Am Ende ihrer zweiten Lesung stimmte die Kommission dem indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Maximal 10% des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» (21.063) in der Gesamtabstimmung mit 16 zu 9 Stimmen zu. Mit dem gleichen Stimmenverhältnis hatte sie sich zuvor für ein Modell zum Ausbau der individuellen Prämienverbilligung ausgesprochen, das auf dem Entwurf des Bundesrates aufbaut, diesen aber wie folgt ändert: Erstens sollen die Kantone zwar verpflichtet werden, einen minimalen Gesamtbetrag für die Prämienverbilligung einzusetzen; sie sollen dabei aber auch die Verlustscheine anrechnen dürfen, die sie für nicht bezahlte Prämien und Kostenbeteiligungen übernehmen. Zweitens sollen die Prämienverbilligungen für Bezügerinnen und Bezüger von Ergänzungsleistungen (EL) nach den Regeln des EL-Gesetzes von Bund und Kantonen separat finanziert werden. An dem in der ersten Lesung beschlossenen Sozialziel (Medienmitteilung vom 8. April 2022) hielt die Kommission stillschweigend fest.
Das Modell des Bundesrates würde die Kantone 490 Millionen Franken mehr kosten (Datenbasis 2020), wovon sie nach dem Antrag der Kommissionsmehrheit 380 Millionen Franken für die Übernahme der Verlustscheine einsetzen könnten. Die separate Finanzierung der Prämien der EL-Beziehenden würde den Bund zusätzlich 1,3 Milliarden Franken und die Kantone zusätzlich 800 Millionen Franken kosten. In der Summe dürften Bund und Kantone zusammen rund 2,2 Milliarden Franken zusätzlich aufwenden.
Mit 17 zu 8 Stimmen empfiehlt die Kommission, die Volksinitiative abzulehnen. Für die Beratung der Initiative und des indirekten Gegenvorschlags im Rat wurden mehrere Minderheitsanträge eingereicht.
Besondere Zulassungsvoraussetzungen für Ärztinnen und Ärzte: Kommission will Ausnahmeregelung bei unzureichender medizinischer Versorgung
Die Kommission hat mit 24 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung eine parlamentarische Initiative beschlossen (22.431), welche verlangt, eine Ausnahmeregelung einzuführen, durch die verhindert wird, dass es nach dem Inkrafttreten der neuen Zulassungsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte zu einem Ärztemangel kommt. Seit dem 1. Januar 2022 gilt die neue Fassung von Artikel 37 Absatz 1 des Krankenversicherungsgesetzes (KVG), welche die Zulassungsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte gegenüber dem alten Recht verschärft hat. Neu müssen Ärztinnen und Ärzte, die Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) erbringen wollen, in dem Fachgebiet, für das sie die Zulassung beantragen, mindestens drei Jahre an einer anerkannten schweizerischen Weiterbildungsstätte gearbeitet haben. Die SGK-N möchte diese neue Regelung um eine Ausnahme bei unzureichender medizinischer Versorgung ergänzen.
Finanzieller Druck soll Tarifpartner zur Einigung bewegen
Unzufrieden zeigte sich die Kommission darüber, dass es den Dachverbänden der Versicherer, der Spitäler und der Ärzteschaft bisher nicht gelungen ist, sich zu einigen, wie die veraltete Tarifstruktur für ambulante ärztliche Leistungen (Tarmed) abgelöst werden soll. Mit einem Postulat will sie den Bundesrat beauftragen zu prüfen, wie er mit Kürzungen von Tarmed-Positionen ein weiteres Kostenwachstum solange stoppen kann, bis die massgebenden Tarifpartner eine gemeinsame neue Tarifstruktur vereinbart haben, die vorrangig auf die pauschale Abgeltung ambulanter Leistungen setzt (22.3505). Das Postulat hat die Kommission mit 24 zu 1 Stimme eingereicht. In einem Schreiben bittet sie weiter den Bundesrat, die notwendigen Massnahmen zu treffen, damit der Bericht, den das Bundesamt anlässlich der Prüfung des vorgeschlagenen Tarifs TARDOC erstellt hat, veröffentlicht werden kann. Zum Auftakt der Diskussion hatte die Kommission die Versichererverbände Curafutura und Santésuisse, den Spitalverband H+ und die Ärzteverbindung FMH sowie den Preisüberwacher und eine Konsumentenvertretung angehört.
Covid-19: Kantone sollen Spitalkapazitäten erhöhen
Die Kommission verfolgt aufmerksam die Arbeiten zur Umsetzung von Artikel 3 Absatz 4bis des Covid-19-Gesetzes, welcher von den Kantonen verlangt, zur Stärkung der durch die Covid-19-Krise beanspruchten Gesundheitsversorgung die zur Abdeckung von künftigen Auslastungsspitzen nötigen Vorhalteleistungen zu finanzieren. Die SGK-N hält fest, dass nur in wenigen Kantonen Kapazitätserhöhungen vorgesehen sind. Sie hat deshalb einstimmig beschlossen, der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) in einem Schreiben ihre Besorgnis zum Ausdruck zu bringen. Sie verweist darauf, dass es den Kantonen obliegt, für ausreichende Spitalkapazitäten zu sorgen. In ihren Augen werden die rechtlichen Vorgaben nach aktuellem Stand nicht erfüllt. Sollte die Situation bis im Herbst unverändert bleiben, wird die SGK-N nicht zögern, eine dahingehende Anpassung des Covid-19-Gesetzes zu beantragen, dass präzise Ziele zum Ausbau der Spitalkapazitäten festgelegt werden und dass säumige Kantone den Kapazitätsausbau der anderen Kantone finanzieren müssen.
Übermässige Reserven sollen reduziert werden müssen
Die Kommission hält an ihrem Beschluss fest, dass die Krankenkassen ihre Reserven abbauen sollen müssen, sobald diese über 150 Prozent des Mindestwertes steigen. Sie beantragt ihrem Rat mit 13 zu 12 Stimmen, der Pa. Iv. Nantermod. KVAG. Überschussbeteiligung (20.463) Folge zu geben. Fünf Standesinitiativen, die ebenfalls einen obligatorischen Abbau der Reserven verlangen, lehnt sie dagegen mit 14 zu 11 Stimmen ab, da ihr Anliegen mit der parlamentarischen Initiative aufgenommen wird (20.301; 20.305; 20.329; 20.334; 21.301).
Gebühr für Bagatellfälle im Spitalnotfall weniger nützlich als erwartet
Zur Umsetzung der Pa. Iv. (Weibel) Bäumle. Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotfallaufnahme (17.480) hörte die Kommission Vertretungen der Spitäler, der Ärztinnen und Ärzte, der Krankenversicherer sowie der Patientinnen und Konsumenten an. Sie kam zum Schluss, dass eine solche Gebühr weniger nützen würde als erwartet, sondern vielmehr zu beträchtlichem Aufwand und Unsicherheiten führen würde. Sie beantragt deshalb mit 12 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung, die Initiative abzuschreiben.
Anhörungen führte die Kommission auch zur Umsetzung der Pa. Iv. Schneeberger. Leistungen zur Prävention sind im heutigen Umfeld eine wichtige Aufgabe von Wohlfahrtsfonds mit Ermessensleistungen (19.456) durch; aufgrund ihrer Vorgaben wird die Verwaltung nun einen Vorentwurf ausarbeiten.
Weiter hat die Kommission einstimmig beschlossen, für die Arbeiten zur Umsetzung der Pa. Iv. Siegenthaler. Regulierung des Cannabismarktes für einen besseren Jugend- und Konsumentenschutz (20.473) eine Subkommission aus neun Mitgliedern einzusetzen.
Weitere Geschäfte
Die Kommission nahm den bundesrätlichen Bericht «Digitalisierung – Prüfung einer Flexibilisierung des Sozialversicherungsrechts (Flexi-Test)» in Erfüllung des Postulats 17.4087 zur Kenntnis. In diesem Zusammenhang beantragt die Kommission mit 12 zu 8 Stimmen bei 2 Enthaltungen auch, der Pa. Iv. Grossen Jürg. Selbstständigkeit ermöglichen, Parteiwillen berücksichtigen (18.455), Folge zu geben, nachdem sich ihre Schwesterkommission gegen die pa. Iv. ausgesprochen hatte. Sie sieht den Handlungsbedarf aufgrund der veränderten Arbeitsrealitäten weiterhin als gegeben an und möchte mit der pa. Iv. eine weitere Diskussion über den Status von Plattformbeschäftigten ermöglichen.
Die Kommission empfiehlt dem Bundesrat mit 23 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen, die Rechnungslegungsverordnung Compenswiss dahingehend anzupassen, dass die Durchführungsorgane der 1. Säule stärker eingebunden werden. Letztere sollen bei der Umsetzung veränderter Rechnungslegungsstandards ebenfalls konsultiert werden.
Die Kommission beantragt jeweils einstimmig die Mo. Nationalrat (Heim). Medizinische Mittel und Gegenstände. Sparpotenzial (05.3522) und die Mo. Nationalrat (Humbel). Wettbewerb bei den Produkten der Mittel- und Gegenständeliste (05.3523), entgegen dem Antrag des Bundesrates, nicht abzuschreiben. Weiter beantragt sie mit 12 zu 11 Stimmen, die Mo. Ständerat (Baumann). Familienzulagen. Für eine faire Lastenverteilung (17.3860) ebenfalls nicht abzuschreiben.
Die Kommission tagte am 19. und 20. Mai 2022 in Bern unter der Leitung von Albert Rösti (SVP, BE) und teilweise in Anwesenheit von Bundesrat Alain Berset.