In der Geschichte...
Früher in der Geschichte wurde das Protokoll meistens sehr genau durch die Regeln der verschiedenen Hofzeremonielle / Hofettikette der jeweiligen Fürstenhöfe geregelt und war ziemlich kompliziert und umfangreich. So z.B. wurde im Topkapi-Palast in Istanbul - dem wunderschönen ehemaligen Wohn- und Regierungssitz der osmanischen Sultane (1478-1853 / heute ein Museum) - der Zugang zum eigentlichen Hof strikt reglementiert und dadurch die bis zu 5000 Palastbewohner streng organisiert und hierarchisiert.
Bei den heutigen modernen Republiken wird diese protokollarische Rangordnung häufig flexibler gehandhabt und es geht dabei nur noch um zeremonielle Zwecke (z.B. wer bei offiziellen Reden zuerst anzusprechen ist oder wer beim Bankett wo sitzen darf/muss).
Gerade beim diplomatischen Protokoll haben diese Regeln aber auch heute noch ihre Bedeutung, denn damit sollen unnötige Streitigkeiten vermieden und eine angenehme Atmosphäre für politische Verhandlungen geschaffen werden.
Ein schweizerisches Protokollreglement
Auch die Schweizerische Eidgenossenschaft kennt seit 1948 ein solches Protokollreglement. Das für diese Fragen verantwortliche Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) regelt darin verschiedene Protokoll- und Zeremoniellfragen, bestimmt dadurch die offizielle protokollarische Rangordnung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und gewährleistet auch die Koordination mit den übrigen Departementen und den Behörden von Bund, Kantonen und Gemeinden.
Es wurde seitdem fünfmal revidiert - das letzte Mal genehmigte der Bundesrat am 29. September 2017 das neue Protokollreglement der Schweizerischen Eidgenossenschaft: Link zum Protokollreglement. Bei dieser letzten Revision wurde die gültige Rangordnung angepasst, um die Bedeutung der Präsidentinnen und Präsidenten sowie der Mitglieder der beiden Räte aufzuwerten. So rückten beispielsweise die Nationalrätinnen und Nationalräte auf Rang 9 (vorher 14) und die Ständerätinnen und Ständeräte auf Rang 10 (vorher 15) vor.
Die neuste Version wurde nach dreijähriger Beratung am 1. September 2017 von der Verwaltungsdelegation der Bundesversammlung zur Kenntnis genommen.
Für offizielle Besuche ist alles ganz klar geregelt. Hier: offizieller Besuch des österreichischen Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka, gemeinsames Arbeitsessen.
Wenn das Protokollreglement auf Kritik stösst
Verschiedene politische Diskussionen und Vorstösse zeigen, dass es bei dieser protokollarischen Rangordnung der Schweizerischen Eidgenossenschaft nicht nur um unwichtige Theorie geht, und dass auch in der Zukunft weitere Veränderungen in diesem Bereich möglich sind.
Bezugnehmend auf die protokollarische Rangfolge bei offiziellen Anlässen hatte der Bundesrat im Rahmen der damaligen Beratung argumentiert, dass der Gesamtbundesrat als für die Aussenpolitik primär zuständiges Kollegium (Art. 184 Abs. 1 BV) an erster Stelle der Rangfolge stehen müsse. Im Protokollreglement ist jedoch nicht vermerkt, dass sich die Rangfolge nur auf offizielle Anlässe mit internationalem Charakter bezieht und weder eine allgemeine Aussage zur Rangordnung der Bundesbehörden macht noch für das Protokoll bei inländischen Anlässen gilt. Die Rangordnung wird daher in gewissen Fällen und fälschlicherweise auch bei nationalen Anlässen, insbesondere wenn diese von Dritten organisiert werden, angewendet oder gar als allgemeiner Ausdruck der Stellung der verschiedenen Bundesbehörden verstanden. Dies widerspricht der Stellung der Bundesversammlung als «oberster Gewalt im Bund» gemäss Art. 148 Abs. 1 Bundesverfassung.
Entsprechend wird die Präsidentin oder der Präsident des Nationalrates zumindest innerstaatlich aufgrund ihrer Zusatzfunktion als Vorsitzende(r) der Vereinigten Bundesversammlung (Art. 157 Abs. 1 BV) als «höchste Schweizerin» bzw. «höchster Schweizer» verstanden. Ihr bzw. ihm folgt unmittelbar die Präsidentin bzw. der Präsident des Ständerates als Vorsitzende(r) der dem Nationalrat gleichgestellten Schwester-Kammer (vgl. Art. 148 Abs. 2 BV).
Ein anderer Kritikpunkt wurde von Ständerat Andrea Caroni aus Appenzell Ausserrhoden bereits am 30. Mai 2018 in einer Anfrage an den Bundesrat aufgegriffen (18.1023 – «Verfassungswidrige Benachteiligung des Ständerates»). Darin kritisiert Ständerat Caroni, dass der Bundesrat mit dem am 29.09.2017 genehmigten Protokollreglement die Gleichbehandlung der beiden Kammern und ihrer Mitglieder der Bundesversammlung verletze: Die Bundesverfassung (Artikel 148 Absatz 2 der BV) verlange, dass die Mitglieder des Ständerates (Rang 10 im Protokollreglement) im gleichen Rang stehen würden wie die Mitglieder des Nationalrates (Rang 9 im Protokollreglement). Unproblematisch hingegen sei der Vorrang des Nationalratspräsidenten vor dem Ständeratspräsidenten.
In seiner Antwort vom 15.08.2018 auf diese Anfrage (siehe Link oben) erklärt der Bundesrat, wie es historisch zu dieser Ungleichbehandlung zwischen Mitgliedern des Ständerates und Mitgliedern des Nationalrates gekommen ist («Grund für die unterschiedliche Behandlung ist wahrscheinlich der Vorrang des Nationalratspräsidenten, der die Bundesversammlung präsidiert, vor dem Ständeratspräsidenten») und dass er bei kommenden Revisionen des Eidgenössischen Protokollreglements bereit sei, eine entsprechende Anpassung zu prüfen. Nach Ansicht der VD lässt sich diese Ungleichbehandlung der Ratsmitglieder jedoch nicht mit dem Vorsitz der Nationalratspräsidentin bzw. des Nationalratspräsidenten rechtfertigen – auch in der Vereinigten Bundesversammlung sind die Ratsmitglieder einander gleichgestellt.