Das Schweizer Parlament soll papierlos werden. Die kleine Kammer macht in der Frühlingssession den Anfang. Statt 6,8 Kilogramm Papier, erhalten die Ständerätinnen und Ständeräte ein digitales Paket mit Ratsunterlagen und dazu ein geeignetes Tablet. Andreas Wortmann, Leiter des Bereichs Infrastruktur der Parlamentsdienste, erklärt das Pilotprojekt und sagt wie es danach weitergeht.

Andreas Wortmann, der Parlamentsbetrieb ist digital gut organisiert und praktisch alle Ratsunterlagen sind elektronisch abrufbar. Trotz Massnahmen zur Sensibilisierung verbrauchen Parlament und Parlamentsdienste jährlich 10 Millionen Blatt Papier (siehe Zusatzinfo unten). Wieso so viel?

Papier ist greifbar, wir sind uns den Umgang damit gewohnt. Auf Papier liest es sich einfacher. Komplexe, mehrseitige Dokumente in Querformat zum Beispiel, die wir für den Ratsbetrieb brauchen, lassen sich in Papierform leichter handhaben. Hinzu kommt: Bis vor kurzem gab es keine befriedigenden technischen Lösungen, die mit Papier hätten konkurrieren können.

Der Ständerat startet in der Frühlingssession versuchsweise mit dem papierlosen Ratsbetrieb. Wie sieht dieser konkret aus?

Das wissen wir auch noch nicht so genau. Deshalb starten wir diesen Versuchsbetrieb. Der Praxistest ermöglicht uns, konkrete Erfahrungen zu sammeln und die Bedürfnisse der Ständerätinnen und Ständeräten abzuholen. Wir haben uns bewusst gegen eine fixfertige Lösung entschieden. Wir beginnen damit, sämtliche Ratsunterlagen für die Frühlingssession in ein digitales Gesamtpaket zusammenzuführen. Ausgedruckt würden diese Dokumente je 6,8 Kilogramm wiegen. Die 46 Ratsmitglieder erhalten zudem ein Tablet – ein iPad Pro -, dessen Oberfläche sich mit einem digitalen Stift bearbeitet lässt. Die Ratsmitglieder können also Notizen anbringen.

Der einzige Vorteil im Moment liegt darin, dass Ratsmitglieder eine Zip-Datei erhalten und Dokumente nicht selbst zusammensuchen müssen.

Im Moment schon. Aber wie gesagt, wir wollen schrittweise vorgehen, damit wir am Ende des Prozesses ein brauchbares, zufriedenstellendes Resultat vorlegen können.

Das bereitgestellte digitale Paket ist statisch, das heisst, es wird nicht automatisch aktualisiert. Was müssen die Ratsmitglieder tun, um à jour zu bleiben?

Die Praxis wird die gleiche sein wie bis anhin. Nur dass die Ständeräte und Ständerätinnen die aktualisierten Unterlagen elektronisch und nicht auf Papier erhalten werden wie ihre Kolleginnen und Kollegen im Nationalrat. Ziel des Pilotversuchs ist es eben gerade, Knacknüsse wie diese lösen zu können.

 

Der Ständerat wird nicht mit einer fixfertigen Lösung in den papierlosen Ratsbetrieb einsteigen. «Wir wollen zuerst Erfahrungen sammeln», sagt Andreas Wortmann, Leiter des Bereichs Infrastruktur der Parlamentsdienste.

Wie verhindern Sie, dass Parlamentarier die Dokumente dann doch nicht ausdrucken?

Das können wir nicht verhindern. Der Pilotversuch hat eine Reihe von Rahmenbedingungen: Eine davon ist, wie gesagt, Erfahrungen zu sammeln und nicht eine ungeprüfte, fixfertige Lösung einführen.

Zwischen dem Entscheid und dem Start des Testlaufs liegen lediglich vier Monate. Wie ausgereift ist dieser erste Schritt hin zum papierlosen Parlament?

Eine gewisse Skepsis ist vorhanden - sowohl seitens der IT wie auch der Ratsmitglieder. Es gibt jedoch verschiedene Wege, Neues einzuführen. Wir haben uns entschieden, einen für das Schweizer Parlament konfektionierten, einfachen Prototypen zu entwickeln. Wir hätten auch ein fixfertiges Produkt einkaufen können, mit dem Risiko, diverse Anpassungen vornehmen zu müssen.

Die Einführung neuer Technologien bedarf Support für Nutzerinnen und Nutzer. Haben die Parlamentsdienste genügend Ressourcen?

Wir setzen nicht auf exotische Lösungen. Das Gerät, dass wir zur Verfügung stellen, ist einfach in der Handhabung und ist vielen bereits vertraut. Ob wir mit dieser Annahme richtigliegen, werden wir in der Frühlingssession merken. Dann zeigt sich, wie gross der Aufwand sein wird und ob die neuen Geräte tatsächlich problemlos zu bedienen sind.

Es gibt in Europa bereits papierlose Ratskammern, der Senat in Holland zum Beispiel oder die französische Nationalversammlung. Ich gehe davon aus, dass sich die Parlamentsdienste dort informiert haben. Wird die Ratsarbeit kostengünstiger?

Die Kosten standen bei den befragten Parlamenten nicht im Vordergrund, sondern die Effizienz. Unsere Welt wird immer schneller und komplexer, gleiches gilt für die Ratsarbeit. Arbeitsvolumen und Arbeitsrhythmus steigen, umfassender werden auch die Dokumente. Mit der Tabletlösung können auf kleinem Raum, grosse Datenmengen gespeichert werden und die Aktualisierung ist heute technisch ohne weiteres möglich. Ich habe jederzeit Zugriff auf sämtliche Unterlagen, die ich brauche – und das ohne schwere Aktenberge schleppen zu müssen.

Wie steht es um die Sicherheit?

Im Moment wird die digitale Ablage nur mit öffentlich zugänglichen Dokumenten und nicht mit vertraulichen Papieren bestückt. Wenn der Wunsch besteht, auch auf vertrauliche Unterlagen zugreifen zu können, werden wir wesentlich mehr Zeit in die Entwicklung investieren müssen, damit die Sicherheit garantiert ist.

Ein wichtiger Grund für ein papierloses Parlament sind ökologische Überlegungen. Die Ökobilanz von Tablets ist auch nicht ausgewogen. Stichworte sind: Seltene Erden, Stromverbrauch oder Lebensdauer der Geräte. Hinzu kommen ethische Aspekte wie die Arbeitsbedingungen von Minenarbeiter. Inwieweit wurden diese Punkte in der Evaluation berücksichtigt?

Diese Punkte werden inzwischen bei jeder Evaluation berücksichtigt. So schliessen wir unter anderem nur noch Verträge mit Firmen ab, die Garantie von mindestens vier Jahren zusichern. Wir kaufen auch nur Geräte, die sich reparieren lassen und nicht als Ganzes entsorgt werden müssen. Die Parlamentsdienste sind ein zu kleiner Player auf dem Weltmarkt. Ich denke jedoch, die Industrie ist daran, die richtige Richtung einzuschlagen. Es stimmt, die Ökobilanz ist nicht per se günstiger als jene von Papier.

Was kostet dieser Pilotversuch?

Weil wir auf bestehende Grundlagen zurückgreifen können, halten sich die Entwicklungskosten in Grenzen. Dazu kommen die Tablets für die 46 Ratsmitglieder. Das Pilotprojekt kostet gesamthaft knapp 50'000 Franken.

Wie geht es weiter, wenn der Testlauf positiv ausfällt?

Das ist noch offen. Allenfalls werden wir auch noch die Sommersession nutzen, um Erfahrungen zu sammeln. Dann folgt die Auswertung, die zeigen wird, ob die aktuelle Lösung lediglich verbessert oder komplett neu entwickelt werden muss. Ich vermute eher das zweite wird der Fall sein, weil auch das Extranet der Ratsmitglieder den heutigen Anforderungen nicht mehr entspricht und ein Update braucht.

Ein Vorstoss – das Parlament hat ihn noch nicht behandelt - fordert einen digitalen Ratsbetrieb bis ins Jahr 2020. Wie realistisch ist diese Vorgabe?

Ich halte das für sehr ambitiös, obschon bereits heute sechs Ratsmitglieder papierlos arbeiten und fast alle Unterlagen elektronisch abrufbar sind. Wenn wir jedoch wollen, dass alle 246 Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf die digitale Arbeitsweise umsteigen, und nicht nur jene mit einem Faible für neue Technologien, muss die Lösung einfach und praktisch sein. Verbesserungen im Bereich der IT nehmen viel Zeit in Anspruch. Von daher reichen knapp zwei Jahre wohl kaum aus. Zumal ja auch die Parlamentsdienste mit 300 Mitarbeitenden in den Prozess einbezogen werden müssten.

 

Die sogenannte «Fahne» ist eines der Dokumente, das im digitalen Paket den Ständerätinnen und Ständeräten zur Verfügung gestellt wird.

Zusatzinfo: 10 Millionen Blatt Papier

2016 lag der Gesamtverbrauch für Parlament und Parlamentsdienste bei insgesamt etwa 10 Millionen Blatt Papier, die entweder verschickt oder in den Ratssälen verteilt wurden. Darin eingeschlossen sind die Reprozentrale sowie die Multifunktionsgeräte. Eine Aufteilung zwischen Rats- und Kommissionsunterlagen kann nicht gemacht werden. Im Moment liegt der Aufwand für den Papierverbrauch pro Ratsmitglied bei durchschnittlich rund 5000 Franken pro Jahr. Darin eingerechnet sind die Kosten der Reprozentrale des Bundesamtes für Bauten und Logistik und die Posttaxen. Die Herstellung von Papier benötigt viel Energie und Rohstoffe. Ein Kilogramm Papier braucht ungefähr 2,2 Kilogramm Holz. Für die Produktion eines A4-Blattes werden 0,2 Megajoule Energie benötigt. Das entspricht dem Verbrauch einer Glühbirne, welche während einer Stunde brennt. Bei der Herstellung eines A4-Blattes fällt 0,1 Liter Abwasser an.

In der Gesamtbetrachtung sind auch die Transporte zum und vom Parlamentsgebäude zu berücksichtigen. Das geschieht heute in der Regel mit Lastwagen, welche mit fossilen Kraftstoffen betrieben werden. Papier muss somit als ein nichtumweltfreundliches Medium eingestuft werden. Der Papierbedarf des Parlamentes benötigt jährlich etwa so viele Bäume, wie es bräuchte, um die Fläche des Bundesplatzes zu bepflanzen. Die Parlamentsdienste verfolgen zudem seit mehreren Jahren, welche Erfahrungen das Ausland macht, insbesondere der Senat der Niederlande, der 2011 als Erster seinen Mitgliedern Tablets zur Verfügung gestellt und auf Papier verzichtet hat. Der spanische Senat hat einige Jahre später denselben Weg eingeschlagen, und auch die französische Nationalversammlung hat kürzlich beschlossen, für Arbeiten im Plenum auf Papier zu verzichten.

(Quelle: 17.3640 Interpellation Frehner; Papierloser Ratsbetrieb)