Die 145. Versammlung der Interparlamentarischen Union (IPU) fand auf Einladung des ruandischen Parlaments vom Dienstag, 11. Oktober, bis zum Samstag, 15. Oktober 2022, in Kigali (Ruanda) statt. Das ursprünglich für Oktober 2020 anberaumte Treffen, an welchem über 1000 Parlamentarierinnen und Parlamentarier teilnahmen, musste aufgrund der weltweiten Gesundheitslage zweimal verschoben werden.

Die Konferenz, welche unter dem Thema «gendersensible Parlamente» stand, war insbesondere der Gleichstellung der Geschlechter gewidmet. Aufgrund der geopolitischen Lage stand auch der Ukrainekrieg auf dem Programm. Die ukrainische und die russische Delegation nahmen an der Versammlung ebenfalls teil.

Dringlichkeitsdebatte:

Wie in der IPU üblich, standen zwei Anträge auf eine Dringlichkeitsdebatte in Konkurrenz zueinander: die Schaffung eines Finanzierungsfonds zur Unterstützung der Länder, die vom Klimawandel besonders betroffen sind (Pakistan), und die Verurteilung der Annexion ukrainischer Gebiete durch Russland (Chile). Nach einer effizienten Mobilisierung der geopolitischen Gruppe der Zwölf Plus (47 Parlamente, darunter auch das Schweizer Parlament) und derjenigen Lateinamerikas (GRULAC, 25 Parlamente) wurde in einer knappen Abstimmung eine dringliche Resolution verabschiedet, in welcher die Invasion der Ukraine und die anschliessende Annexion von Gebieten im Namen der Verteidigung der territorialen Integrität aller Staaten verurteilt wird. In dieser Resolution werden die schweren Verstösse gegen die Menschenwürde und die eklatanten Menschenrechtsverletzungen verurteilt, die von Russland in den Regionen Kyjiw, Charkiw, Sumy und Tschernihiw begangen wurden. Zudem bekräftigt die Resolution angesichts der russischen Annexion, wie wichtig es ist, dass die Souveränität und die territoriale Integrität aller Staaten geachtet werden.

Versammlung:

Die IPU-Arbeitsgruppe für die friedliche Lösung des Ukrainekonflikts präsentierte ihren Bericht über ihren Besuch in Moskau und Kyjiw (Juli 2022). Diese Gruppe geht auf die Verabschiedung der dringlichen Resolution zur friedlichen Lösung des Ukrainekonflikts unter Wahrung des Völkerrechts, der Charta der Vereinten Nationen und der territorialen Integrität (144. Versammlung der IPU in Nusa Dua) zurück, in welcher unter anderem die Schaffung einer Arbeitsgruppe gefordert wurde, um die Parlamente bei der Formulierung praktikabler friedlicher Lösungen zu unterstützen.

Bei ihrem Besuch in der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation wurde die Arbeitsgruppe «im Detail» (sic) über die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine sowie über die russische Sicht auf den aktuellen Krieg informiert. In den Schlussfolgerungen des Berichts werden die Parlamente ermutigt, die individuellen Gespräche mit den Parlamentsmitgliedern aus der Russischen Föderation und der Ukraine fortzusetzen, vorzugsweise an einem neutralen Ort wie dem Sitz der IPU.

Die ständige Kommission für Demokratie und Menschenrechte verabschiedete eine Resolution zur Bekämpfung von Menschenhandel und Menschenrechtsverletzungen – auch durch Staaten. Der im Resolutionsentwurf enthaltene Begriff «grossangelegter Angriff» (in Bezug auf Russland) sorgte für Kritik und führte zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Berichterstattern. Bei der Eröffnung der Sitzung versuchte Senator Kosatschew (Russische Föderation) vergeblich, den umstrittenen Begriff «grossangelegt» sowie Abschnitt 5 der Präambel (der in der Endfassung zu Abschnitt 9 wurde) aus dem Entwurf streichen zu lassen (der Wortlaut dieses Abschnitts findet sich in der Endfassung der Resolution, die nur auf Englisch und Französisch vorliegt).

Der Cremer-Passy-Preis, mit dem Parlamentarierinnen und Parlamentarier gewürdigt werden, die durch ihr aussergewöhnliches Handeln zu einer solidarischeren, gerechteren, sichereren, nachhaltigeren und faireren Zukunft beigetragen haben, wurde 2022 zum ersten Mal verliehen. Er ging an alle Mitglieder der Werchowna Rada der Ukraine sowie an Cynthia López Castro (Mexiko).

In der Generaldebatte ergriff Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle das Wort und wies darauf hin, dass in Bezug auf die Emanzipation der Frauen noch nichts definitiv errungen ist und es sich dabei um einen der grössten Kämpfe des 20. Jahrhunderts handelt.

Wahlen:

In Kigali wurde Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle ins Komitee für Nahostfragen gewählt. Sie folgt auf ihren Nationalratskollegen Laurent Wehrli. Dieser ist neu Mitglied der Zypern-Vermittlungsgruppe. Die beiden Mandate laufen bis Oktober 2026.

Zwölf Plus:

Der belgische Senator Andries Gryffoy wurde für den Zeitraum von Oktober 2022 bis Oktober 2024 zum Präsidenten der geopolitischen Gruppe Zwölf Plus gewählt. Er ist Nachfolger von Arda Gerkens (Niederlande).

Schweizer Delegation:

Die Schweizer Delegation setzte sich aus folgenden Ratsmitgliedern zusammen:

  1. Ständerat Daniel Jositsch (SP, ZH), Delegationspräsident;
  2. Nationalrat Thomas Hurter (SVP, SH) Vizepräsident der Delegation;
  3. Nationalrätin Christine Badertscher (Grüne, BE);
  4. Ständerat Andrea Caroni (FDP, AR);
  5. Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle (SP, GE);
  6. Nationalrat Laurent Wehrli (FDP, VD).

Die Delegation nutzte die Versammlung in Kigali auch dazu, sich mit anderen nationalen Delegationen (aus Österreich und der Ukraine) auszutauschen und sich über die Arbeit des Kooperationsbüros der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in Kigali zu informieren. Ihr wurden von der DEZA unterstützte Projekte – insbesondere im Zusammenhang mit der dualen Ausbildung – präsentiert.

 Eröffnungszeremonie im Beisein des ruandischen Staatschefs Paul KagameEröffnungszeremonie im Beisein des ruandischen Staatschefs Paul Kagame

Laurent Wehrli, Ad-interim-Präsident der ständigen Kommission für Angelegenheiten der Vereinten NationenLaurent Wehrli, Ad-interim-Präsident der ständigen Kommission für Angelegenheiten der Vereinten Nationen

Die Mitglieder der Schweizer Delegation an der Sitzung der geopolitischen Gruppe der Zwölf Plus in Kigali
Die Mitglieder der Schweizer Delegation an der Sitzung der geopolitischen Gruppe der Zwölf Plus in Kigali

Laurence Fehlmann Rielle während der Generaldebatte
Laurence Fehlmann Rielle während der Generaldebatte

Laurence Fehlmann Rielle und Christine Badertscher bei der Verteidigung der Änderungsanträge an der Plenarsitzung der ständigen
Laurence Fehlmann Rielle und Christine Badertscher bei der Verteidigung der Änderungsanträge an der Plenarsitzung der ständigen

Delegationspräsident Daniel Jositsch an der Sondersitzung über die Kontrolle der Umsetzung der IPU-Beschlüsse
Delegationspräsident Daniel Jositsch an der Sondersitzung über die Kontrolle der Umsetzung der IPU-Beschlüsse

Treffen der Schweizer und der ukrainischen Delegation in Kigali
Treffen der Schweizer und der ukrainischen Delegation in Kigali

Übergabe des Cramer-Passy-Preises 2022 an die ukrainische DelegationÜbergabe des Cramer-Passy-Preises 2022 an die ukrainische Delegation