Für die Session der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PVER) vom 19.-22. April in Strassburg wurden von sämtlichen Fraktionen der Versammlung Dringlichkeitsdebatten zur «Verhaftung und Inhaftierung von Alexej Nawalny» sowie über das «Funktionieren der demokratischen Institutionen in der Türkei» beantragt. Die Schweizer Delegation hat sich an ihrer Vorbereitungssitzung mit den beiden Themen befasst. Mit Besorgnis stellt sie fest, dass sowohl Russland wie auch die Türkei ihre Verpflichtungen gegenüber dem Europarat nicht angemessen respektieren.

​Die Schweizer Delegation bei der PVER hat sich an ihrer Vorbereitungssitzung mit Vertretern des EDA und Experten über aktuelle Entwicklungen in Russland und in der Türkei ausgetauscht. Die Delegation ist besorgt darüber, dass sowohl Russland wie auch die Türkei zunehmend nur noch selektiv ihre Verpflichtungen erfüllen, welche sie mit dem Beitritt zum Europarat eingegangen sind.

Russland weigert sich, der Aufforderung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) nachzukommen, den Regimekritiker Alexej Nawalny unverzüglich freizulassen. Es bestreitet, dass für eine solche Massnahme eine gesetzliche Grundlage bestehe und verwahrt sich gegen die Einmischung des Gerichtshofes in innere Angelegenheiten Russlands. Dies ist nur das letzte und aktuellste Beispiel in einem Verhaltensmuster, welches immer deutlicher eine mangelnde Bereitschaft erkennen lässt, die Regeln des Europarates zu respektieren.

Die Türkei ihrerseits weigert sich, verschiedene Urteile des Europäischen Gerichtshofes umzusetzen, welche die Freilassung von Selahattin Demirtaş (gewählter Parlamentarier, ehemaliger Ko-Präsident der HDP und Präsidentschaftskandidat) sowie von Osman Kavala (Kulturförderer und Unternehmer in der Türkei) verlangen. Äusserst beunruhigend ist ferner der Antrag der türkischen Staatsanwaltschaft, die prokurdische HDP, drittgrösste Partei im türkischen Parlament, für illegal zu erklären und aufzulösen.

Die Schweizer Parlamentarierdelegation hat sich immer dafür engagiert, dass alle Mitglieder des Europarates an einem Tisch bleiben und alle von ihnen mit sämtlichen Rechten, aber auch sämtlichen Pflichten, in allen Organen des Europarates beteiligt und vertreten sein sollen. Sie ist überzeugt davon, dass diese Zusammenarbeit für alle Seiten – und insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger aller Mitgliedstaaten – langfristig von unschätzbarem Wert ist.

Allerdings darf der Europarat dabei nie seine Identität verlieren. Alle Mitglieder müssen sich an die Grundregeln halten, die mit dem Beitritt zu dieser Wertgemeinschaft verbunden sind. Der Respektierung und Umsetzung der Urteile des EGMR kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu. Kein Staat, egal wie gross und mächtig er ist, kann sich erlauben, seine Verpflichtungen gegenüber dem Europarat nur noch selektiv nach eigenem Gutdünken zu erfüllen. Wenn ein solches Verhalten andauert und sich etabliert, dann untergräbt es nicht allein das Fundament und den Sinn der Zusammenarbeit mit den betroffenen Mitgliedern, es schwächt den Europarat insgesamt.

In diesem Sinne appelliert die Schweizer Delegation an die russischen wie auch an die türkischen Behörden, den Aufforderungen des Gerichtshofes Folge zu leisten und die zu Unrecht inhaftierten Personen freizulassen. Die Türkei gehört seit 1950 zum Kreis der frühesten Mitglieder des Europarates. Russland hat sich in den 1990er Jahren redlich und glaubhaft um die Aufnahme und Anerkennung als Mitglied in der europäischen Wertegemeinschaft bemüht. Die Schweizer Delegation zählt darauf, dass beide Mitglieder weiterhin ihren Beitrag zu einem starken und glaubwürdigen Europarat leisten wollen.

Im Übrigen bedauert die Schweizer Delegation, dass die Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauen gegen Gewalt austritt und fordert die türkischen Behörden auf, diesen Entscheid nochmals zu überdenken.

Die Schweizer Delegation traf sich am 14. April 2021 im Parlamentsgebäude in Bern für eine Vorbereitungssitzung im Hinblick auf die kommende Sessionswoche in Strassburg.