Eignen sich mehrere Medikamente gleich gut für eine Patientin oder einen Patienten, sollen die Apotheken und selbstdispensierenden Ärzte das preisgünstigste Arzneimittel abgeben müssen. Dies beantragt die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) im Rahmen ihrer Beratungen über kostendämpfende Massnahmen im Gesundheitswesen.

Nachdem der Nationalrat in der Sommersession 2020 das Paket 1a der Massnahmen zur Kostendämpfung in der Krankenversicherung (19.046) verabschiedet hatte, nahm die Kommission die Beratung des Pakets 1b auf. Dieses umfasst drei Vorschläge des Bundesrates: Massnahmen zur Steuerung der Kosten durch die Tarifpartner, ein Referenzpreissystem für Arzneimittel und ein Beschwerderecht der Versicherer gegen die Spitalplanung der Kantone. Die Kommission nahm zwei Anträge an mit dem Ziel, die Ausgaben für Medikamente zu senken. Erstens sollen die Apothekerinnen und Apotheker sowie die selbstdispensierenden Ärztinnen und Ärzte verpflichtet werden, das preisgünstigste Medikament abzugeben, wenn mehrere medizinisch gleich geeignete Arzneimittel mit gleicher Wirkstoffzusammensetzung von der Krankenversicherung übernommen werden. Wünscht die Patientin oder der Patient ausdrücklich ein teureres Präparat, muss sie oder er die Differenz selber zahlen (Art. 52a Abs. 1 KVG; mit 14 zu 11 Stimmen). Zweitens soll der Vertriebsanteil für austauschbare Medikamente fix sein und sich am günstigen Produkt orientieren (Art. 52a Abs. 1bis KVG; mit 21 zu 4 Stimmen).
Nach eingehender Diskussion schob die Kommission den Entscheid über die Massnahmen zur Steuerung der Kosten durch die Tarifpartner auf, bis voraussichtlich Ende August die Vernehmlassungsvorlage des Bundesrates zum Kostendämpfungspaket 2 vorliegt. Zum Referenzpreissystem beauftragte sie die Verwaltung mit weiteren Abklärungen.

Härtefall-Lösungen für Selbstständigerwerbende im Zusammenhang mit Covid-19

Die SGK-N ersucht den Bundesrat mit einem Schreiben, noch vor der Sommerpause bei der Kurzarbeitsentschädigung und beim Erwerbsersatz Härtefall-Lösungen für Selbständigerwerbende im Zusammenhang mit Covid-19 zu finden. Diese Lösungen sollen bis zur ausserordentlichen Session gelten, die für die Beratung der Motionen 20.3466 «Kurzarbeitsentschädigung weiterführen» und 20.3467 «Erwerbsersatz für direkt und indirekt betroffene Selbstständigerwerbende weiterführen» in der Woche vom 7. bis 11. September 2020 geplant ist.

Kosten der Kindermedizin sollen gedeckt werden

Die Kommission hat sich klar für eine Stärkung der Kindermedizin ausgesprochen und den Motionen 19.3957 und 19.4120 einstimmig zugestimmt. Die Leistungen der Kinderspitäler im ambulanten wie stationären Bereich sollen sachgerecht abgebildet und kostendeckend vergütet werden. Eine adäquatere Berücksichtigung der besonderen Herausforderungen der Kindermedizin wird ebenfalls in vier Standesinitiativen (18.309, 18.318, 18.322, 18.324) verlangt. Die Kommission empfiehlt ihrem Rat jedoch mit 17 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung, diesen Standesinitiative keine Folge zu geben. Sie bevorzugt den Weg über die Motionen, um Massnahmen zügig umsetzen zu können. Schliesslich will die Kommission die Verbreitung digitaler Hilfsinstrumente für klinische Entscheidungen vorantreiben, um die Arzneimittelsicherheit in der Kindermedizin gerade bei der Dosierung von Medikamenten zu erhöhen. Sie empfiehlt ihrem Rat die Motion 19.4119 zur Annahme, die eine Verpflichtung zur Nutzung solcher Instrumente im stationären Bereich und in Apotheken fordert.

Wirksamkeit des Nutri-Score analysieren

Im Rahmen der Vorprüfung der Pa.Iv. (Sommaruga Carlo) Piller Carrard. Für die Einführung in der Schweizer Rechtsetzung des Ampelsystems Nutri-Score für verarbeitete Lebensmittel (19.422) diskutierte die Kommission ausführlich Vor- und Nachteile des besagten Systems. Mit 12 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung beschloss sie, ein Postulat (20.3913) einzureichen und den Bundesrat mit der Analyse diverser Punkte zu beauftragen, darunter auch die Kosten für Unternehmen bei einer Einführung des Nutri-Score. Die parlamentarische Initiative wurde zugunsten des Postulates zurückgezogen.

Pflegematerial soll zulasten der Krankenkasse gehen

Die Kommission will die Vergütung des Pflegematerials wie etwa Verbandmaterial oder Inkontinenzhilfen vereinfachen. Bisher wurde unterschieden zwischen der Anwendung durch Pflegefachpersonen oder durch die versicherte Person selbst. Künftig sollen die Krankenkassen das Pflegematerial unabhängig davon vergüten. Damit werden Kantone und Gemeinden um rund 65 Millionen Franken entlastet. Dem Entwurf des Bundesrates zu einer entsprechenden Änderung des Krankenversicherungsgesetzes (20.046) ist die Kommission einstimmig gefolgt.

Neuregelung der psychologischen Psychotherapie

Die Kommission hat sich zu Verordnungsentwürfen zur Neuregelung der psychologischen Psychotherapie konsultieren lassen. Sie beschloss, dazu eine Kommissionsmotion einzureichen (20.3914 «Zulassungssteuerung von psychologischen Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen»), mit der der Bundesrat beauftragt werden soll, die Instrumente der Kantone zur Zulassungssteuerung für Ärzte auf psychologische Psychotherapeuten zu erweitern. Weiter richtet die Kommission in einem Schreiben drei Empfehlungen an den Bundesrat. Darin befürwortet sie mit 15 zu 8 Stimmen bei 1 Enthaltung die Umstellung auf ein Anordnungsmodell. Sie empfiehlt dem Bundesrat jedoch mit 13 zu 11 Stimmen, die Anordnungsbefugnis auf Psychiater zu beschränken. Zudem soll die Kostengutsprache durch die Versicherer für maximal 30 Sitzungen erfolgen (Empfehlung mit 13 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen).

Weitere Geschäfte

Wie bereits der Ständerat unterstützt auch die Kommission eine Verlängerung der Mutterschaftsentschädigung für Mütter von kranken Neugeborenen (18.092 s). Mit 19 zu 6 Stimmen hat sie die Vorlage in der Gesamtabstimmung angenommen. Die Mutterschaftsentschädigung soll um höchstens 56 Tage verlängert werden, wenn das Neugeborene direkt nach der Geburt für mindestens zwei Wochen im Spital verbleiben muss; der Ständerat hatte eine Mindestverweildauer von drei Wochen beschlossen. Im Gegensatz zum Ständerat beantragt die Kommissionsmehrheit zudem, dass nur Mütter Anspruch auf diese Verlängerung haben, die nach dem Mutterschaftsurlaub wieder erwerbstätig sind, und folgt damit dem Bundesrat. Die Kosten der Vorlage betragen jährlich rund 6 Mio. Franken. Eine Minderheit der Kommission beantragt Nichteintreten, da sie den Leistungsausbau und die Mehrkosten zulasten der Erwerbsersatzordnung ablehnt.

Mit 15 zu 9 Stimmen bei 1 Enthaltung beantragt die SGK-N ihrem Rat, der parlamentarischen Initiative Gutjahr «Aufhebung des Suva-Teilmonopols» (19.410) keine Folge zu geben. Zu Beginn der Vorprüfung hatte die Kommission die Suva, den Schweizerischen Versicherungsverband, Vertreter der Sozialpartner sowie betroffene Unternehmer angehört.

Die SGK-N beantragt zudem mit 12 zu 9 Stimmen bei 1 Enthaltung, der Pa. Iv. (Golay) Amaudruz. Die Kantone sollen die nichtbezahlten Krankenversicherungsprämien einbringen (19.427) keine Folge zu geben. Die ständerätliche Schwesterkommission hat Mitte Juni eine Vorlage in die Vernehmlassung geschickt, welche das Verfahren bei Nichtbezahlen der Prämien umfassend verbessern soll (16.312).

Weiter hat sich die Kommission erneut mit der parlamentarischen Initiative Giezendanner  «Sicherstellung der Blutversorgung und Unentgeltlichkeit der Blutspende» (16.504) befasst. Sie beschloss einstimmig, die Verwaltung mit der Ausarbeitung eines Entwurfs zu beauftragen, der das heutige System der Finanzhilfe zugunsten des Blutspendewesens im Heilmittelgesetz verankert und ausbaut.

Die Kommission tagte am 25. und 26. Juni 2020 in Bern unter der Leitung von Ruth Humbel (CVP, AG) und teilweise in Anwesenheit von Bundesrat Alain Berset.