eine Regulierung verlangt. Sie kamen nun aber zum Schluss, dass ein Eingreifen der Politik nicht mehr nötig sei. Oppositionslos beschloss der Nationalrat, auf die Vorlage nicht einzutreten. Damit ist das Gesetzesprojekt vom Tisch.
- ZWEITE SÄULE: Lebensversicherer, die das Geschäft mit der beruflichen Vorsorge anbieten, sollen ihre Verwaltungskosten im Voraus festlegen müssen. Der Nationalrat hat einer parlamentarischen Initiative seiner Sozialkommission stillschweigend Folge gegeben. Der Rat möchte damit mehr Transparenz herstellen. Es soll künftig nicht mehr möglich sein, dass Lebensversicherer aus wettbewerbspolitischen Überlegungen zu tiefe Verwaltungskosten offerieren und die Differenz zu den tatsächlichen Kosten im Nachhinein einfordern.
- KRÄHEN: Der Nationalrat will nicht, dass Raben und Krähen vergiftet werden dürfen. Er hat eine Motion von Laurent Favre (FDP/NE) abgelehnt. Favre verlangte, dass den Kantonen der Einsatz von Narkotika erlaubt wird. Die von Raben- und Saatkrähen verursachten Schäden würden ständig zunehmen, begründete der Motionär sein Anliegen. Besonders betroffen sei die Landwirtschaft, die bei der Aussaat und auch an Obst und Reben Verluste zu beklagen habe. Der Rat lehnte die Motion aber mit 93 zu 74 Stimmen bei 11 Enthaltungen ab.
- VERBANDSBESCHWERDE: Der Nationalrat will nicht am Verbandsbeschwerderecht rütteln. Er hat mit 106 zu 67 Stimmen bei 6 Enthaltungen eine Motion von Marcel Scherer (SVP/ZG) abgelehnt. Dagegen sprach sich auch Umweltministerin Doris Leuthard aus. Das Volk habe 2008 an der Urne klar Ja gesagt zum Verbandsbeschwerderecht, gab sie zu bedenken. Kein einziger Kanton habe die Vorlage angenommen.
- KRANKENVERSICHERUNG: Versicherte, die ihre Grundversicherung und ihre Zusatzversicherungen bei zwei verschiedenen Versicherern abgeschlossen haben, müssen unter Umständen weiterhin Administrativkostenzuschläge bezahlen. Der Nationalrat hat sich mit 105 zu 54 Stimmen bei 3 Enthaltungen gegen eine parlamentarische Initiative ausgesprochen, welche dies unterbinden wollte. Die Mehrheit des Rates befand, die Kostenzuschläge stellten kein Problem dar.
- PNEUS: Autoreifen sollen nicht mit einer Etikette gekennzeichnet werden müssen, die sowohl über die Haftung beim Fahren als auch über Lärm und Treibstoffverbrauch Auskunft gibt. Der Nationalrat hat eine entsprechende Motion mit 101 zu 76 Stimmen bei 3 Enthaltungen abgelehnt. Mit der Einführung einer umfassenden Energie- und Umweltetikette würde dem Konsumenten die Wahl beim Kauf von Reifen deutlich erleichtert, und gleichzeitig würden umweltschonende Reifen gefördert, begründete Motionär Alec von Graffenried (Grüne/BE) sein Anliegen.
- LENKUNGSABGABEN: Der Natonalrat verlangt vom Bundesrat keine zusätzliche Rechenschaft über die Verwendung der Gelder aus den Lenkungsabgaben. Er hat eine Motion von Hans Rutschmann (SVP/ZH) mit 94 zu 84 Stimmen bei 2 Enthaltungen abgelehnt. Umweltministerin Doris Leuthard hatte zuvor darauf hingewiesen, dass der Bundesrat bereits heute regelmässig Rechenschaft ablege. Die Forderung sei erfüllt.
- SRG-ONLINE-ANGEBOT: Die Politik will sich vorläufig nicht einmischen in den Streit zwischen der SRG und den Verlegern um die SRG-Online-Angebote. Die SP hatte Vorstösse dazu eingereicht, zog diese aber am Montag zurück. Hans-Jürg Fehr (SP/SH) begründete den Rückzug damit, dass Fortschritte zu beobachten seien. Es gebe Anzeichen dafür, dass Verhandlungen zwischen der SRG und den Verlegern in Gang gekommen seien. Nun gelte es abzuwarten. Sollte der freiwillige Prozess zu nichts führen, werde er erneut Vorstösse einreichen.
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