Einführungsreferat an der Fachtagung der Fachhochschule Nordwestschweiz, Olten
Mittwoch, 22. November 2006


Begrüssung und Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich bedanke mich sehr herzlich für die Einladung! Es ist mir eine grosse Freude, hier in Olten den Auftakt zur Fachtagung zu machen.
Die Referate und Sessionen stehen unter dem Titel „Krieg der Regionen“. Als Mitglied des Ständerats, der neben eigenen politischen und Verbandsinteressen immer gleichzeitig Bundes- als auch kantonale und regionale Interessen vertritt, befinde ich mich wohl mitten drin in diesem Schlachtfeld. Gleichwohl, von „Krieg“ zu sprechen ist vielleicht doch etwas übertrieben, auch wenn der Titel sehr werbe-wirksam daherkommt. Der Kampf zwischen den Kantonen, nämlich der Konkurrenzkampf um Unternehmen, Infrastruktur, Steuerzahler und Touristen ist aber in den letzten Jahren in der Tat wesentlich intensiver geworden. Im Allgemeinen ist es wohl nicht falsch zu sagen, dass die Kantone in den letzten Jahren wieder an Stärke und an Einfluss gewonnen haben. Man denke beispielsweise an das erfolgreiche Kantonsreferendum von 2003 gegen das vom Bund beschlossene Steuerpaket.
Sie werden von den heutigen Referenten viel zu den Themen „regionaler Wettbewerb, Kooperation, Steuerwettbewerb, Standortmarketing und regionale Entwicklungsstrategien“ erfahren. Ich werde in meinen Ausführungen eine etwas übergeordnete Perspektive einschlagen und die Frage „Wie viel Wettbewerb verträgt die Schweiz?“ aus bundespolitischer Sicht beleuchten. Angesichts dessen, dass sich die Schweiz der wirtschaftlichen Beschleunigung kaum entziehen kann, könnte man sogar fragen: „Wie verträgt die Schweiz viel Wettbewerb?“ Oder in anderen Worten: Inwiefern gehören unsere föderalistische Staatsform und Wettbewerb zusammen, bzw. sind sie einander förderlich? In welchen Fällen spielt das Duo von Föderalismus und Wettbewerb eine weniger wichtige Rolle? Und unter welchen Bedingungen sind gewisse Anpassungen erforderlich?


Der interkantonale Standortwettbewerb: Mehr als Steuerpolitik

Im Zuge der Globalisierung und der Dynamisierung der nationalen Volkswirtschaften ist auch der interkantonale Standortwettbewerb ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit gerückt. Deshalb machen sich heute hier Experten aus allen Sektoren und allen Landesteilen Gedanken zu diesem Thema. Das ist gut so, denn der Kampf um Firmen, zukunftsträchtige Technologien und Arbeitsplätze soll nicht totgeschwiegen werden; er existiert. Die Kantone müssen aktiv werden und sich dieser Herausforderung stellen, ob sie sie begrüssen oder bedauern. Für jeden Kanton geht es darum, die langfristigen Chancen zu wahren und geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, damit er sich als attraktiver Wirtschaftsstandort und als Lebensraum gegen gleichermassen herausgeforderte Regionen behaupten kann.


Was sind denn die massgeblichen Faktoren in diesem Wettbewerb?

Auch wenn der Wirbel um den Entschluss des Kantons Obwalden, mit einem neuen Steuergesetz eigene Wege im Kampf um Arbeitsplätze und Steuerzahler zu gehen, anderes vermuten lässt, ist die Steuerbelastung nicht die einzige Messgrösse für die Standortattraktivität eines Kantons. Sie ist zugegebenermassen ein wichtiger Faktor, aber es gibt eben noch viele andere. Für die Erhaltung und Verbesserung der Attraktivität einer Region erachte ich – und wenn man den Umfragen glaubt, auch viele Unternehmer und Privatpersonen mit mir – weitere Faktoren als genauso ausschlaggebend:

 • Bei Standortentscheidungen grosser Unternehmen sind beispielsweise die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte und ein qualitativ hoch stehendes Forschungs- und Bildungsangebot in der Region von grosser Bedeutung.
 • Trotz sinkender Transport- und Transaktionskosten spielt auch die Nähe zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten immer noch eine wichtige Rolle.
 • Und auch die Bürokratie ist ein Faktor: Bewilligungsverfahren sollen ohne grossen Aufwand und in kurzer Zeit erledigt werden können.
 • Das Potenzial des Wirtschaftsstandorts hängt aber auch davon ab, welche Lebensqualität, welche Entfaltungsmöglichkeiten und Erholungsgebiete er der Wohnbevölkerung und den Arbeitskräften bieten kann.
 • Die Zunahme der Mobilität der Menschen und vor allem der Arbeitskräfte bedeutet nicht nur, dass die Regionen in stärkerem Wettbewerb stehen. Die gestiegene Mobilität sorgt auch dafür, dass die Unternehmen und die Bevölkerung hohe Anforderungen an das öffentliche Verkehrsangebot und an die Anbindung an den Schienen- und Strassenverkehr stellen. Auch das hat Auswirkungen auf die Attraktivität einer Region.

Allen diesen Faktoren, besonders den so genannten „weichen“ Faktoren, kommt im internationalen und im interkantonalen Standortwettbewerb eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Die Standortförderung ist daher eine ausgesprochen bereichsübergreifende Aufgabe. Insofern ist sie als breite Querschnittsaufgabe in alle relevanten Kernaufgaben des Staates – Wirtschaftspolitik, Bildungs- und Forschungspolitik, Verkehrspolitik, Fiskalpolitik, Regionalpolitik und Sozialpolitik – zu integrieren.


Steuerwettbewerb: Absurdes System oder effizienter Markt?

Natürlich leistet eine moderate Steuerbelastung einen wichtigen Beitrag zur Förderung und Verbesserung der Standortattraktivität eines Kantons. Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen, das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft, sollen bei Steuersenkungen gestärkt werden. Ein gutes Steuerklima sorgt für wirtschaftliche Entwicklung, Arbeitsplätze, Wohlfahrt und zieht auch neue Steuerzahler an. Als liberaler Wirtschaftspolitiker halte ich Wettbewerb – auch den Steuerwettbewerb – für sinnvoll und glaube nicht, dass es zu einem „Steuerdumping“ oder zu einem Raubbau an der Infrastruktur kommen wird. Ich bin daher auch nicht mit Aussagen einverstanden, dass der Steuerwettbewerb mit dem Fall Obwalden absurde Ausmasse angenommen hätte oder gar die Prinzipien unseres Fiskalsystems unterlaufe. Man mag vom degressiven Steuertarif halten was man will; ob es sich dabei nun um eine unsolidarische Kannibalisierung der Kantone oder um die erwünschte Wirkung eines funktionierenden Wettbewerbs handelt… Es steht fest, dass der Steuerfuss bei Standortentscheidungen von Unternehmen wie auch von Privathaushalten in aller Regel eine sekundäre Rolle spielt.
Selbstverständlich ist sicherzustellen, dass der interkantonale Standortwettbewerb nicht etwa gewisse Kantone in die Bedeutungslosigkeit treibt. Zum Fundament unserer Wirtschaft gehören neben dem Wettbewerb als treibende Kraft auch andere Werte und Ziele: Nachhaltigkeit, Solidarität, Chancengleichheit, Sozialpartnerschaft und regionaler Ausgleich. Mit dem neuen interkantonalen Finanzausgleich haben wir ein griffiges Mittel, um wirtschaftlich schwache Kantone und Randregionen zu unterstützen. Aber selbst diese Landesteile haben gewisse Standortfaktoren, die sie gegen andere Regionen ausspielen können. Auch der Wettbewerb der Schweizer Kantone ist ein Markt mit „global players“ und mit Nischenprodukten!
Michael Porter, der „Guru“ der Wettbewerbsstrategien, sagte: « Paradoxerweise liegen die nachhaltigen Wettbewerbsvorteile einer globalen Wirtschaft zunehmend in lokalen Gegebenheiten – Wissen, Beziehungen, Motivation – mit denen weiter entfernte Rivalen nicht mithalten können. »
In diesem Zusammenhang kann ich nur wiederholen, dass mit Tiefststeuern alleine noch keine kluge Standortpolitik betrieben wird. Vielmehr möchte ich die Kantone ermutigen, im Sinne einer Diversifikationsstrategie in andere Faktoren zu investieren! Das ist oft genauso oder sogar noch eher wirtschaftsfördernd. Denn wie gesagt orientieren sich viele bei der Wahl ihres Unternehmensstandortes, der sich im Falle von KMUs oft noch mit dem Wohnort deckt, an anderen Kriterien wie beispielsweise Lebensqualität, Bildung, Infrastruktur, Gesundheitswesen etc.


Neue Lösungsansätze für komplexer werdende Probleme:
Wettbewerb vs. Kooperation

Die kleinräumige territoriale Gliederung der Schweiz bringt zwar wettbewerbstechnisch viele Vorteile. Es stellt sich aber die Frage, ob mit den knapp 2’900 Gemeinden und 26 Kantonen der Schweiz nicht auch viele Doppelspurigkeiten, Ineffizienzen und höhere Kosten verbunden sind. Bund, Kantone und Gemeinden sind angesichts der wachsenden Komplexität der Probleme und Aufgabenbereiche immer mehr auf eine Zusammenarbeit angewiesen. Gerade bei der Standortförderung, die sich wie vorhin geschildert auf fast alle Politikbereiche erstreckt, werden die Kantone viele Aufgaben in Zukunft nicht (mehr) im Alleingang erfüllen können, sondern sie werden diese Ziele nur gemeinsam mit Partnern aus Gesellschaft, Wirtschaft und öffentlicher Hand erreichen. Die grenzüberschreitenden Wirtschaftsräume, die überregionalen Verkehrsströme, aber auch die steigende Notwendigkeit der Bündelung von politischen Interessen verlangen nach vielseitigen Kooperationen.
Gleichzeitig müssen die verschiedenen Regionen der Schweiz aber auch ihre Originalität und Unverwechselbarkeit bewahren, um sich von konkurrierenden Wirtschaftsstandorten abzuheben. Die Herausforderung besteht also in Zukunft darin, intelligente Lösungen im Verbund zu finden und die notwendigen eigenen Gestaltungsräume zu wahren.
Dabei sind einerseits die bestehenden Mittel und Wege der Wirtschaftsförderung zu optimieren, andererseits ist aber auch eine Vernetzung der Akteure anzustreben, sowohl innerhalb des Kantons wie auch interkantonal. Die staatliche Unterstützung in Form von Finanzhilfen ist ordnungspolitisch umstritten, und es soll natürlich nicht Aufgabe des Staates sein, Projekte zu finanzieren, die auf dem Kapitalmarkt keine Mittel finden. Vorstellbar sind aber Beratung und Begleitung von Unternehmen bei deren Gründung und Entwicklung, Kooperationen im Rahmen von Foren und Messen, die gemeinsame Standortpromotion im Verbund mit anderen Kantonen oder die Etablierung von überregionalen Promotionsorganisationen wie beispielsweise die Greater Zurich Area AG.
Ein weiterer Lösungsansatz liegt in der Zusammenlegung bestehender Gebietseinheiten oder in der Bildung von speziellen Gebietskörperschaften mit bestimmten Aufgabenbereichen:
Gemeindefusionen sind zwar in manchen Kantonen schon erfolgreich vorgenommen worden, in vielen Fällen sind sie aber politisch schwierig durchsetzbar – von Kantonsfusionen einmal ganz zu schweigen. Aus diesem Grund wird vermehrt die Schaffung von Zweckregionen vorgeschlagen. Auch dieses Modell kennt man auf kommunaler Ebene bereits, beispielsweise in Form von Schulgemeinden, aber auf der kantonalen Ebene stösst seine Implementierung ebenfalls auf Probleme.


Der Wettbewerb gehört zur Schweiz

Nun, allen Unkenrufen zum Trotz ist die Eidgenossenschaft bei ausländischen Firmen seit längerem ziemlich hoch im Kurs: Eine Studie des Beratungsunternehmens Arthur D. Little zeigt, dass mehr als die Hälfte der internationalen Konzerne, die zwischen 1990 und 2001 in Europa einen Standort suchten, sich für die Schweiz entschieden.
Doch die vielfältigen Aspekte der heutigen Tagung beweisen, dass die Standortförderung, insbesondere die Ausgestaltung von Wettbewerb und Föderalismus, eine Daueraufgabe ist. Die Strukturen, Institutionen und Verfahrensabläufe müssen immer wieder von neuem evaluiert und wenn nötig angepasst werden. Während einerseits die Entwicklung von neuen Kooperationsformen wichtig ist, müssen andererseits die Kompetenzen zwischen den verschiedenen Ebenen von Bund, Kantonen und Gemeinden klar abgegrenzt werden. Dabei gilt es, effiziente Lösungen zu finden, damit einerseits der interkantonale Standortwettbewerb spielen kann, andererseits aber mit Netzwerkaktivitäten Synergiepotenziale ausgeschöpft und Doppelspurigkeiten vermieden werden können.

Selbst wenn sich in mittel- bis längerfristiger Zukunft neue Formen der Zusammenarbeit oder sogar neue Gebietskörperschaften etablieren sollten, wird die Schweiz eine föderalistische Schweiz bleiben. Wir brauchen den Föderalismus im schweizerischen System. Denn wir brauchen den Wettbewerb in der Schweiz, damit die Gemeinden, Kantone und Landesgegenden sich ihrer Handlungsspielräume bewusst werden und ihre Probleme eigenverantwortlich anpacken können. Das bringt die Wirtschaft und das Land als Ganzes weiter.
Die Pluralität der Schweiz drückt sich nämlich nicht nur in den verschiedenen Sprach- und Kulturgemeinschaften aus, sondern tritt insbesondere in der regionalen Vielfalt – und damit im Wettbewerb der Regionen – in Erscheinung. Der Wettbewerb mit anderen Standorten soll Motor für innovative Entwicklungsschritte sein und fortwährend Impulse für gezielte Verbesserungen geben. Ein System, das auf „Vielfalt in der Einheit“ beruht, ist automatisch auch ein konkurrenzorientiertes System. Damit zählt, volkswirtschaftlich gesehen, der Wettbewerb zu den ureigensten Standortvorteilen der Schweiz.