Mit «Stalking» resp. Nachstellung wird gemäss der Istanbul-Konvention das vorsätzliche Verhalten bezeichnet, das aus wiederholten Bedrohungen einer anderen Person besteht, die dazu führen, dass diese um ihre Sicherheit fürchtet. Massgebend ist damit das Gesamtverhalten einer Person, deren einzelne Handlungen für sich alleine durchaus sozialadäquat sein können. Die Intensität oder die Wiederholung dieser Handlungen wirken sich jedoch auf das Opfer aus und beschränken dieses in seiner Lebensgestaltungsfreiheit. Die Kommission bekräftigt, dass dieses Verhalten in Zukunft mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft und als separaten Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden soll. Sie hat sich mit 13 zu 6 Stimmen bei 1 Enthaltung dafür ausgesprochen, einen separaten Straftatbestand zu schaffen und nicht wie ursprünglich angedacht, bestehende Straftatbestände wie etwa die Drohung oder die Nötigung entsprechend zu ergänzen. Mit 22 zu 0 Stimmen hat sie einen Vorentwurf angenommen, zu dem sie Ende Mai die Vernehmlassung eröffnen wird.
Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit» überzeugt Kommission nicht
Nachdem die Kommission an ihrer letzten Sitzung das Initiativkomitee angehört hatte, hat sie sich nun mit dem Inhalt der Volksinitiative 22.075 («Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit») befasst. Diese verlangt, die Bundesverfassung dahingehend zu ändern, dass jeglicher Eingriff in die körperliche oder geistige Unversehrtheit einer Person zwingend deren Zustimmung bedarf und dass eine Verweigerung der Zustimmung für die betroffene Person weder eine Strafe noch soziale oder berufliche Nachteile mit sich bringen darf. Die vor dem Hintergrund der ersten beiden Wellen der Covid-19-Pandemie und der Entwicklung von Impfstoffen entstandene Initiative will eine «direkte oder indirekte» Impfpflicht verbieten. Aus Sicht der Kommission ist die Initiative zu allgemein formuliert. Zudem hätte die Umsetzung der Initiative unerwünschte Auswirkungen auf zahlreiche gesellschaftliche und politische Bereiche, vom polizeilichen Zwang über den Strafvollzug bis zur DNA-Entnahme. Die Kommission beantragt daher ihrem Rat mit 17 zu 6 Stimmen, die Volksinitiative Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen und verzichtet mit 16 zu 7 Stimmen darauf, ihr einen Gegenentwurf gegenüberzustellen. Die Kommissionsminderheit spricht sich für das Anliegen der Initiative aus, bevorzugt aber die Ausarbeitung eines direkten oder indirekten Gegenentwurfs.
Die Kommission beantragt die Annahme eines variablen Verzugszinssatzes
Die Kommission hat Kenntnis genommen vom Bericht über die Vernehmlassungsergebnisse zur parlamentarischen Initiative Regazzi 16.470 («Verzugszinssatz des Bundes. Anpassung an Marktzinsen»). Sie ist weiterhin davon überzeugt, dass die aktuelle Situation mit Verzugszinssätzen, die weit über dem variablen Marktzins liegen, eine Ungleichbehandlung zulasten der Schuldner und zugunsten der Gläubiger darstellt. Nach der Beratung und angesichts der von den verschiedenen konsultierten Akteuren geäusserten Präferenzen hat sich die Kommission mit 17 zu 5 Stimmen für die Variante ausgesprochen, den Verzugszinssatz (aktuell 5 %) an die allgemeine Entwicklung der Marktzinssätze zu koppeln. Sie verzichtet damit auf die Idee, einen festen Zinssatz beizubehalten. Die Vorlage und der erläuternde Bericht werden dem Nationalrat unterbreitet und gleichzeitig dem Bundesrat zur Stellungnahme überwiesen. Der Nationalrat wird voraussichtlich in der Herbstsession 2023 darüber beraten.
Stellungnahme des EDÖB zur von der EU-Kommission geplanten «Chatkontrolle»
Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) hat die Kommission an ihrer Sitzung über den Verordnungsentwurf der EU-Kommission zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern («Chatkontrolle») informiert. Dieser Entwurf ruft bei den Kommissionsmitgliedern Bedenken hervor, insbesondere in Bezug auf den Datenschutz und die persönliche Freiheit. Daher hat die Kommission mit grossem Interesse Kenntnis von der Stellungnahme des EDÖB genommen und die Gelegenheit genutzt, Fragen an ihn zu richten. Die Kommission wird ein besonderes Augenmerk darauf richten, wie sich die Kontrolle von Chatnachrichten in der Europäischen Union entwickelt und welche Folgen daraus für die Schweizer Bevölkerung erwachsen könnten.
Regeln der Mietzinsgestaltung
Die Kommission hat die Arbeiten zur Umsetzung der parlamentarischen Initiativen Egloff 16.451 («Für Treu und Glauben im Mietrecht. Anfechtung des Anfangsmietzinses nur bei Notlage des Mieters») und 17.493 («Beweisbare Kriterien für die Orts- und Quartierüblichkeit der Mieten schaffen») aufgenommen und der Verwaltung den Auftrag erteilt, für eine ihrer nächsten Sitzungen einen Vorentwurf und erläuternden Bericht mit verschiedenen Varianten zur Umsetzung der beiden Initiativen auszuarbeiten.
Elektronische Kommunikation in der Justiz
Die Kommission hat die Eintretensdebatte zum Entwurf des Bundesgesetzes über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz (23.022) geführt und ist mit 14 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung auf die Vorlage eingetreten. Mit dem Projekt Justitia 4.0 wollen die Eidgenössischen Gerichte und die kantonalen Straf- und Justizvollzugsbehörden den digitalen Wandel in der Schweizer Justiz in Straf-, Zivil- und Verwaltungsverfahren vorantreiben. Die Kommission unterstützt die verstärkte Digitalisierung im Justizbereich und befürwortet die Stossrichtung des Entwurfs, welcher sicherstellen soll, dass alle an einem Justizverfahren beteiligten Parteien künftig über eine sichere Plattform mit den Gerichten, Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsbehörden Daten austauschen können. Eine Minderheit ist der Ansicht, dass es sich um eine zwangsweise Systemumstellung handle und beantragt ihrem Rat nicht auf die Vorlage einzutreten. Die Kommission wird die Detailberatung an einer ihrer nächsten Sitzungen aufnehmen.
Drittes Geschlecht im Personenstandsregister: Anhörungen in der Kommission
Nach der Veröffentlichung des Berichts des Bundesrates in Erfüllung der Postulate Arslan 17.4121 («Drittes Geschlecht im Personenstandsregister») und Ruiz 17.4185 («Einführung einer dritten Geschlechtsidentität. Folgen für die Rechtsordnung und für Infostar») hat die Kommission an ihrer heutigen Sitzung Anhörungen durchgeführt. Sie hat sowohl Vertreterinnen und Vertreter von Vereinigungen von transsexuellen und nicht binären Menschen als auch solche aus dem medizinisch-ethischen oder juristischen Bereich angehört. Im Anschluss an die Anhörungen hat die Kommission mit 13 zu 6 Stimmen bei 1 Enthaltung ein Kommissionspostulat (23.3501) beschlossen, mit welchem der Bundesrat beauftragt wird, Massnahmen vorzulegen, wie die Situation von nicht binären Personen verbessert werden könnte, ohne dass dafür das binäre Geschlechtermodell rechtlich aufgegeben werden muss. Eine Minderheit beantragt, das Postulat nicht anzunehmen.
Weitere Geschäfte
- Die Kommission beantragt ihrem Rat mit 16 zu 8 Stimmen, der Initiative Dandrès 22.460 («Regelung der Kündigungen zur Durchführung von Bauarbeiten») keine Folge zu geben. Diese verlangt, Kündigungen von Mietverhältnissen zur Durchführung von Bauarbeiten strikt zu regeln. Sie ist der Auffassung, dass die Massnahme Eigentümerinnen und Eigentümer davon abhalten würde, notwendige Sanierungsarbeiten vorzunehmen. Die Minderheit hingegen möchte die Mieterinnen und Mieter vor den Mietzinserhöhungen schützen, die aufgrund der ausgeführten Bauarbeiten entstehen.
- Ausserdem hat sich die Kommission mit 15 zu 9 Stimmen gegen die Initiative Dandrès 22.466 («Diskriminierung auf dem Mietwohnungsmarkt bekämpfen «) ausgesprochen. Diese verlangt die Erstellung von Statistiken und anonyme Verfahren für Kandidaturen, um so Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt zu bekämpfen. Aus Sicht der Kommissionsmehrheit sind diese Vorschläge nicht realisierbar und verstossen gegen die Wirtschaftsfreiheit. Die Minderheit beantragt ihrem Rat, der Initiative Folge zu geben.
Die Kommission tagte am 27./28. April 2023 unter dem Vorsitz von Nationalrätin Christa Markwalder (FDP, BE) in Bern.