Das allseits bekannte Fresko der Landsgemeinde aus dem 18. Jahrhundert von Albert Welti und seinem Malerfreund Wilhelm Balmer, das den Ständeratssaal schmückt, hat zum Internationalen Frauentag eine Verjüngungskur erfahren. Die Künstlerin Camille Scherrer aus Ollon (VD) hat ein «Trompe-l’Œil» geschaffen, in der eine Frau die Landsgemeinde präsidiert.

Das in den Rundbögen der Besuchertribünen des Ständeratsaals aufgestellte Panoramawerk enthält zahlreiche humoristische Anspielungen auf das 21. Jahrhundert: ein «Suissesses»-Flugzeug durchkreuzt den Obwaldner Himmel, jemand telefoniert lässig mit dem Smartphone und eine andere Person tippt etwas in ihren Laptop. Die Bürgerinnen, die sich unter die Bürger mischen, tragen zu Ehren des Ständerates traditionelle Trachten aus verschiedenen Kantonen. An der Landsgemeinde nehmen auch eine Asiatin und ein Soldat mit dunkler Hautfarbe teil.

Der Präsident der kleinen Kammer, Alex Kuprecht, hat das «Trompe-l’Œil» am 8. März 2021 mit einem Lächeln auf den Lippen eingeweiht. Mit diesem Werk kommt er dem Wunsch dreier Ständerätinnen nach, dem diesjährigen Jubiläum des Frauenstimm- und -wahlrechts die ihm gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Das historische Fresko der Landsgemeinde erinnert daran, dass die direkte Demokratie das Fundament der Schweizer Politik ist. Das «Trompe-l’Œil» wiederum ruft in Erinnerung, dass die direkte Demokratie erst seit 1971 vollkommen ist, als nämlich die Schweizerinnen das Stimm- und Wahlrecht erlangten, wie die jurassische Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider betont.

Das Werk «Festglanz» besteht aus sechs Bildern und somit aus einem mehr als die historische Vorlage. Die auf Stoff gedruckten und Aluminiumrahmen gespannten Bilder werden den Ständeratssaal in der zweiten Sessionswoche schmücken.

Foto des Werks «Festglanz»

Camille Scherrer kreiert und koordiniert ihre Installationen umgeben von Bergen

Camille Scherrer trägt den Spitznamen «Heidi Geek», da sie 1984 im Pays-d’Enhaut in den Waadtländer Bergen zur Welt kam und auch dort aufwuchs. Heute wohnt sie auf einem Berg ganz in der Nähe, zwischen Ollon und Villars, in einem Weiler mit 30 Einwohnerinnen und Einwohnern. Ihre Zeit widmet sie ihren drei Töchtern, ihrem Mann, ihrem Garten und ihrer Kunst. Camille Scherrer nahm die Sagen der Berge bereits mit der Muttermilch ein. Heute bedient sie sich der «Augmented Reality» und Algorithmen, um ihre phantastische Bergwelt zum Leben zu erwecken.

Im Jahr 2008 gewann sie den Pierre-Bergé-Preis für die beste europäische Diplomarbeit. Danach schuf sie Videos für Louis Vuitton oder Petit Bateau. Auf Einladung der Schweizer Botschaft in Südkorea projizierte sie ihre Füchse und Tannen aus dem Pays-d’Enhaut auf eine 100 Meter breite, mit LED überzogene Fassade in Seoul. Später realisierte sie eine von Alphornklängen untermalte Projektion auf den Grand Palais in Paris.

Das Parlamentsgebäude ist Camille Scherrer vertraut. Im Jahr 2015 zog sie zusammen mit Studierenden der «École professionnelle des arts contemporains (EPAC)» für die Vernissage des Comics «Das fantastische Parlament» den drei Eidgenossen in der Kuppelhalle mit einer Lichtinstallation rot-weiss karierte Schürzen an.

Nachdem sie für ihre künstlerische Arbeit viel gereist war und Master-Studierende der «Haute école d’art et de design (HEAD)» in Genf unterrichtet hatte, renovierte sie ein Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert und richtete dort ihr Atelier ein. Seither koordiniert sie ihre Licht- und Toninstallationen über Skype von dort aus – bis nach Peru. Sie nutzt die Technologie also nicht nur, um Kunst zu schaffen, sondern bringt mit ihr auch Beruf und Familie unter einen Hut.

Camille Scherrer

Portrait von Camille Scherrer, Foto von Véronique Hoegger / ver.ch

Die Ständerätinnen 2021 posieren mit dem Ständeratspräsidenten Alex Kuprecht vor dem Trompe-l’Œil «Festglanz».