Bei der Beratung der Differenzen zum zweiten Kostendämpfungspaket zeigt sich die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) grundsätzlich offen gegenüber den Kostenfolgemodellen, die der Ständerat neu dem Paket hinzugefügt hatte. Sie hat aber entschieden, diese gewichtige Massnahme erst zu beraten, wenn zusätzliche Erkenntnisse zu Umsetzungsfragen vorliegen.

Nachdem die Kommission an der vergangenen Sitzung Entscheide bei mehreren wichtigen Massnahmen des zweiten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen (22.062) fällte, hat sie nun einstimmig beschlossen, die Massnahme der Kostenfolgemodelle erst im Herbst vertieft zu beraten. Mit Kostenfolgemodellen würden Mengenrabatte auf jenen Medikamenten eingeführt, die einen äusserst hohen Umsatz erzielen. Dadurch könnten schätzungsweise jährlich mehrere hundert Millionen Franken eingespart werden. Kostenfolgemodelle wären ein neues Element im System, das die Preise von Medikamenten regelt. Indes werden mit dem zweiten Massnahmenpaket weitere solche Elemente angepasst oder neu eingeführt, wie etwa die vorläufige Vergütung ab dem Zeitpunkt der Zulassung. Das Bundesamt für Gesundheit hat deshalb eine Arbeitsgruppe mit Vertretungen der pharmazeutischen Industrie und der Krankenkassen eingesetzt, um Umsetzungsfragen zu klären. Mit ihrem Entscheid möchte die Kommission diesen Arbeiten mehr Zeit einräumen mit dem Ziel, eine mehrheitsfähige und gesamthaft stimmige Lösung zu finden.

Im Bereich der Medikamente hat die Kommission ausserdem mit 16 zu 8 Stimmen ihren Antrag zur differenzierten WZW-Prüfung geschärft. Dieser sieht vor, dass Leistungen unterschiedlich häufig – aber nicht in unterschiedlichem Umfang – auf ihre Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit überprüft und dabei auch nur einzelne dieser WZW-Kriterien geprüft werden können. Weiter unterstützt die Kommission, dass Preismodelle grundsätzlich auch bei Mitteln und Gegenständen vorgesehen werden können.

Was die Leistungen bei Mutterschaft anbetrifft, folgt die Kommission weitgehend den Beschlüssen des Ständerats. Sie beantragt mit 17 zu 8 Stimmen, die Leistungen zu präzisieren, die Hebammen bei Krankheit für Mutter und Kind erbringen. Demnach soll die Krankenversicherung auch die Kosten von Pflegeleistungen, wie beispielsweise Wundversorgungen, übernehmen. Die Hebammen sollen ihre Leistungen dabei mit oder ohne ärztliche Anordnung erbringen und sich auch um Säuglinge kümmern, die älter als vier Wochen sind. Damit soll die heutige Praxis im Gesetz verankert werden. Mit 15 zu 9 Stimmen beantragt die Kommission schliesslich, die Kt. Iv. Genf «Für eine Übernahme der Arztkosten bei Schwangerschaftsabbrüchen vor der dreizehnten Woche» (19.308) abzuschreiben und damit dem Ständerat zu folgen. Beide Räte haben sich im Rahmen des zweiten Massnahmenpakets bereits dafür ausgesprochen, dass Leistungen neu ab Beginn der Schwangerschaft von der Kostenbeteiligung befreit werden.

Die Kommission wird die Beratungen der Differenzen zu den Kostenfolgemodellen sowie zu den bisher noch nicht behandelten Massnahmen nach der Herbstsession fortsetzen.

Zuverlässigkeit der AHV-Finan​​zperspektiven

Die Kommission hat sich mit der Vorsteherin des Eidgenössischen Departements des Innern und dem Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherungen über die Zuverlässigkeit der AHV-Finanzperspektiven und die jüngst aufgetauchten Fehler in diesem Bereich ausgetauscht. Sie begrüsst die Einleitung einer Administrativuntersuchung, mit der die Ursache für die Fehler gefunden werden soll. Ziel dieser Untersuchung ist auch, Lehren aus diesen Fehlern zu ziehen. Die Kommission erwartet, dass raschestmöglich die Massnahmen getroffen werden, die nötig sind, um die Zuverlässigkeit der Finanzperspektiven der AHV sowie der anderen Sozialversicherungen sicherzustellen. Die politische Debatte muss informiert und auf der Grundlage von überprüften und qualitativ hochwertigen Daten und Zahlen geführt werden können.

Um die nötige Transparenz gewährleisten zu können, empfiehlt die Kommission dem Bundesrat ohne Gegenantrag, alle noch verwendeten und sich in Überarbeitung befindlichen Berechnungsmodelle sowie deren Quelldaten zu veröffentlichen.

Spitalnotfallaufnahmen von Bagatellfällen entlasten: Vorentwurf und erläuternder Bericht bereit für Vernehmlassung

Die Kommission hat den erläuternden Bericht zu ihrem Vorentwurf zur Umsetzung der pa. Iv. (Weibel) Bäumle «Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotfallaufnahme» (17.480) verabschiedet. Sie will den Kantonen die Möglichkeit geben, die Kostenbeteiligung der Patientinnen und Patienten bei ungerechtfertigter Inanspruchnahme der Spitalnotfallaufnahme gezielt zu erhöhen.

Da die Frist für die Ausarbeitung eines Erlassentwurfs Ende Herbstsession ausläuft, beantragt die Kommission ihrem Rat mit 16 zu 9 Stimmen, diese Frist zu verlängern. Eine Minderheit beantragt, die Frist nicht zu verlängern und die parlamentarischen Initiative somit abzuschreiben.

Der Vorentwurf wird mit dem erläuternden Bericht in die Vernehmlassung geschickt, sobald der Nationalrat der Fristverlängerung zugestimmt hat.

Mehr Transparenz bei Interessenbindungen im Gesun​​dheitswesen

Die Kommission hat ihre Arbeiten zur Umsetzung der pa. Iv. Hurni «Pharmazeutische Industrie und Medizin. Mehr Transparenz» (20.490) aufgenommen. Sie hat beschlossen, sich dabei an früheren Vorschlägen des Bundesrates für Offenlegungspflichten im Heilmittelgesetz (HMG) zu orientieren. Der Bundesrat hatte diese 2012 im Rahmen einer Revision des HMG (12.080) formuliert, damals im Parlament aber keine Mehrheit gefunden. Mit dieser Regelung sollen Personen, die Arzneimittel oder Medizinprodukte einsetzen, verpflichtet werden, ihre geschäftlichen Verbindungen zu herstellenden oder vertreibenden Unternehmen offenzulegen. Die Kommission hat die Verwaltung beauftragt, einen entsprechenden Vorentwurf auszuarbeiten.

Klärung des Verfahrens zur Erstellung von monodisziplinären medizinischen Gutachten im Bereich der Invalidenversicherung

Die Kommission hat sich mit der Umsetzung der pa. Iv. Roduit «Umsetzung des Berichtes zur Evaluation der medizinischen Begutachtung in der IV» (21.498) befasst und einstimmig eine Formulierung beschlossen, mit der die IV-Stelle und die versicherte Person verpflichtet werden, sich auf eine Sachverständige oder einen Sachverständigen zu einigen, wenn die IV-Stelle die Erstellung eines monodisziplinären medizinischen Gutachtens verlangt. Vorgesehen ist, dass die IV-Stelle und die versicherte Person in den seltenen Fällen, in denen sie sich nicht einigen können, jeweils eine eigene Sachverständige oder einen eigenen Sachverständigen bezeichnen, die sich verpflichten, ein gemeinsames Gutachten zu erstellen. Sollte es Differenzen zwischen den beiden Sachverständigen geben, soll der Regionale Ärztliche Dienst für die Klärung zuständig sein. Die Kommission wird abschliessend über den Vorentwurf befinden, wenn der erläuternde Bericht vorliegt, und anschliessend – vermutlich im ersten Quartal 2025 – die Vernehmlassung eröffnen.

Weitere Geschäfte

Die Kommission beantragt mit 15 zu 8 Stimmen bei 1 Enthaltung bzw. 15 zu 9 Stimmen, den pa. Iv. Amaudruz «Die Kaufkraft der Bevölkerung erhalten mit einem Krankenkassenprämien-Moratorium» (23.459) bzw. Michaud Gigon«Die Krankenkassenprämien sind dringend einzufrieren» (23.466) keine Folge zu geben. Sie anerkennt, dass die Prämien eine hohe finanzielle Belastung bedeuten, aber in ihren Augen würde ein vorübergehendes Einfrieren der Prämien diese Belastung nur künstlich senken. Diese Massnahme hätte jedoch keinen Einfluss auf die Faktoren, die zum Anstieg der Gesundheitskosten beitragen. Die Kommission will lieber auf die kürzlich eingeführten und die im Parlament hängigen gezielten Massnahmen zur Kostendämpfung setzen.

Mit 13 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen beantragt die Kommission, der Kt. Iv. Tessin «Unterstützung für Frauen nach einer Fehl- oder Totgeburt» (22.308) keine Folge zu geben. Es sollen die Ergebnisse der Arbeiten in Erfüllung des Postulats 23.3962 abgewartet werden, bevor weitere Massnahmen ins Auge gefasst werden.

Die Kommission liess sich zur Verordnungsänderung zur Umsetzung der «Motion Ständerat (Ettlin Erich). Einkauf in die Säule 3a ermöglichen» (19.3702) konsultieren. Sie empfiehlt dem Bundesrat mit 16 zu 9 Stimmen, sich an den Wortlaut und die Begründung der Motion zu halten und die Regeln für nachträgliche Einzahlungen in die Säule 3a denjenigen in der 1. und 2. Säule anzugleichen. Um die individuelle Vorsorge für den Mittelstand zu stärken, sollen nach Auffassung der Kommission alle fünf Jahre möglichst unbürokratisch Einkäufe in die Säule 3a von maximal 35'280 Franken getätigt werden können. Vorsorgelücken sollen dabei rückwirkend ab dem Alter von 25 Jahren geschlossen werden können und dies auch für Jahre ohne AHV-pflichtiges Einkommen. Die Kommission nahm zur Kenntnis, dass ihr Modell zu deutlich höheren, jedoch nicht bezifferbaren Steuermindereinnahmen führt als die Vernehmlassungsvorlage des Bundesrates.

Die Kommission hat sich weiter ausführlich mit dem Thema «Pflege und Betreuung» befasst. Sie hat sich dabei insbesondere die anstehenden Herausforderungen bei der (Langzeit-) Pflege und Betreuung sowie den Stand der Umsetzung bei der Neuregelung der Pflegefinanzierung vorstellen lassen. Zur Pflege in komplexen Situationen, beispielsweise bei Demenz oder am Lebensende, hat sie zudem betroffene Kreise angehört. Die Kommission betont, dass die laufenden Arbeiten insbesondere für eine bessere Vergütung der Pflege in komplexen Situationen rasch weitergeführt werden sollen und wird diese weiterhin aktiv begleiten.

Schliesslich liess sich die Kommission im Rahmen der Beratungen der pa. Iv. Lohr «Entschädigung von Hilfeleistungen von Angehörigen im Rahmen des Assistenzbeitrages» (12.409) über die neusten Entwicklungen im Bereich des selbstbestimmten Wohnens informieren.

Die Kommission tagte am 15. und 16. August 2024 in Bern unter der Leitung von Nationalrätin Barbara Gysi (SP, SG) und teilweise in Anwesenheit von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider.