Bis 1988 war das Eherecht in der Schweiz ein Hort der Ungleichstellung. Schon 1979 unterstützte das Parlament das Projekt des Bundesrates mit partnerschaftlichen Regeln, doch ein konservatives Komitee ergriff das Referendum dagegen. An der Urne sagte eine Mehrheit der Männer Nein zur Revision, die Frauen aber stimmten zahlreicher ab und sorgten für ein Ja.
Bis in die Achtzigerjahre gab das Schweizer Eherecht klare Rollen vor: Der Mann war das Haupt der Gemeinschaft, die Frau führte den Haushalt. Mit der Heirat verlor die Frau deshalb fundamentale Freiheiten und brauchte für vieles die Zustimmung des Mannes: für die Anschaffung eines Staubsaugers, für die Eröffnung eines Bankkontos, für eine Erwerbsarbeit ausser Haus.
Die Ehe war «rechtlich ein Hort der Ungleichstellung». So drückte es Judith Stamm aus. Die Luzerner CVP-Politikerin und Frauenrechtlerin kam just 1983 in den Nationalrat, als dieser das neue Ehe- und Erbrecht diskutierte. Mit ihrer Meinung war sie in der bürgerlichen CVP keineswegs allein. Auch für ihren Parteikollegen Jost Dillier, Obwaldner Ständerat und Kommissionssprecher, entsprachen die alten Gesetzesartikel nicht mehr
«dem heutigen Verständnis von Rechtsgleichheit, Partnerschaft und Menschenwürde».
«Das Recht von damals ist zum Unrecht von heute geworden», sagte Andreas Gerwig, der Präsident der nationalrätlichen Kommission, im
«CH-Magazin» vom 7. Juni 1983. «Das heutige Eherecht, das für alle fast drei Millionen Ehegatten in der Schweiz gilt, stammt aus dem 19. Jahrhundert, als die Frau praktisch unter der Vormundschaft des Mannes stand.»
Nieder mit historischen Schranken
Der Entwurf des Bundesrates wollte nichts weniger als die rechtliche Gleichstellung von Frau und Mann in der Ehe. Zwei Themen verschob er allerdings auf später: das Heimatrecht und die vertrackte Namensfrage.
Im Nationalrat fand der Entwurf auch
bei der SVP eine Mehrheit. Der Aargauer Theo Fischer erklärte, die Revision werde der veränderten Lebenswirklichkeit gerechter. Damit meinte er: der längeren Lebensdauer, der Erwerbsarbeit vieler Frauen und ihren verschiedenen Lebensphasen – z. B. vor, während und nach der Betreuungsarbeit.
Neu sollten die Eheleute alle Probleme gemeinsam entscheiden. In den Worten des Thurgauer Sozialdemokraten Rolf Weber war das neue Eherecht «der entscheidende Schritt von der Vormundschaft über die Gönnerschaft zur Partnerschaft».
«Das neue Gesetz soll die Rollenverteilung nicht mehr vorschreiben. Es anerkennt die Haushaltführung und Kinderbetreuung als vollwertigen Beitrag an den Familienunterhalt.»
«CH-Magazin» vom 7. Juni 1983
Eine Gesellschaft ohne Väter
Der Ständerat hatte das Geschäft schon 1981 behandelt. Die Zürcher Sozialdemokratin Emilie Lieberherr sprach in der kleinen Kammer noch ganz andere Aspekte an: In der patriarchalischen Ordnung des geltenden Eherechts dürfe auch der Mann nicht ungestraft seine Rolle ändern. Auch führte sie viele Schwierigkeiten mit der Jugend – die Opernhauskrawalle hallten noch nach – auf die «vaterlose Gesellschaft» zurück. «Die Väter verausgaben sich vollumfänglich in der Beschaffung der Existenzmittel und haben oft keine Zeit für die heranwachsenden Kinder.» Deshalb galt es auch die Männer aus ihrem Korsett zu befreien.
Der Richter im Ehebett
Der Ständerat nahm am Entwurf nur kleinere Retuschen vor. Im Nationalrat verlief die Debatte nicht ganz so einmütig. Christoph Blocher von der Zürcher SVP bekämpfte den neuen Ansatz mit einer Minderheit seiner Fraktion vehement: Es sei nicht mehr klar, wer in einer Ehe die Verantwortung trage. Er machte in der Revision
«eine fast panische Angst» vor der bisherigen Führungsstruktur fest und argumentierte, in Zukunft müssten bei Konflikten die Gerichte entscheiden.
Der Nationalrat lehnte jedoch seinen Antrag, auf das Geschäft gar nicht erst einzutreten, deutlich ab. Am Schluss stimmten beide Parlamentskammern der Neuregelung mit überwältigendem Mehr zu.
Die Abstimmungsplakate des Referendumskomitees …
Das rechtsbürgerliche «Komitee gegen ein verfehltes Eherecht» ergriff das Referendum. Sein Hauptargument: Der Richter entscheide über alle unlösbaren Konflikte und liege quasi mit im Ehebett. Für die Pro-Seite hingegen erfüllte das neue Eherecht einen Auftrag der Bundesverfassung. Bei der Verwirklichung der Gleichberechtigung, die seit 1981 in der Verfassung verankert war, gelte es die veränderte Stellung der Frau in allen wichtigen Bereichen zu berücksichtigen: im Erwerbsleben, in der Politik und eben auch in der Familie.
… und der Pro-Seite.
Frauen mobilisieren
Im Kampf um die Volksabstimmung hatte Blocher mehr Erfolg als im Nationalrat: Am 22. September 1985 lehnten 52 Prozent der Männer die Vorlage ab. Nicht so die Frauen, wie die Nachwahlbefragung zeigte: Sie stimmten zu 61 Prozent zu. Ihr Stimmverhalten unterschied sich zum ersten Mal überhaupt so deutlich von jenem der Männer, dass sie einer Vorlage zur Annahme verhalfen, welche die Männer mehrheitlich verwarfen. Der Ja-Stimmen-Anteil betrug 54,7 Prozent.
Das neue Ehe- und Erbrecht trat 1988 in Kraft. Es war ein Vierteljahrhundert vergangen, seit eine Studienkommission des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes vorgeschlagen hatte, die hierarchische Organisation der Ehe aufzuheben.
Kompliziertes Geschäft mit vielen Detailregelungen:
Die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen erläuterte 1991 auf 200 Seiten die juristischen Auswirkungen des neuen Ehe- und Erbrechts.
Links
Mobilisierung, Konfliktlinien, geschlechtsspezifisches Stimmverhalten:
VOX-Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 22. September 1985.
Im «Abstimmungsbüchlein» bewarb der Bundesrat das neue Ehe- und Erbrecht als zeitgemäss und ausgewogen:
– Die Frau darf ihr eigenes Vermögen selbst verwalten und nutzen.
– Bei der Auflösung der Ehe sollen beide die Hälfte dessen erhalten, was der Partner während der Ehe gespart hat.
Geschichte des Schweizer Familienrechts im Historischen Lexikon