Das Kostenwachstum in der obligatorischen Krankenversicherung soll mit konkreten Massnahmen bei den Tarifen und den Laboranalysen gebremst, aber nicht über Zielvorgaben gesteuert werden. In diesem Sinne will die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) den indirekten Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative anpassen.

Mit 20 zu 4 Stimmen empfiehlt die Kommission die Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» (21.067) zur Ablehnung. Eine Kostenbremse, die weder den medizinisch-technischen Fortschritt noch die Alterung der Bevölkerung berücksichtige, sei gefährlich, wurde in der Kommission argumentiert. Um das Kostenwachstum in der obligatorischen Krankenversicherung zu bremsen, setzt die Kommission stattdessen auf einen indirekten Gegenvorschlag, den sie in der Gesamtabstimmung mit 15 zu 10 Stimmen guthiess. Die Kommission will jedoch nichts wissen von einer Zielvorgabe für das maximale Kostenwachstum, wie dies der Bundesrat vorgeschlagen hatte. Auch eine vereinfachte Form eines Kostenziels lehnte die Kommission mit 13 zu 11 Stimmen ab. Die Mehrheit befürchtete, dass die Versorgung der Patientinnen und Patienten darunter leiden könnte.
Stattdessen beantragt die Kommission eine Reihe von konkreten Massnahmen, und zwar insbesondere bei den Tarifen und den Laboranalysen:
- Tarmed: Der Bundesrat soll unverzüglich überhöhte Vergütungen in der veralteten Tarifstruktur Tarmed für ambulante ärztliche Behandlungen senken (13 zu 12 Stimmen). Diese Massnahme soll nach dem Willen der Mehrheit bereits für die Prämienrunde 2024 wirksam werden, was der Minderheit nicht praktikabel scheint. Hinfällig würde diese Bestimmung, sobald der Tarmed durch eine neue Tarifstruktur abgelöst wird.
- Differenzierte Tarife: Ist ein Tarifvertrag nicht mehr wirtschaftlich und sachgerecht und können sich die Tarifpartner nicht innerhalb eines Jahres auf eine Anpassung einigen, kann die Genehmigungsbehörde den Tarif festsetzen und dabei für einzelne Positionen der Tarifstruktur oder Gruppen von Leistungserbringern differenzierte Tarife festsetzen (15 zu 9 Stimmen). Die Behörde könnte damit zum Beispiel für gewisse Spezialisten die Tarife senken oder die Grundversorger in bestimmten Regionen besserstellen.
- Vertragsfreiheit bei Laboranalysen: Die Krankenkassen sollen Analysen nur jenen Labors vergüten, mit denen sie einen Vertrag abgeschlossen haben (16 zu 3 Stimmen bei 5 Enthaltungen). Die Vergütungen sollen dabei tiefer sein als die behördlich festgelegten Tarife. Ausgenommen von dieser Regelung sind die Praxislabors.
Zudem unterstützt die Kommission die neuen subsidiären Kompetenzen des Bundesrates (Art. 46a Abs. 2 und Art. 49 Abs. 2bis) und will den Grundsatz stärken, wonach Behandlungen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein sollen (Art. 32 Abs. 3 und Art. 56 Abs. 5). Die Vorlage, zu der acht Minderheitsanträge eingereicht wurden, ist bereit für die Sommersession.

Zweite Lesung des Gegenvorschlags zur Prämien-Entlastungs-Initiative beschlossen

Die Kommission hat den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates zur Volksinitiative «Maximal 10 % des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative) (21.063) in einer ersten Lesung beraten. Gemäss diesen provisorischen Anträgen will sie - wie vom Bundesrat vorgeschlagen - die Kantone verpflichten, einen minimalen Gesamtbetrag für die Prämienverbilligung einzusetzen, womit die Kosten für die Kantone um 490 Millionen Franken stiegen. Mit 14 zu 11 Stimmen lehnte es die Kommission ab, die Prämienverbilligungen für Bezügerinnen und Bezüger von Ergänzungsleistungen separat zu finanzieren, was die Kantone weitere 800 Millionen Franken und den Bund 1,3 Milliarden Franken kosten würde.
Einstimmig will die Kommission zudem die Kantone verpflichten festzulegen, welchen Anteil die Prämie am verfügbaren Einkommen in ihrem Kanton höchstens ausmachen darf. Ein solches Sozialziel würde für mehr Transparenz sorgen. Zudem würde es die Kantone nach Ansicht der Kommission motivieren, Kosten zu dämpfen, wenn sie ihr Sozialziel sonst nicht einhalten können.
Bevor sie ihre Anträge dem Rat unterbreitet, will die Kommission an ihrer nächsten Sitzung im Mai eine zweite Lesung durchführen.

Für eine tiefgreifende Reform der Hinterlassenenrenten

Die Kommission will mit einer umfassenden Überarbeitung der Hinterlassenenleistungen den gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragen. Sie ist der Auffassung, dass sich die Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern sowie die Unterscheidung nach Zivilstand nicht mehr rechtfertigen lassen. Deshalb hat sie zwei parlamentarischen Initiativen Folge gegeben: der Pa. Iv. Gredig. Ungleichbehandlung bei den Hinterlassenenleistungen beseitigen (21.416) mit 18 zu 5 Stimmen bei 2 Enthaltungen, der Pa. Iv. Kamerzin. Gleichstellung von Witwen und Witwern, sobald das letzte Kind die Volljährigkeit erreicht (21.511) mit 14 zu 11 Stimmen. Ausserdem hat die Kommission mit 20 zu 2 Stimmen bei 3 Enthaltungen die Kommissionsinitiative Gleichstellung von Witwen und Witwern (22.426) beschlossen. Hingegen beantragt sie mit 11 zu 9 Stimmen bei 5 Enthaltungen, der Pa. Iv. Kamerzin. Gleichstellung von Witwen und Witwern über 45 Jahren (21.512) keine Folge zu geben, da es in ihren Augen einem überholten Gesellschaftsmodell entspricht, einer Ehepartnerin oder einem Ehepartner ohne Kind eine Hinterlassenenrente zu gewähren.

Arbeiten zur Regulierung des Cannabismarktes in Subkommission aufnehmen

Die Kommission beschloss mit 13 zu 6 Stimmen bei 3 Enthaltungen, die Umsetzung der Pa. Iv. Siegenthaler. Regulierung des Cannabismarktes für einen besseren Jugend- und Konsumentenschutz (20.473) an die Hand zu nehmen und dazu eine Subkommission einzusetzen. Deren Auftrag wird sie an ihrer nächsten Sitzung präzisieren. Vor ihrem Entscheid hörte sie eine Vertretung der Eidgenössischen Kommission für Fragen zu Sucht und Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (EKSN) an.

Weitere Geschäfte

Die Kommission hat einstimmig die Mo. SGK-N. Invaliditätskonforme Tabellenlöhne bei der Berechnung des IV-Grads (22.3377) verabschiedet, die den Bundesrat beauftragt, die Bemessungsgrundlage für die Berechnung des Invaliditätsgrades so anzupassen, dass die realistischen Einkommensmöglichkeiten von Personen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung berücksichtigt werden.

In Zusammenhang mit dem Anfang Februar publizierten Auslandpreisvergleich von medizinischen Analysen des Preisüberwachers hat die Kommission diesen sowie den Verband der medizinischen Laboratorien der Schweiz (FAMH) angehört. Sie erinnert daran, dass mit der angenommenen Mo. Nationalrat (Lohr). Laborkosten zulasten der OKP (19.4492) ein klarer Auftrag vorliegt, die Preise der Laboranalysen zu senken, und drängt auf eine schnelle Umsetzung.

Die Kommission empfiehlt dem Bundesrat mit 12 zu 6 Stimmen und 1 Enthaltung, die Verordnung über In-vitro-Diagnostika nur wie vorgesehen diesen Mai in Kraft zu setzen, wenn im Dialog mit der Branche eine Lösung gefunden wird, um technische Handelshemmnisse zu vermeiden, die zu einer Gefährdung der Versorgungssicherheit führen können. Vor ihrem Entscheid hörte sie eine Vertretung der Verbände der Diagnostikindustrie und der Medizintechnik an.

Die Kommission beantragt einstimmig, die Mo. Ständerat (SGK-SR). Für eine nachhaltige Finanzierung von Public-Health-Projekten des Nationalen Konzepts Seltene Krankheiten (21.3978) anzunehmen. In Ergänzung dazu reicht sie mit 13 zu 7 Stimmen bei 4 Enthaltungen eine Motion ein, mit welcher sie den Bundesrat beauftragen will, die Arbeiten der Patientenorganisationen im Bereich der seltenen Krankheiten zu finanzieren (22.3379).

Die Kommission befürwortet einstimmig die Änderung des Bundesgesetzes über die Familienzulagen in der Landwirtschaft (FLG) (22.018), welche zur Vereinfachung der Finanzströme zwischen Bund und Kantonen die Auflösung des FLG-Fonds vorsieht.

Die Kommission beantragt mit 14 zu 8 Stimmen, der Kt. Iv. JU.Preisobergrenze für Hygienemasken und hydroalkoholisches Gel in der ausserordentlichen Lage (20.327) keine Folge zu geben.

Die Kommission tagte am 6., 7. und 8. April 2022 in Bern unter der Leitung von Albert Rösti (SVP, BE) und teilweise in Anwesenheit von Bundesrat Alain Berset.