Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) will den Kapitalbezug von Pensionskassenguthaben im obligatorischen Teil auf die Hälfte beschränken, aber nicht verbieten. Dies beantragt sie im Rahmen der Reform der Ergänzungsleistungen (EL). Sie schloss zudem die Beratung der Vorlage über die Observation der Versicherten ab und trat auf die Weiterentwicklung der IV ein.

​Mit 17 zu 2 Stimmen bei 5 Enthaltungen nahm die Kommission die EL-Reform (16.065 s) in der Gesamtabstimmung an. Am Ende der Detailberatung beschloss sie insbesondere noch folgende Anträge:

  • Das obligatorisch angesparte Pensionskassenguthaben kann höchstens zur Hälfte als Kapital bezogen werden, während die andere Hälfte in eine Rente umgewandelt wird (13 zu 12 Stimmen; Art. 37 BVG). Mit diesem Kompromissantrag soll das Risiko vermindert werden, dass Rentner schon nach kurzer Zeit EL benötigen. Eine Minderheit will den Kapitalbezug wie bisher zulassen mit dem Argument, den Pensionierten sei ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Kapital zuzutrauen. Eine andere Minderheit will wie Bundesrat und Ständerat den Kapitalbezug im obligatorischen Teil ganz verbieten, um die Altersvorsorge zu sichern. Was den Vorbezug von Kapital für die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit betrifft, folgte die Kommission dem Ständerat (13 zu 10 Stimmen, Art. 5 FZG). Die Kommission beschloss zudem den Grundsatz, dass die EL-Rente von Personen, die Kapital beziehen und dieses bis zum EL-Bezug vollständig oder teilweise aufbrauchen, um 10 Prozent gekürzt wird (15 zu 9 Stimmen; Art. 9 Abs. 1ter und 1quater ELG)
  • Ältere Arbeitslose können ihr Pensionskassenguthaben in der Vorsorgeeinrichtung des bisherigen Arbeitgebers belassen und später eine Rente beziehen (17 zu 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen; Art. 47a BVG).
  • Mit dem Ziel, einer unerwünschten Einwanderung ins schweizerische Sozialsystem vorzubeugen, wird eine Mindestwohnsitzdauer (Karenzfrist) von zehn Jahren eingeführt (15 zu 8 Stimmen bei 2 Enthaltungen; Art. 4 und 5 ELG). Ein Wohnsitz in der EU wird aufgrund des Personenfreizügigkeitsabkommens an diese Frist angerechnet.
  • Wer eine IV-Rente oder eine Hinterlassenenrente erhält und ohne wichtigen Grund mehr als zehn Prozent seines Vermögens pro Jahr verbraucht, erhält entsprechend weniger EL. Bei AHV-Rentnerinnen und –Rentnern wird ein Vermögensverzehr in den letzten zehn Jahren vor der Pensionierung nach den gleichen Regeln angerechnet. Bei Vermögen unter 100'000 Franken liegt die Grenze bei 10'000 Franken pro Jahr (18 zu 7 Stimmen; Art. 11a ELG).
  • Der Bund zahlt den Kantonen für die Verbilligung der Krankenkassenprämien noch 7,3 statt 7,5 Prozent der gesamten Kosten der Grundversicherung. Dies sei für die Kantone zu verkraften, da sie dank der EL-Reform wesentlich mehr sparten, wurde in der Kommission argumentiert (Stichentscheid des Präsidenten; Art. 66 KVG).

Der Nationalrat berät die EL-Reform, zu der insgesamt 32 Minderheitsanträge eingereicht wurden, in der bevorstehenden Frühjahrssession.

Mit 11 zu 7 Stimmen bei 4 Enthaltungen beschloss die Kommission weiter eine Motion, mit welcher der Bundesrat beauftragt werden soll, Missbrauch bei den EL systematischer anzugehen. Im Visier ist dabei insbesondere nicht deklariertes Vermögen in Form von Immobilien im Ausland.

Observation von Versicherten

Bei der abschliessenden Beratung zur Vorlage Pa. Iv. «Gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten» (SGK-SR; 16.479 s) kam die Kommission auf ihren Entscheid zurück, dass eine Observation unabhängig von den eingesetzten Instrumenten in jedem Fall von einer Richterin oder einem Richter des kantonalen Versicherungsgerichts genehmigt werden muss. Mit 14 zu 9 Stimmen bei 1 Enthaltung beantragt sie nun wie der Ständerat, einzig für den Einsatz von technischen Instrumenten zur Standortbestimmung (GPS-Tracker) eine richterliche Genehmigung vorzusehen (Art. 43a Abs. 1 Bst. c). Dies auch vor dem Hintergrund, dass gemäss Auskunft des Bundesamtes für Justiz bereits diese Lösung eine zentrale Voraussetzung für die Verwertbarkeit von erhobenen Beweisen in einem allfälligen Strafverfahren schafft. Im Weiteren präzisierte die Kommission das Verfahren und die Modalitäten für die richterliche Genehmigung des Einsatzes von GPS-Trackern (16 zu 9 Stimmen; Art. 43b). In den übrigen Punkten folgte sie dem Ständerat.
Die Vorlage wurde in der Gesamtabstimmung mit 18 zu 7 Stimmen angenommen und wird in der Frühjahrssession im Nationalrat behandelt.

Invalidenversicherung

Ohne Gegenstimme trat die Kommission auf die Weiterentwicklung der IV (17.022 n) ein. Die bundesrätliche Vorlage betrifft insbesondere Kinder, Jugendliche und psychisch erkrankte Versicherte. Bei den Kindern soll die veraltete Liste der Geburtsgebrechen aktualisiert werden. Jugendliche und junge psychisch Erkrankte sollen an den Übergängen zwischen Schule, Ausbildung und Berufsleben besser unterstützt werden. Für psychisch erkrankte Erwachsene sollen die Eingliederungsmassnahmen flexibilisiert sowie die kontinuierliche Begleitung verstärkt werden. Vor der Eintretensdebatte hörte die Kommission Vertretungen der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren sowie der Dachverbände der Sozialpartner, der Ärztinnen und Ärzte, der Behindertenorganisationen und der IV-Stellen sowie einen Experten an. Die Kommission schuf auch die Voraussetzungen, damit die seit der IV-Revision 6b in der SGK-NR hängigen Bestimmungen zu den Kinderrenten und den Reisekosten in der Detailberatung zur Weiterentwicklung der IV beraten werden können.

Qualität im Gesundheitswesen

Die Kommission führte die Detailberatung über die Vorlage KVG. Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit (15.083 s) weiter. Sie beantragt ohne Gegenstimme, dass der Bundesrat zur Realisierung seiner Ziele zur Qualitätsentwicklung eine eidgenössische Qualitätskommission einsetzt. Darin sollen die Kantone, die Leistungserbringer, die Versicherer, die Versicherten und weitere Fachleute Einsitz nehmen. Die Qualitätskommission soll Behörden, Leistungserbringer und Versicherer beraten. Weiter kann sie unter anderem Dritte beauftragen, Qualitätsindikatoren zu entwickeln. Zur Finanzierung der Kosten der Qualitätskommission beantragt die SGK-NR mit 15 zu 8 Stimmen bei 1 Enthaltung, dass diese je zur Hälfte vom Bund und von den Kantonen getragen werden. Schliesslich schlägt die Kommission Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzung der Anforderungen bezüglich Wirtschaftlichkeit und Qualitätsanforderungen durch Leistungserbringer vor. In diesem Zusammenhang beantragt sie mit 13 zu 0 Stimmen bei 9 Enthaltungen, dass die finanziellen Mittel, die aus Bussen und Sanktionen stammen, vom Bundesrat für Qualitätsmassnahmen verwendet werden. Sie wird die Beratung zu dieser Vorlage nach der Frühjahrssession fortsetzen.

Kommission will Reformen in der Altersvorsorge vorantreiben

Nach einer Aussprache mit Bundespräsident Alain Berset über den Zeitplan für die Neuauflage der Reform der Altersvorsorge sprach sich die Kommission dafür aus, die Arbeit im Hinblick auf weiterführende Reformen voranzutreiben. Sie beantragt ihrem Rat, folgenden Initiativen Folge zu geben: der Pa.Iv. Markwalder. Teilzeitbeschäftigte. BVG-Leistungen statt Sozialhilfe (11.482) mit 25 zu 0 Stimmen, der Pa.Iv. (Bortoluzzi) de Courten. Herauslösung der technischen Parameter aus dem BVG (12.414) mit 14 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen und der Pa.Iv. Neirynck. Unbeschränkter Aufschub des AHV-Rentenbezugs (12.491) mit 18 zu 0 Stimmen bei 7 Enthaltungen.

Die Kommission beantragt ausserdem ohne Gegenstimme die Ablehnung der Mo. Ständerat (WAK-SR) Abbau von Handelshemmnissen bei Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen. In der EU zulässige Health Claims sollen auch in der Schweiz möglich sein (17.3622).

Die Kommission tagte am 21., 22. und 23. Februar 2018 in Bern unter Leitung von Thomas de Courten (SVP, BL) und teilweise in Anwesenheit von Bundespräsident Alain Berset.