Das Brienzer Zimmer ist ein Kommissionszimmer im Parlamentsgebäude, das von den Ratsmitgliedern sehr geschätzt wird. Dieses Meisterwerk Schweizer Handwerkskunst, welches an der Weltausstellung von 1900 ausgezeichnet wurde, birgt wahre Schätze. Wände und Decke sind mit Holzreliefs der Schnitzlerschule von Brienz verziert, deren Kunstfertigkeit seit Anfang des 19. Jahrhunderts weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist.

Brienz und seine Holzschnitzerei-Tradition

Begründer der Holzschnitzerei-Tradition im Berner Oberland ist der Brienzer Christian Fischer (1790–1848). Im Hungersnotjahr 1814 beginnt er, Alltagsgegenstände wie Eierbecher, Trinkbecher, Dosen und Kästchen zu verzieren und als Souvenir an Feriengäste zu verkaufen. Der Erfolg ist so gross, dass Fischer beschliesst, eine Werkstatt zu eröffnen und den Einheimischen dieses Handwerk beizubringen.

In den Läden von Brienz sieht man in der Folge immer häufiger kleine Wilhelm Tells, Sennen, Bären oder Chalets aus Holz. Die Feriengäste nehmen diese Figuren und Modelle mit nach Hause und tragen so zum internationalen Erfolg der Brienzer Holzschnitzerei bei. Die Qualität der Arbeiten wird immer besser und manch einer der Holzschnitzer kehrt der Souvenirherstellung den Rücken, um hochwertigere Werke anzufertigen. An der Weltausstellung von 1851 in London wird dieses Talent anerkannt und das Brienzer Kunsthandwerk erhält zahlreiche Auszeichnungen. Der Siegeszug hält an und auch die Weltausstellung von 1867 in Paris wird ein voller Erfolg.

Der Bekanntheitsgrad steigt und die Region beschliesst, die Holzschnitzerei zu fördern. So wird 1884 die Brienzer Schnitzlerschule eröffnet. Diese Schule gibt es auch heute noch und sie bewahrt das Brienzer Kulturgut der Holzbildhauerei.

Bild 1: Zwei kleine Statuen von Christian Fischer: Wilhelm Tell und eine Kuhhirtin (um 1830)


Bild 2: Im 19. Jahrhundert entwickelt sich die Holzschnitzerei in Brienz immer weiter, wie dieses Schmuckkästchen von Andreas Baumann von 1890 zeigt.

Die Brienzer Schule, das Parlamentsgebäude und das Zimmer 7

Bundeshausarchitekt Hans Auer wendete sich für die Verzierung des Parlamentsgebäudes, das die künstlerischen und industriellen Fähigkeiten des Schweizervolks illustrieren sollte, natürlich auch an die Holzschnitzer aus dem Berner Oberland. So kann man zum Beispiel im Nationalratssaal Arbeiten von Ferdinand Huttenlocher bewundern, der als Professor an der Brienzer Schule lehrte. Doch es ist zweifelsohne das Kommissionszimmer 7, das am besten von der Brienzer Schaffenskunst zeugt, da es vollständig von der dortigen Schnitzlerschule gestaltet wurde.

Wie das ganze Parlamentsgebäude ist auch dieser Raum von starker Symbolik geprägt. In jeder Ecke wird einer Branche, auf welche die Eidgenossenschaft stolz ist, die Ehre erwiesen. Die Besucherinnen und Besucher können Hommagen an die schönen Künste, das Handwerk, das Ingenieurwesen und die Wissenschaft (auf Lateinisch: «ars», «pulchra industria», «industria» und «scientia») entdecken.





Bild 3: Welcher Branche die Ehre erwiesen wird, ist an der Decke auf Lateinisch zu lesen.(Klicken Sie auf die Bilder zum Vergrößern)


Die schönen Künste werden von einer Farbpalette (Malerei), von Hammer und Meissel (Bildhauerei) sowie von Stift und Zirkel (Architektur) symbolisiert.

Für das Handwerk sind in einem Wandmedaillon die Töpferei, die Weberei und natürlich die Holzschnitzerei der Brienzer Schule dargestellt.

Zahnrad, Zange, Bohrer und Säge sowie Schlüssel für das Schlosserhandwerk verzieren die Ecke, die für die Industrie reserviert ist.

Teleskop, Thermometer und Barometer stehen für die Geologie und die Astronomie, Bücher für die Philosophie und der Äskulapstab für die Medizin.

Die Handwerker hauchten ihren Werken Leben ein, indem sie die Wände mit kleinen Pflanzen und Tieren verzierten. Die Ratsmitglieder tagen somit unter den wachsamen Blicken von Vögelchen, Eichhörnchen, Eidechsen und Insekten.





Internationaler Erfolg

Das Kommissionszimmer 7 ist heute eine Attraktion des Berner Parlamentsgebäudes. Eingeweiht wurde es allerdings in Paris an der Weltausstellung von 1900.

Die Schweiz baute für diesen Anlass inmitten der französischen Hauptstadt ein Bergdorf mit Chalets, Weiden und sogar einem See auf. Über 300 Statistinnen und Statisten in traditioneller Kleidung belebten den Weiler und mehrere Mitglieder der Brienzer Schnitzlerschule zeigten ihre Handwerkskunst. Die Brienzer Schule erhielt für die Reliefs, die heute das Kommissionszimmer 7 schmücken, eine Goldprämierung in der Kategorie «Feste Verzierung von öffentlichen Gebäuden und Wohnungen».

Der Schweizer Pavillon an der Weltausstellung von 2021 in Dubai sorgt für Aufsehen, indem er die wissenschaftlichen und technologischen Höchstleistungen der Schweiz präsentiert. Die Besucherinnen und Besucher werden erneut auf eine Reise durch die Schweiz mitgenommen, in einem Raum, der nicht mit Holzreliefs, sondern mit Grossbildschirmen ausgestattet ist.


Bild 4: Das Schweizer Dorf an der Weltausstellung von 1900. Die Schweiz scheute keine Kosten, um Felswände aus echtem Schweizer Alpengestein aufzubauen.


Bild 5: An der Expo 2021 in Dubai kann man die Schweizer Berge virtuell besichtigen.