Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) hat Experten angehört zur Frage, wie unnötige Untersuchungen und Behandlungen in Spitälern und Arztpraxen vermieden werden könnten. Sie beschloss zudem eine Kommissionsinitiative zur kantonalen Steuerung der Zulassung von Ärztinnen und Ärzten sowie zur Stärkung der Vertragsautonomie.

​Unabhängig von der Tagesaktualität nahm sich die Kommission Zeit, um zu analysieren, wie sich die medizinische Überversorgung verringern liesse. Sie hörte dazu den Direktor des Instituts für Hausarztmedizin der Universität Bern, Professor Nicolas Rodondi, und den Präsidenten der Leitungsgruppe des Nationalen Forschungsprogramms NFP 74 «Gesundheitsversorgung», Professor Milo Puhan, an. Ein erster Schritt seien die Top-5-Listen von Interventionen, die in der ambulanten und stationären Medizin zu vermeiden seien. Diese Listen genügten jedoch nicht, um die Überversorgung erfolgreich zu vermindern, erläuterte Rodondi. Grundlagen für eine wirksame und kosteneffiziente Versorgung sollen 29 Projekte liefern, die im NFP 74 gefördert werden. Im Zentrum stehen die drei Fragen, wie chronisch kranke Menschen besser versorgt, falsche oder unnötige Behandlungen – oder die Nicht-Inanspruchnahme von wirksamen Behandlungen – vermieden und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Berufsgruppen gestärkt werden können.

Günstig beeinflusst wird die Über- und Unterversorgung durch die Qualitätsentwicklung. Zur Vorlage KVG. Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit (15.083 s) hörte die Kommission Vertretungen von Leistungserbringern und von Organisationen an, die bereits in der Qualitätsentwicklung im Gesundheitswesen tätig sind. Sie wird ihre Beratung nach der Sommersession weiterführen.

Was Alternativen zur heutigen Steuerung der Zulassung von Ärztinnen und Ärzten (Po. SGK-SR; 16.3000) betrifft, zeigte sich die Kommission unzufrieden, dass der Bundesrat grundsätzlich die geltende Zulassungssteuerung weiterführen und das System lediglich verfeinern will. Mit 15 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung beschloss sie eine Kommissionsinitiative «Kantonale Steuerung der Zulassung und Stärkung der Vertragsautonomie» (17.442). Demnach sollen die Kantone für die Sicherstellung der Versorgung im ambulanten Bereich eine Bandbreite an Leistungserbringern (Mindest- und Höchstzahlen) festlegen. Die Leistungserbringer können nur zu Lasten der Grundversicherung tätig sein, wenn sie mit einem Versicherer einen Zulassungsvertrag abschliessen oder in einem integrierten Versorgungsnetz tätig sind. Zur Initiative wird als Nächstes die Schwesterkommission des Ständerates Stellung nehmen.

Gegen eine Einschränkung der Forschung zu Betäubungsmitteln

Die Kommission hat die Pa. Iv. Herzog. Die Ausnahmen für die wissenschaftliche Forschung im Betäubungsmittelgesetz konkretisieren (16.431 n) vorgeprüft. Diese verlangt, dass nur noch Ausnahmebewilligungen im Rahmen des Betäubungsmittelgesetzes erteilt werden können, wenn es sich um naturwissenschaftliche oder klinisch-medizinische Projekte handelt. Sozialwissenschaftliche oder ökonomische Studien zum regulierten Cannabisverkauf, wie sie derzeit beispielsweise die Städte Bern und Zürich oder die Kantone Genf und Basel-Stadt vorsehen, wären nicht mehr möglich. Die Kommission spricht sich gegen eine Einschränkung der Forschung zu Betäubungsmitteln aus, da sie auch die Erkenntnisse aus den sozialwissenschaftlichen und ökonomischen Bereichen als gewinnbringend erachtet. Sie beantragt mit 15 zu 9 Stimmen, der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben.

Die SGK-NR gibt der parlamentarischen Initiative 16.417 Müller-Altermatt «Ausbildungszulagen ab dem Beginn der Ausbildung statt aufgrund des Geburtstages ausrichten» mit 20 zu 2 Stimmen Folge. Mit der Initiative wird gefordert, dass Ausbildungszulagen auch bereits an Jugendliche ausgerichtet werden, welche ihre Ausbildung vor dem 16. Geburtstag beginnen. Bisher erhalten diese Personen lediglich die tieferen Kinderzulagen.

Mit 13 zu 5 Stimmen bei 1 Enthaltung hat die Kommission der Pa.Iv. Humbel. Wettbewerbspreise bei Medizinalprodukten der Mittel- und Gegenständeliste (16.419 n) Folge gegeben. Die freie Preisaushandlung zwischen den Leistungserbringern respektive den Herstellern und den Versicherern soll eine effizientere Alternative zum heutigen System der Höchstpreisvergütung schaffen.

Des Weiteren gibt die Kommission der parlamentarischen Initiative 16.418 Humbel «Stärkung des Vertragsprimats im KVG» mit 12 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung Folge. Sie will damit erreichen, dass Tarifverträge zwischen Versicherern und Leistungserbringern nicht mehr der Genehmigung, sondern nur noch der Kenntnisnahme der zuständigen Behörden bedürfen.

Die Kommission lehnt mit 16 zu 4 Stimmen bei 2 Enthaltungen den Beschluss ihrer Schwesterkommission ab, der parlamentarischen Initiative 16.439 Kuprecht «Stärkung der Kantonsautonomie bei den regionalen Stiftungsaufsichten über das BVG» Folge zu geben. Sie hat in diesem Zusammenhang Vertreter der Ostschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht sowie der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) angehört. Die Kommission ist der Ansicht, dass die Unabhängigkeit der Aufsichtsorgane gewährleistet bleiben und mögliche Interessenkonflikte vermieden werden sollen. Sie verweist zudem auf das laufende Vernehmlassungsverfahren zur «Modernisierung der Aufsicht in der 1. Säule und Optimierung in der 2. Säule». Dort schlägt der Bundesrat in seinem Erlassentwurf den Ausschluss von kantonalen Regierungsmitgliedern aus den entsprechenden Aufsichtsgremien vor.

Die Kommission tagte am 11./12. Mai 2017 in Bern unter der Leitung von Ignazio Cassis (FDP-Liberale, TI) und Thomas de Courten (SVP, BL).