Die Immunitätskommission des Nationalrates (IK-N) ist einstimmig auf das Gesuch (21.191) des ausserordentlichen Staatsanwalts des Bundes eingetreten und hat ebenfalls einstimmig entschieden, die Immunität des ehemaligen ausserordentlichen Bundesanwalts Stefan Keller nicht aufzuheben.

Der ausserordentliche Staatsanwalt des Bundes hatte mit Gesuch vom 25. August 2021 die Aufhebung der Immunität des ehemaligen ausserordentlichen Bundesanwalts Stefan Keller beantragt und um die Ermächtigung zur Durchführung eines Strafverfahrens wegen Verdacht auf Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320 StGB) ersucht.

Der ehemalige ausserordentliche Bundesanwalt wird verdächtigt, im Rahmen des über ihn erschienenen Artikels in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift «Plädoyer» den Gegenstand und damit den Inhalt des nicht öffentlichen und zu jenem Zeitpunkt noch hängigen Beschwerdeverfahrens BB.2020.245 preisgegeben zu haben, obwohl er als Geheimnisträger zu dessen Geheimhaltung verpflichtet gewesen wäre und zu dessen Offenbarung als nicht zuständiger Geheimnisherr nicht befugt war.

Die Kommission hat Stefan Keller angehört. Er macht geltend, dass die beanstandeten Äusserungen keine Verletzung des Amtsgeheimnisses darstellen. Er habe lediglich davon gesprochen, dass vor dem Bundesstrafgericht Verfahren laufen, aber kein Verfahren im Einzelnen erwähnt. Das Bestehen eines Verfahrens sei keine geheime Information, da diese Information insbesondere den Medien zugänglich sei. Er habe nie die Absicht gehabt, das Amtsgeheimnis zu verletzen, sondern habe dieses vielmehr schützen wollen, indem er die Zusammensetzung seines Rechtsteams geheim halten wollte.

In einem ersten Schritt hat die Kommission den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der amtlichen Stellung und Tätigkeit des ehemaligen ausserordentlichen Bundesanwalts Stefan Keller und der ihm vorgeworfenen Handlungen bejaht und einstimmig entschieden, auf das Gesuch des ausserordentlichen Staatsanwalts des Bundes einzutreten. Die Kommission hält fest, dass der Schutz der relativen Immunität auch für strafbare Handlungen gilt, welche während der Amtszeit begangen worden sind, selbst wenn die Person zum Zeitpunkt der Strafverfolgung aus dem Amt ausgeschieden ist.

In einem zweiten Schritt hat die Kommission eine Interessenabwägung zwischen den institutionellen Interessen (öffentliches Interesse an der Ausübung und Funktionsfähigkeit des Mandats eines ausserordentlichen Bundesanwalts) und dem rechtsstaatlichen Interesse an einer Strafverfolgung vorgenommen. Die Kommission ist zum Schluss gekommen, dass eine Aufhebung der Immunität nicht angezeigt ist.

Auch in ihren Augen stellt das Bestehen von Verfahren vor dem Bundesstrafgericht allein keine geschützte Information dar, weshalb auch keine Verletzung des Amtsgeheimnisses vorliegt. Selbst wenn man zum Schluss käme, dass eine Amtsgeheimnisverletzung vorliegt, wäre diese so geringfügig, dass sie keine Aufhebung der Immunität rechtfertigen würde.

Am 20. September 2021 wird die Rechtskommission als zuständige Kommission des Ständerates das Gesuch behandeln. Bei gleichlautendem Beschluss der ständerätlichen Kommission ist der Schutz der Immunität des ehemaligen ausserordentlichen Bundesanwalts Stefan Keller definitiv und die Einleitung eines Strafverfahrens durch den ausserordentlichen Staatsanwalt des Bundes nicht möglich. Sollte die Kommission des Ständerates einen abweichenden Beschluss fällen, würde das Geschäft zur Differenzbereinigung an die Immunitätskommission des Nationalrates zurückgehen.