Covid-19 hat die Digitalisierung des Schweizer Parlaments vorangetrieben. Am 11. Dezember 2020 stimmte Nationalrätin Sophie Michaud Gigon aus der Quarantäne von zu Hause aus ab. Eine Premiere. Aber was, wenn die Ratsmitglieder auch online an den Debatten teilnehmen möchten? Katrin Suter, die Leiterin des Projekts «Virtuelles Parlament», erläutert die derzeitigen Überlegungen.

​Katrin Suter leitet seit 2020 die Arbeitsgruppe «Virtuelles Parlament» aus IT-Fachleuten und Mitarbeitenden der Parlamentsdienste, die in den Kommissionssekretariaten und den Ratsbüros arbeiten. In der Arbeitsgruppe werden sowohl die technischen als auch die rechtlichen und politischen Aspekte eines digitalen Parlaments thematisiert: «Wir müssen bereit sein, falls die Räte beschliessen, dass sich die abwesenden Ratsmitglieder über einen Bildschirm an den Debatten beteiligen können.»

Gibt es technische Hürden bei der Umsetzung einer nichtphysischen Sitzungsteilnahme der Ratsmitglieder?

Katrin Suter: Wir gehen vom Modell einer hybriden Session aus, d. h., dass einige Ratsmitglieder online und andere vor Ort an den Sitzungen teilnehmen. Bei dieser Ausgangslage besteht die zentrale Herausforderung darin, die verschiedenen von den Sessionsteilnehmenden genutzten Schnittstellen zu integrieren. Die Dolmetscherinnen und Dolmetscher verwenden zum Beispiel ein Audiosystem, das nur vor Ort verfügbar ist. Die Protokollführerinnen und  führer wiederum arbeiten mit der Software Verbalix, mit der sie die Sitzungen vor Ort aufzeichnen und auch transkribieren können. Die Ratsmitglieder schliesslich stimmen im Saal über das System ELAN/ELAS ab, das die Abstimmungen in den Räten mit der Geschäftsdatenbank Curia verbindet.

Eine komplett digitale Session bedürfte zusätzlicher Überlegungen, da dann auch die Bundesratsmitglieder und die Angestellten der Bundesverwaltung online teilnehmen müssten.

Im vergangenen Jahr haben mehrere Parlamente digitale Lösungen eingeführt. Dienen Ihnen einige davon als Vorbild?

- Das lettische Parlament, mit dem wir in Kontakt standen, war das erste, das die parlamentarische Arbeit komplett digitalisierte. Man muss dazu sagen, dass die lettischen Parlamentsmitglieder – übrigens Berufspolitikerinnen und -politiker – über eine elektronische ID verfügen, die auf nationaler Ebene eingeführt wurde. Das erleichtert die Authentifizierung. Ausserdem nutzen sie ausschliesslich die von ihren Parlamentsdiensten zur Verfügung gestellten Computer, was die Installation entsprechender Informatiksysteme vereinfacht. In der Schweiz wählen die Ratsmitglieder ihre Geräte selbst aus und konfigurieren sie nach ihren Bedürfnissen.

Standbild aus dem Video e-Saeima: a new tool for remote work at the parliament of Latvia

«Das lettische Parlament war das erste, das die parlamentarische Arbeit komplett digitalisierte». Bild aus dem Video e-Saeima: a new tool for remote work at the parliament of Latvia

Ein Beispiel aus dem näheren Umfeld ist jenes des Kantons Freiburg. Mitglieder, die aufgrund von Covid-19 abwesend sind, können über Microsoft Teams an den Debatten teilnehmen und abstimmen. Die Regeln sind klar: Die Kamera muss eingeschaltet sein und die Ratsmitglieder müssen alleine sein. Falls eine andere Person im Bild erscheint, wird die Stimme nicht gezählt, und bei technischen Problemen wird die Abstimmung nicht wiederholt. Die Stimmen der online teilnehmenden Ratsmitglieder werden manuell vom Parlamentsdienst in der Datenbank des Grossen Rates erfasst.

Wir haben auch die Statistiken der Interparlamentarischen Union (IPU) analysiert. Diese zeigen die internationalen Trends auf: Ein Grossteil der ausländischen Parlamente nutzt für die Online-Debatten Standard-Videokonferenztools. Für die Abstimmungen haben mehrere Parlamente eigene, auf ihre spezifischen Bedürfnisse ausgerichtete Systeme entwickelt.

Dies ist auch in der Schweiz der Fall. Bei unserem System werden die Stimmen im Nationalrat, die online abgegeben werden, automatisch in unsere Datenbank integriert. Sie werden live auf den Bildschirmen im Nationalratssaal und auf den Bildschirmen der Ratsmitglieder, die von zu Hause aus abstimmen, angezeigt.
Mehr zur Online-Abstimmung im Schweizer Parlament erfahren Sie in diesem Blogbeitrag (auf Französisch).

Ist die Entwicklung neuer Lösungen wirklich notwendig? Das Online-Abstimmungssystem funktioniert und die Ratsmitglieder könnten über «Skype for Business» – das sie bereits heute für die Online-Teilnahme an bestimmten Sitzungen nutzen – mitdebattieren.

- Es braucht dringend Verbesserungen. Unser Online-Abstimmungssystem lässt sich nicht in «Skype for Business» integrieren: Die Ratsmitglieder müssten somit zwischen mehreren Fenstern hin und her wechseln. Zudem ist es mit «Skype for Business» nicht möglich, in Echtzeit die Redebeiträge in den verschiedenen Sprachen über mehrere Audiokanäle zu hören. Also müssten die Ratsmitglieder vermutlich einen zweiten Computer oder ein Smartphone nutzen, um die Simultanverdolmetschung zu hören.

Wie können diese Probleme gelöst werden?

- Das «Covid-Gesetz» ist nur für ein Jahr gültig – in dieser kurzen Zeit ist es nicht möglich, eine Lösung zu finden, die auf die spezifischen Bedürfnisse des Schweizer Parlaments eingeht. Ausserdem haben wir keinen Auftrag der Bundesversammlung für eine solche Lösung. Daher haben wir die verschiedenen auf dem Markt verfügbaren Lösungen miteinander verglichen.

Eine Möglichkeit wäre es, das Online-Abstimmungssystem zu integrieren, damit die Ratsmitglieder auf ihrem Bildschirm nur ein Fenster öffnen müssen. Für eine solche Lösung bieten sich mehrere Plattformen an wie Cisco Webex, Zoom und Microsoft Teams, welches gemäss IPU die von den ausländischen Parlamenten am häufigsten verwendeten Videokonferenzplattformen sind. Im Januar 2021 testete die Arbeitsgruppe «Virtuelles Parlament» Microsoft Teams: Wir haben eine digitale Kommissionssitzung simuliert mit online Redebeiträgen von Ratsmitgliedern, Abstimmungen und Debatten.

Am Ende braucht es einen politischen Entscheid. Und falls dies eintritt und die Räte ihren Mitgliedern eine Online-Teilnahme an den Debatten ermöglichen wollen oder falls die Gesundheitslage sie zu diesem Entscheid zwingt, werden wir bereit sein und reagieren können.

Mitarbeitende der Schweizer Parlamentsdienste simulieren eine Kommissionssitzung mit Microsoft Teams.