GPK: Merz und Calmy-Rey haben Kompetenzen überschritten.
Der Bericht der Geschäftsprüfungskommission (GPK) zur Libyen-Affäre enthält keine grossen Überraschungen. Der Bundesrat wird aber nicht entlastet. Die GPK ist einmal mehr zum Schluss gekommen, dass die Zusammenarbeit in der Regierung schlecht funktioniert.

Hart ins Gericht geht die GPK vor allem mit alt Bundesrat Hans-Rudolf Merz und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey. Aus Sicht der GPK haben beide ihre Kompetenzen überschritten.

Im Fall von Merz sind die Überschreitungen gravierend: Als der damalige Bundespräsident im Sommer 2009 in Libyen ein Abkommen unterzeichnete, handelte er ohne Ermächtigung des Gesamtbundesrates. Merz hatte den Bundesrat nicht einmal über seinen Entscheid informiert, nach Libyen zu reisen.

Weiter verschwieg er, dass er einen tunesischen Geschäftsmann beizog. Und er unterliess es, diesen einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen zu lassen. Einzelheiten zum Geschäftsmann werden nicht bekannt gegeben - aus Gründen der Sicherheit und der übergeordneten Staatsinteressen.

Keine gewaltsame Befreiung geplant

Auch die Details über die geplanten Aktionen zur Befreiung der beiden Schweizer Geiseln in Libyen bleiben geheim. Kenntnis davon hat die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), und sie spricht von Operationen zur "Exfiltration": Eine gewaltsame Befreiung sei nie geplant gewesen, erklärte GPDel-Präsident Claude Janiak (SP/BL) am Freitag vor den Medien. Somit könnte es um Pläne zur Informationsbeschaffung gegangen sein.

Fest steht aber, dass die Armee dem Aussendepartement Angehörige der Eliteeinheit AAD-10 zur Verfügung stellte, im Einvernehmen mit dem damaligen Verteidigungsminister Samuel Schmid. Aus dem Bericht geht ferner hervor, dass die Pläne fortgeschritten waren: "Die Angehörigen der Armee haben ihren Operationsbefehl erhalten", schreibt die GPK.

Bundespräsidentin Doris Leuthard hatte im Sommer von einem erteilten und zurückgezogenen "Einsatzbefehl" gesprochen - und damit weitere Spekulationen angeheizt. Janiak kritisierte ihre Wortwahl und bezeichnete diese als falsch.

Bundesrat nicht über Pläne informiert

Die Hauptkritik in Zusammenhang mit den Befreiungsplänen richtet sich jedoch gegen Micheline Calmy-Rey: Sie versäumte es, den Gesamtbundesrat zu informieren. Mit den in die Wege geleiteten Operationen überstieg sie laut der GPK ihre Kompetenzen.

Es wäre in erster Linie Sache der Aussenministerin gewesen, unter Einbezug des Verteidigungsdepartements (VBS) dafür ein Gesuch an den Bundesrat zu richten, schreibt die GPK. In der Verantwortung stehen indes auch Verteidigungsminister Ueli Maurer und sein Vorgänger Samuel Schmid.

Maurer hörte laut dem Bericht allerdings erst davon, als die Aktion bereits abgebrochen war. Die Frage, ob Merz von den Plänen wusste, als er nach Libyen reiste, wird nicht restlos geklärt: Merz erfuhr laut dem Bericht als Bundespräsident von seinem Vorgänger Pascal Couchepin "andeutungsweise", dass eine "Exfiltration" in Vorbereitung war, wusste aber nicht, dass die Armee involviert war.

Keine Rüge für Maurer

Nicht gerügt wird Maurer im Zusammenhang mit dem Verhalten des Verteidigungsattachés in Kairo. Der Attaché schmiedete eigene Pläne für eine Geiselbefreiung. Laut Janiak handelte er dabei "eigenmächtig" und ohne Kenntnis seiner Vorgesetzten. Anders lautende Zeitungsberichte bezeichnete er als "offensichtlich falsch" und als "gezielte Desinformation".

Laut dem GPK-Bericht sprach Maurer zwar mit dem Verteidigungsattaché über dessen Idee, doch wurde diese nicht weiter verfolgt. Maurer gab zu Protokoll, die Pläne seien ihm "etwas abenteurlich" vorgekommen.

Der Attaché hatte zum Kauf eines "Jet-Ski" geraten, um damit die libyschen Territorialgewässer zu verlassen und die weitere Flucht mit einem privaten Boot zu versuchen.

Geheimhaltung sicherstellen

Am schlechtesten weg kommt der Gesamtbundesrat als Regierungsbehörde. Die GPK stellt ihm ein miserables Zeugnis aus. Die Informationsflüsse hätten nicht funktioniert, sagte der Präsident der ständerätlichen GPK, Peter Briner (FDP/SH). Der Bundesrat sei ein Staatsoberhaupt, das aus sieben Personen bestehe. So habe er sich aber nicht verhalten.

"Erschüttert" zeigt sich die GPK schliesslich darüber, dass der Bundesrat nicht in der Lage war, die Geheimhaltung zu gewährleisten. "Angesichts der schweizerischen Enthüllungskultur ist davon auszugehen, dass Wikileaks hierzulande kein Marktpotenzial hat", stellte Briner fest.

Die GPK leitet aus ihrer Untersuchung 14 Empfehlungen ab. Der Bundesrat will bis Ende April Stellung nehmen.

 

 

SDA, 3. Dezember 2010