(sda) Bei der Revision der Strafprozessordnung sind sich die Räte weiterhin nicht einig, ob Beschuldigte an Einvernahmen anderer Beschuldigter teilnehmen dürfen. Nach geltendem Recht dürfen alle Parteien im Verfahren bei allen Beweiserhebungen dabei sein.

In der seit 2011 geltenden Strafprozessordnung werden einzelne Punkte angepasst. Schon kurz nach deren Inkrafttreten wies die Praxis auf Probleme hin, es folgten parlamentarische Vorstösse. Der Bundesrat hat die Anliegen nun in einer Vorlage zusammengefasst.

Faire Verfahren garantieren

Der Bundesrat und auch der Ständerat möchten das Teilnahmerecht von Beschuldigten an Einvernahmen einschränken. Gemeint sind zum Beispiel Einvernahmen von Zeugen oder Personen, die im gleichen Verfahren beschuldigt sind.

Der Nationalrat will aber bei der heutigen Regelung bleiben, um faire Verfahren zu garantieren. Mit 116 zu 70 Stimmen hielt er am Mittwoch daran fest. Die Mehrheit überzeugte der vom Ständerat eingebrachte Vorschlag nicht.

Philipp Matthias Bregy (Mitte/VS) erinnerte an den Grundsatz, dass sich niemand selbst belasten müsse. Dazu gehöre, sich im Verfahren angemessen verteidigen zu können. Das Schweigerecht des Beschuldigten würde mit einer Einschränkung eingeschränkt, gab auch Min Li Marti (SP/ZH) zu bedenken.

Umstrittener Kern der Vorlage

Eine von Andrea Geissbühler (SVP/BE) angeführte Minderheit hätte dem Ständerat folgen wollen. Der Hauptgrund für die Revision der Strafprozessordnung sei just die Einschränkung der Teilnahmerechte gewesen, sagte Geissbühler. Die Einschränkung trage dazu bei, Delikte effizient aufzuklären, etwa in Fällen von Bandenkriminalität.

Justizministerin Karin Keller-Sutter wollte der Minderheit folgen. Gerade unter mehreren beschuldigten Bandenmitgliedern könne es zu Absprachen kommen, gab sie zu bedenken. "Es geht nicht darum, Beschuldigen ihre Rechte zu nehmen." Ein politischer Entscheid sei besser, als die Frage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu überlassen.

Gemäss dem Vorschlag des Ständerats soll die Staatsanwaltschaft eine beschuldigte Person von der Einvernahme weiterer Beschuldigter ausschliessen können. Gelten soll dies, solange die beschuldigte Person ausserhalb des Haftverfahrens nicht einvernommen worden ist.

Diese Regelung ist in den Augen von Keller-Sutter ausgewogen. Der Bundesrat beantragte, dass Beschuldigte bei Beweiserhebungen nicht dabei sein dürfen, bevor sie sich selbst einlässlich geäussert haben.

Vorläufig keine "justice restaurative"

Eine zweite Differenz hat der Nationalrat ausgeräumt: Das Konzept der "justice restaurative", bei dem die Parteien in allen Stadien eines Verfahrens in eine Mediation einwilligen können und aktiv zur Wiedergutmachung beitragen, wird vorläufig nicht Teil der Strafprozessordnung.

Der Nationalrat hat seinen früheren Entscheid korrigiert und ist mit 110 zu 79 Stimmen dem Ständerat gefolgt. In den Augen der SVP ist das Konzept weniger auf die Opfer als auf die Täter ausgerichtet, wie Jean-Luc Addor (VS) sagte. Verziehen werden könne nur, was zuvor in einem Urteil festgestellt worden sei.

Die Diskussion über die "justice restaurative" könne nicht so auf die Schnelle geführt werden, wandte Christian Lüscher (FDP/GE) ein. Vielmehr brauche es eine seriöse Analyse und eine Vernehmlassung.

Eine Minderheit von SP, Grünen und GLP hätte das Konzept in der Vorlage behalten wollen, um so den Zugang zur restaurativen Gerechtigkeit rasch zu ermöglichen. Es gehe um ein Novum im Schweizer Recht, sagte Judith Bellaiche (GLP/ZH). Nicolas Walder (Grüne/GE) sprach von einer Ergänzung der Strafjustiz.

Vor einem Jahr hatte der Nationalrat gegen den Willen des Bundesrats die "justice restaurative" oder restaurative Gerechtigkeit in die Vorlage aufgenommen. Eine Pflicht zur "justice restaurative" hätte es aber nicht geben sollen.

Räte bestellen Gesetzesprojekt

Die Motion für eine separate Vorlage zur "justice restaurative" überwies der Rat mit 120 zu 52 Stimmen, gegen den Willen des Bundesrates. Für einen definitiven Gesetzgebungsauftrag sei es zu früh, sagte Keller-Sutter. "Es gibt noch zahlreiche ungeklärte Fragen." Ein Postulat mit einem Prüfauftrag sei bereits hängig.

Eine Differenz besteht auch noch beim Umgang mit DNA-Profilen. Profile von Beschuldigten sollen nicht nur zur Aufklärung der Delikte erstellt und gespeichert werden dürfen, um derentwillen das Verfahren geführt wird. Sie sollen auch für die Aufklärung früherer Taten verwendet werden können.

Dabei bedarf es laut Beschluss des Ständerates und auch in den Augen des Bundesrates "konkreter Anhaltspunkte". Der Nationalrat dagegen will eine "gewisse Wahrscheinlichkeit" vorschreiben.

Die Vorlage geht wieder an den Ständerat.