Die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrates erachtet das Kollegialsystem, das Konkordanzsystem sowie auch die Stabilität der Regierung als wichtige Werte, die sie nicht mit unbedachten Reformen in Frage stellen will. Sie wendet sich deshalb gegen die Erhöhung der Anzahl der Mitglieder des Bundesrates, gegen die Blockwahl der Regierung, gegen die Einführung eines Amtsenthebungsverfahrens von Mitgliedern des Bundesrates wie auch gegen eine vierjährige Amtspflicht für die Regierungsmitglieder.   

Nach Ansicht der Kommission wäre es kaum möglich, das Kollegialsystem aufrecht zu erhalten, wenn die Anzahl der Mitglieder des Bundesrates auf neun erhöht würde. Sie lehnt deshalb die Initiative des Kantons Tessin (10.321 n Kt.Iv. TI. Anhebung der Bundesratsmitglieder von 7 auf 9) mit 15 zu 9 Stimmen bei einer Enthaltung ab. Ein Kollegium mit neun Mitgliedern wäre nach Ansicht der Kommission schwierig zu führen. Die Regierungsmitglieder würden sich noch mehr als heute primär als Departementsvorsteher oder –vorsteherin sehen. Ebenso ungewiss ist, ob eine grössere Regierung eine breitere Vertretung der verschiedenen Regionen mit sich bringen würde, da bei Bundesratswahlen immer auch noch andere Kriterien als die regionale Herkunft eine grosse Rolle spielen. Die Minderheit verweist auf die geringe Zahl Regierungsmitglieder im internationalen Vergleich und würde die Arbeit gerne auf mehr Schultern verteilen.

Im Weiteren will die Kommission das Wahlrecht des einzelnen Parlamentsmitglieds bei Bundesratswahlen nicht antasten. Sie lehnt deshalb zwei parlamentarische Initiativen, welche eine Blockwahl der Regierung fordern (09. 525 n Pa.Iv. Hiltpold. Eine Regierung, die regiert. Bundesratswahl mit unveränderbaren Listen. 10.412 n Pa.Iv. Fraktion G. Listenwahl des Bundesrates) mit 20 zu 5 bzw. 18 zu 5 Stimmen bei zwei Enthaltungen ab. Wenn die Bundesversammlung nur noch zwischen verschiedenen Listen auswählen kann, kann das einzelne Ratsmitglied nicht mehr die einzelnen Regierungsmitglieder wählen. Die Bundesratswahlen würden auf Absprachen zwischen den Parteispitzen beruhen, die von den Ratsmitgliedern akzeptiert werden müssten. Dies würde letztlich weg vom Konkordanzsystem hin zu einem Konkurrenzsystem führen. Für ein Konkurrenzsystem mit Regierung und Opposition fehlen aber in der Schweiz die Voraussetzungen: Zum heterogen zusammengesetzten Parlament mit ständig wechselnden Mehrheitsverhältnissen gehört ein heterogen zusammengesetzter Bundesrat. Die Minderheit verspricht sich von der Blockwahl eine Regierung, die vermehrt als Team agieren könnte.

Die Einführung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen amtierende Mitglieder des Bundesrates würde nach Ansicht der Kommission eine Destabilisierung der Regierung mit sich bringen. Die SPK lehnt deshalb eine parlamentarische Initiative der Grünen Fraktion (10.413 n Pa.Iv. Fraktion G. Amtsenthebungsverfahren aus schwerwiegenden Gründen gegen ein Mitglied des Bundesrates während der Legislaturperiode) mit 18 zu 3 Stimmen ab. Wenn es dieses Instrument gäbe, würde es laufend aus parteipolitischen Profilierungsgründen Anträge zur Einleitung eines solchen Verfahrens geben, was den politischen Betrieb unnötig belasten und dem Ansehen der Regierung schaden würde.

Anders als der Ständerat ist die Kommission der Ansicht, dass Mitglieder des Bundesrates durchaus während der Legislaturperiode zurücktreten können sollen. Die SPK spricht sich mit 13 zu 5 Stimmen bei einer Enthaltung gegen eine Motion aus, wonach Rücktritte von Bundesratsmitgliedern während der Legislaturperiode die Ausnahme darstellten sollten (10.3135 s Mo. Kein Rücktritt von Mitgliedern des Bundesrates während der Legislaturperiode). Der Ständerat hatte diese von Ständerat Robert Cramer (G, GE) eingereichte Motion am 10. Juni 2010 mit 14 zu 11 Stimmen angenommen. Nach Ansicht der SPK des Nationalrates gehört es zu unserem System, dass die Mitglieder des Bundesrates ihren Rücktritt individuell bestimmen. Es macht keinen Sinn, ein amtsmüdes Mitglied zum Verbleib im Amt bis zum Legislaturende zu zwingen. Es liegt an der Bundesversammlung, Personen in den Bundesrat zu wählen, die sich nicht von ihren Parteien instrumentalisieren lassen und aus parteitaktischen Gründen vorzeitig zurücktreten. Die Kommissionsminderheit ist hingegen der Ansicht, dass ein vom Parlament für vier Jahre gewähltes Regierungsmitglied aus Respekt vor seiner Wahlbehörde die Amtsperiode im Regelfall beenden sollte.

Schliesslich hat die Kommission eine weitere parlamentarische Initiative behandelt, welche sich mit dem Bundesrat befasst: Wie bereits zu Beginn dieses Jahres spricht sich die Kommission dagegen aus, die Amtsdauer von Mitgliedern des Bundesrat auf drei Legislaturen zu beschränken und lehnt eine weitere Initiative mit dieser Forderung (10.411 n Pa.Iv. Fraktion G. Höchstens drei Legislaturen im Bundesrat) mit 13 zu 7 Stimmen bei einer Enthaltung ab. (Vgl. auch Medienmitteilung der SPK vom 15. Januar 2010).

 

Aber auch andere institutionellen Fragen beschäftigten die Kommission:

10.406 n Pa.Iv. Fehr Hans-Jürg. Städte in den Ständerat

Die Städte sollen nicht den Status eines Halbkantons erhalten, wie dies die Initiative von Nationalrat Hans-Jürg Fehr (S, SH) fordert. Mit 17 zu 9 Stimmen beantragt die Kommission, der Initiative keine Folge zu geben. Gemäss Vorschlag des Initianten hätten Städte mit mehr als 100‘000 Einwohnern durch den Status als Hauptkantone u.a. das Recht auf einen Sitz im Ständerat erhalten sollen. Ebenso wären sie als halbe Stimme bei der Berechnung des Ständemehrs zu zählen. Die Kommission ist der Ansicht, dass dadurch das Gleichgewicht des schweizerischen Föderalismus gestört würde. Dieser beruht auf einem dreistufigen Aufbau von den Gemeinden über die Kantone zum Bund. Der direkte Einbezug der Städte in den bundespolitischen Entscheidungsprozess würde neue Ungleichheiten schaffen. So würden neu vier Personen aus dem Kanton Zürich im Ständerat Einsitz nehmen können. Auch das System des heutigen Föderalismus erlaubt es den Städten, ihre speziellen Probleme in den Entscheidungsprozess einzubringen. Die Minderheit weist auf die demographischen Entwicklungen seit dem 19. Jahrhundert hin. In den Städten würden immer mehr Menschen leben, so dass die wichtigsten gesellschaftlichen Probleme in erster Linie hier gelöst werden müssten. 

09.524 n Pa.Iv. Mörgeli. Verbot von Meinungsumfragen zu Wahlen und Abstimmungen für Radio und Fernsehen

Der SRG soll es nicht untersagt werden, vor Wahlen und Abstimmungen Meinungsumfragen zu veröffentlichen. Die Kommission lehnt die entsprechende parlamentarische Initiative von Nationalrat Mörgeli (V, ZH) mit 13 zu 9 Stimmen bei 4 Enthaltungen ab. Insbesondere darf eine solch weitgehende Einschränkung nicht allein nur für die SRG gelten. Die Kommission erachtet es als sinnvoller, generell gesetzliche Rahmenbedingungen für die Veröffentlichung solcher Umfragen zu erlassen. Sie hat deshalb mit 14 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen beschlossen, eine Motion einzureichen, mit welcher der Bundesrat beauftragt werden soll, einen entsprechenden Entwurf vorzulegen.

09.511 n Pa.Iv. Müller Thomas. Mitsprache des Parlamentes bei Verordnungen

Die Kommission hält daran fest, dass das Verordnungsveto ein geeignetes Instrument darstellen würde, mit dem die Bundesversammlung eingreifen könnte, wenn sich der Bundesrat bei der Verordnungsgebung zu weit vom Willen des Gesetzgebers entfernt. Sie beantragt deshalb dem Rat mit 21 zu 0 Stimmen bei drei Enthaltungen, der Initiative von Nationalrat Thomas Müller (CEg, SG) Folge zu geben. Dies nachdem die Ständeratskommission sich mit 6 zu 4 Stimmen gegen das Anliegen ausgesprochen hatte (vgl. Medienmitteilung der SPK-S vom 29. Juni 2010). 

10.424 n Pa. Iv. Fraktion V. Behandlungspriorität für Vorstösse zur Einreichung einer PUK

Mit 16 zu 8 Stimmen stimmt die Kommission einer parlamentarischen Initiative der SVP-Fraktion zu, welche eine schnellere parlamentarische Behandlung von Anträgen für die Einsetzung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) fordert. Zweck einer PUK ist die Untersuchung von „Vorkommnissen von grosser Tragweite“ (Art. 163 ParlG). Die Einsetzung einer PUK wird verlangt, wenn ein grosses öffentliches Interesse und ein starkes Bedürfnis nach rascher Abklärung bestehen. Der Entscheid sollte nicht durch taktische Manöver verzögert werden, wie dies im Frühjahr 2010 geschehen ist. Die Kommissionsminderheit warnt demgegenüber vor zu grosser Hektik. Häufig würden nicht mehrheitsfähige Begehren für die Einsetzung einer PUK zu reinen parteipolitischen Profilierungszwecken gestellt. Ist hingegen in beiden Räten ein genügend starker politischer Wille für die Einsetzung einer PUK vorhanden, so könne eine PUK auch ohne neue Regelung rasch eingesetzt werden.

08.432 Pa.Iv. Die Schweiz muss ihre Kinder anerkennen

Die Kommission hat am 5. November 2009 einen Vorentwurf für eine erleichterte Einbürgerung der dritten Ausländergeneration in die Vernehmlassung geschickt. Nach Auswertung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens und Kenntnisnahme der von einer Subkommission ausgearbeiteten kleineren Anpassungen des Entwurfs hat die Kommission mit 12 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen beschlossen, die weitere Behandlung der Vorlage aufzuschieben, bis dass die vom Bundesrat angekündigte Botschaft für eine Totalrevision des Bürgerrechtsgesetzes vorliegt.

Die Kommission tagte am 9./10. September 2010 unter dem Vorsitz von Nationalrat Yvan Perrin (V, NE).

 
Bern, 10. September 2010 Parlamentsdienste