Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) beantragt ihrem Rat mit 14 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung, nicht auf die Vorlage zum kollektiven Rechtsschutz (21.082) einzutreten.

Die RK-N hat sich in den vergangenen zwei Jahren an insgesamt fünf Sitzungen ausführlich mit der Vorlage des Bundesrates zur Einführung von Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes im Zivilprozess befasst und dabei diverse Zusatzabklärungen veranlasst. Neben einer Regulierungsfolgeabschätzung und einer rechtsvergleichenden Studie hat sie auch die möglichen Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte i.S. Verein KlimaSeniorinnen prüfen lassen. Sie hat zunächst zur Kenntnis genommen, dass die Verwaltung davon ausgeht, dass das Urteil für das Schweizer Privatrecht keine unmittelbaren Folgen haben wird (Notiz der Verwaltung). In einer Gesamtschau kommt die Kommission dennoch zum Schluss, dass die vorgesehenen Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes nicht zum Schweizer Rechtssystem passen. Vielmehr birgt die Vorlage in den Augen der Kommissionsmehrheit das Risiko einer «Amerikanisierung» des Rechtssystems. Es wird erwartet, dass kommerziell ausgerichtete Anwaltskanzleien und Organisationen zur Prozessfinanzierung sich auf die Einreichung von Klagen spezialisieren könnten, die der Wirtschaft insgesamt erheblichen Schaden zufügen. Eine Minderheit der Kommission bedauert, dass die Kommission sich nicht auf die inhaltliche Diskussion der Vorlage eingelassen hat. Sie sieht weiterhin grossen Handlungsbedarf und kritisiert insbesondere, dass Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten künftig deutlich weniger Rechte haben werden als ihre europäischen Nachbarn.

Differenzbereinigung BEKJ

Die Kommission hat sich im Rahmen der Differenzbereinigung mit dem Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz (23.022) befasst. Die Kommission hat sich nochmals vertieft mit der Frage der Nichterreichbarkeit der Plattform auseinandergesetzt. Sie schliesst sich mit einigen Präzisierungen im Grundsatz der Lösung des Ständerates an, wonach Anwältinnen und Anwälte am letzten Tag, an dem eine Frist abläuft im Notfall ihre Rechtsschrift ausdrucken und bei der Post physisch einreichen können, ohne dass sie die Nichterreichbarkeit der Plattform glaubhaft machen müssen. Die Eingabe ist anschliessend auf elektronischem Wege innert einer angesetzten angemessenen Frist nachzuholen. Die Kommission hat sich zudem für eine Kompromisslösung bei den Übergangsbestimmungen ausgesprochen, wonach das Datum, ab dem die Verfahren über eine Plattform nach dem BEKJ abgewickelt werden von den Kantonen so festgelegt wird, dass es vor Ablauf von fünf Jahren nach Inkrafttreten der abschliessenden Inkraftsetzung liegt, frühestens aber ein Jahr nach diesem Zeitpunkt. Im Gegensatz zum Beschluss des Ständerates ist die Kommission der Ansicht, dass die Plattformen keine Metadaten aus den eingereichten Dokumenten entfernen sollten und Anwälte generell mit einer Adresse auf der Plattform eingetragen sein müssen. Der Nationalrat wird voraussichtlich in der kommenden Wintersession die verbleibenden Differenzen beraten.

Einführung der gerichtlichen Verfügung zum Schutz von Grundstückbesitzern beschlossen

Nachdem die Kommission auf das Geschäft des Bundesrates eingetreten war, das Änderungen von ZGB und ZPO zum Schutz vor verbotener Eigenmacht an Grundstücken vorsieht (23.085), hat sie in ihrer heutigen Sitzung die Detailberatung durchgeführt. Dabei hat sie im Wesentlichen dem Modell des Bundesrates zugestimmt, nach welchem die Betroffenen bei einer Störung ihres Besitzes durch einen Dritten, insbesondere durch Hausbesetzer, auf das neue Instrument der gerichtlichen Verfügung zurückgreifen können. Um eine effektivere und schnellere Abhilfe für die Besitzer sicherzustellen, hat die Kommission entschieden, dass die Gerichte diese Verfügung auch für vorläufig vollstreckbar erklären können. Sie hat den Entwurf in der Gesamtabstimmung mit 16 zu 9 Stimmen angenommen. Dieser wird voraussichtlich in der Wintersession vom Nationalrat beraten.

Modernisierung des Schuldbetreibung- und Konkurswesens

Die Kommission ist oppositionslos auf die Vorlage des Bundesrates zur Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (24.065) eingetreten. Der Bundesrat sieht drei Hauptanpassungen vor: (1) Das Betreibungsamt soll künftig den Wohnsitz der betroffenen Person überprüfen und auf der Auskunft vermerken müssen; (2) die Zustellung soll in bestimmten Fällen standardmässig elektronisch erfolgen und es soll ein Anspruch des Empfängers auf elektronische Zustellung geschaffen werden; (3) die Versteigerung über Online-Plattformen von Vermögenswerten soll im Gesetz geregelt werden. Mit diesen Anpassungen werden unter anderem drei Motionen umgesetzt (16.3335, 19.3694, 20.4035). Die Kommission unterstützt diese punktuellen Digitalisierungs- und Modernisierungsvorhaben im Schuldbetreibungs- und Konkurswesen grundsätzlich. Mit den Details wird sie sich an ihrer nächsten Sitzung befassen.

Weitere Geschäfte:

  • Die Kommission hat sich mit den Beschlüssen des Ständerats zum Bundesgesetz über den elektronischen Identitätsnachweis und andere elektronische Nachweise (23.073) auseinandergesetzt. Sie beantragt mit Ausnahme von einigen technischen Präzisierungen ihrem Rat, grossmehrheitlich dem Ständerat zu folgen.
  • Die Kommission hat mit der Beratung der Motion Rieder 23.4531 «Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen» begonnen. Sie wird an ihrer nächsten Sitzung entscheiden, welchen Antrag sie ihrem Rat für die Wintersession stellen wird.

Die Kommission tagte am 17./18. Oktober 2024 unter dem Vorsitz von Nationalrat Vincent Maitre (M-E GE) in Bern.